Bechers Provokationen

Geschlossene Gesellschaft

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Unsere Provokationen schauen hinter Stein-Gewordenes und suchen nach der Glut unter der Asche, nach dem Kern der Botschaft, nach dem Feuer im Herzen. Heute geht’s um das verzerrte Idealbild der Pfarrgemeinde. Von Johannes Becher.

Wer nicht schon fest dazugehört, der stößt in Pfarrgemeinden häufig auf verschlossene Türen. | Foto: bilderbox
Wer nicht schon fest dazugehört, der stößt in Pfarrgemeinden
häufig auf verschlossene Türen. Foto: bilderbox

Es muss ja alles seine Ordnung haben. Gerade in der irdischen Zweigstelle des Reiches Gottes. Kirche genannt. Katholische. Und damit das so ist, hat sich die Gemeinschaft der Gläubigen nicht nur unter das Wort der Bibel gestellt, sondern auch unters Kirchenrecht. Dort ist geregelt, was erlaubt und was verboten ist. Rechte und Pflichten der Gläubigen und ihrer Hirten. Selbstverständlich auch alles rund um „Pfarreien, Pfarrer, Pfarrvikare“ in Kapitel VI des Codex Iuris Canonici (CIC). Dort heißt es in Canon 515: „Die Pfarrei ist eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, die in einer Teilkirche auf Dauer errichtet ist und deren Hirtensorge unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer als ihrem eigenen Hirten anvertraut wird.“ Im Weiteren ist das Territorialprinzip der Zugehörigkeit zu einer solchen Pfarrei ebenso benannt wie die Vorschrift, dass ein Pfarrer nur eine Pfarrei leiten darf und ein Nicht-Pfarrer höchstens in pastoralen Notzeiten. Natürlich auch Fragen von Eigentum und Besitz.

Von „Gemeinde“ ist keine Rede – das klingt ja total protestantisch

So ist „Pfarrei“. Von „Gemeinde“ ist dort keine Rede. Denn das klingt ja total evangelisch. Protestantisch. Zumindest war das bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil so. Danach, in den 1970-er Jahren, kommt die große Zeit des Pastoraltheologen Ferdinand Klostermann. Der predigt jetzt die Zeit der „Pfarrgemeinde“, der „lebendigen Gemeinde“. Klos-termann: „Wo Pfarrei war, soll Gemeinde werden.“ Das Bild der Unterordnung aller unter den Pfarrherrn – Schafe folgen dem Hirten – soll nun abgelöst werden vom Christsein auf Augenhöhe, tätiger Teilnahme und -habe aller Getauften. Ja, man spricht sogar vom Priestertum aller Gläubigen.

Und dort, wo es besonders vertraut und traulich zugeht, spricht man jetzt sogar von der „Pfarrfamilie“. Geschlossene Gesellschaft. Nicht ganz unschuldig an solcher Verengung ist eine spezielle Deutung der Konzilstexte. Denn nun ist häufig die Rede von einer „Communio“. Eine Schein-Gemeinschaft derer, die schon dazugehören. Die seelsorgliche Perspektive des Konzils jedoch ist das „Volk Gottes“. Das ist ein völliger Perspektivwechsel. Es geht nicht mehr darum, dass die Institution Kirche sich vor allem in ihren Strukturen erhält. Es geht darum, dass sich die Kirche zur Welt hin öffnet. Sich dem Volk Gottes zuwendet. Theologisch gesprochen: Dass sie sich „im pastoralen Tun, in der gewagten und kreativen Konfrontation von Evangelium und Existenz verausgabt“. So formuliert es der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher. Und aus solchem seelsorglichen Handeln kann dann Gemeinschaft entstehen. Nochmal Bucher: „Communio steht nicht am Anfang der Pastoral, sondern ist ihr Ergebnis.“

Man braucht den Glauben, um es dort aushalten zu können

Das ist gar nicht so einfach. Denn in der Wirklichkeit zeigt sich die Pfarrgemeinde nach wie vor als geschlossene Gesellschaft. Vielerorts Spiegelbild einer Mittelstandskirche. Mit einem mehr oder weniger stabilen Angebot für Lebenswenden von Taufe über Erstkommunion und Firmung bis zum Begräbnis. Flankiert vom Engagement der Kernfamilien in der Pfarrfamilie. Ganz schön schwer für jemanden, der neu hinzukommen will.

Rainer Bucher bringt es auf den Punkt: „Wenn jene, die bei uns keinen Raum für sich und ihre Anliegen finden, so werden müssen wie jene, die noch da sind, werden sie nicht kommen.“ Denn gefordert ist Integration. Und ein gewisser Zwang zum Mitmachen. Schon 1986 schrieben die beiden Theologen Rolf Zerfaß und Klaus Ross in einem Fachartikel über die „Gemeinde“ im „Handbuch Religionspädagogischer Grundbegriffe“: „Gemeinden sind Orte, wo man den Glauben braucht, um es aushalten zu können, statt dass man ihn dort entdecken könnte.“ – Zeit, sich zu öffnen …

 

Zur Sache: Weiterlesen

  • Paul M. Zulehner: Neue Schläuche für jungen Wein. Unterwegs in eine neue Ära der Kirche, Patmos, 200 Seiten, 15 Euro
  • Andreas Unfried u.a.: XXL Pfarrei. Monster oder Werk des Heiligen Geistes?, Echter, 184 Seiten, 14,80 Euro