Jens Christoph Ginkel wird am 15. Juli zum Priester geweiht
„Gott will mich ganz“
Anja Weiffen
An seine erste Trauerfeier kann sich Jens Christoph Ginkel gut erinnern. „Ich bin zweimal mit dem Pfarrer mitgegangen. Beim dritten Mal leitete ich die Feier selbst. Da habe ich schon geschluckt. Gefühlt wurde ich einmal pro Woche ins kalte Wasser geworfen“, berichtet der Seminarist, beeindruckt von der Dichte seines achtmonatigen Praktikums als Diakon in der Kirchengemeinde St. Pankratius in Mainz-Hechtsheim.
Am 15. Juli wird Jens Ginkel von Bischof Peter Kohlgraf zum Priester geweiht. Für seinen künftigen Beruf fand er das Jahr als Diakon „unglaublich nützlich“. „Man bekommt Zeit, um in seine Rolle hineinzuwachsen“, sagt der Mann von der Bergstraße. Sieben Jahre nach Eintritt ins Mainzer Priesterseminar fühlt sich der 39-Jährige weiterhin als Quereinsteiger. „Ich ringe nicht damit“, ergänzt er. „Denn das hat auch Vorteile. Ungehindert von manchen Konventionen gehe ich an die Menschen unbefangener heran“, stellt er fest und freut sich darüber, dass er in der Zeit in Hechtsheim so viele gute Gespräche geführt hat. Auch die diakonischen Aufgaben, wie die Krankenkommunion zu spenden, „habe ich sehr, sehr gerne übernommen und hoffe, dies weiterführen zu können“.
In der Mathematik fehlte ihm Grundemotionalität
Nach dem Abitur wollte Jens Ginkel Mathematiker werden. Sein Studium der Mathematik und der Philosophie in Heidelberg führte ihn zu Gedankengängen über das Materielle und das Immaterielle. In einem Philosophieseminar 2007 wurde sein „atheistisches Weltbild zertrümmert“, das er sich als Jugendlicher zugelegt hatte. Durch seine intellektuelle Auseinandersetzung mit Religion und Ethnologie neben seinem Studium fand er den Weg zurück zu Christentum und Kirche. Der Glaube spielte zunehmend eine Rolle, als er sich mit der Krebserkrankung seines Vaters und dessen Tod auseinandersetzen musste. Mitten im Studium stand für ihn Wichtigeres an: Er wollte in dieser Zeit für seinen Vater da sein. „Nie hat sich für mich etwas so richtig angefühlt wie das“, sagte er 2022 kurz vor seiner Diakonenweihe der Kirchenzeitung. „Damals wurde mir immer klarer, dass ich Priester werden will.“ 2015/ 2016 schloss Jens Ginkel seine mathematische Ausbildung mit Diplomarbeit und Bestnoten ab – und trat noch im selben Jahr ins Priesterseminar in Mainz ein. Ihm habe in der Mathematik „die Grundemotionalität gefehlt“, erläuterte er diesen Schritt.
Jens Ginkel wird inmitten einer Umbruchszeit im Bistum zum Priester geweiht. Der Pastorale Weg stellt die Katholiken vor Herausforderungen und eröffnet zugleich Chancen. Dem künftigen Priester fallen auf die Frage nach beidem erst einmal erstere ein: „Das Schwierigste wird sein, die Gemeinden zusammenzubringen.“ Chancen sieht er im Zusammenhalt über Gemeindegrenzen hinaus. „Die Gemeinde als familiäres Angebot wird in Zukunft schwieriger umzusetzen sein, darf aber nicht ganz fehlen.“
» Glaube ist keine selbsttherapeutische Autosuggestion. « Jens Christoph Ginkel
Bei der geistlichen Erneuerung kann er sich Gemeinden als „geistliche Zentren“ vorstellen. „Wenige, aber dafür auf höherem Niveau. Wir brauchen eine neue geistliche Substanz, damit Menschen im Glauben wachsen können“, betont er. „Die christliche kulturelle Fundierung, die wir bisher wie die Luft zum Atmen um uns herum hatten, gibt es so nicht mehr, die müssen wir nun selbst schaffen.“
Auf die Frage nach den Gründen der Kirchenkrise sieht Jens Ginkel viele Faktoren. Einen Hauptgrund für die schwindende Zahl an Gläubigen erkennt der Priesteramtskandidat in der zunehmenden Auflösung des klassischen katholischen Milieus. Seit dem 19. Jahrhundert habe die Kirche auf die Milieubildung als sozialer Basis des Glaubens gebaut. Ungewöhnlich seine Beobachtung, dass sich auch die christlichen Bildwelten auflösen, „die in den trivialen Bilderfluten“ des Internets untergehen. „Die christliche Botschaft kompakt ins Bild zu bringen, ist uns abhandengekommen. Wir haben uns auf die reine Wortverkündigung versteift“, erläutert er seine These. Problematisch empfindet er zudem das aktuelle Zeit- und Aufmerksamkeitsverhalten vieler Menschen und verweist auf die „Smartphone-Kultur“. Jens Ginkel: „Wir haben keine inneren Räume der Stille und der tieferen Konzentration mehr, sie werden bewusst zerstört.“
Diese Zerstörung entstehe durch die Technisierung der Welt à la Elon Musk und Mark Zuckerberg, „Große-Jungs-Träume, deren Umsetzung ich für eine echte Dummheit halte“.
Auf die Frage, ob er als Ursachen der Kirchenkrise nicht auch „Hausgemachtes“ wie den Missbrauchsskandal sieht, antwortet Jens Ginkel: „Das Thema wird in der Kirche, auch im Mainzer Priesterseminar breit besprochen. In gewissem Sinne bin ich froh, dass ich lange der Kirche fernstand. Es muss ein unsäglicher Mief geherrscht haben, ein naiv-autoritäres Vertrauen in Amtsträger. Das will ich nicht. Ich erfülle besondere Aufgaben, aber als Mensch.“
» Ahnungen wecken, den Alltag aufknacken « Jens Christoph Ginkel
Er habe sich das Priester-Sein nicht komplett selbst ausgesucht, erläutert Jens Ginkel. „Ich habe mich am Anfang mit Händen und Füßen gewehrt.“ Zur Ehelosigkeit positioniert er sich so: „Mir war klar, dass ich mich für gewissen Realitäten freihalten muss. Gott will mich ganz. Ich muss wissen, ob ich das in mein Leben sinnvoll integriert bekomme.“ Auch hier sei sein Quereinstieg von Vorteil: „Diese Frage habe ich schon vor Eintritt ins Seminar für mich geklärt.“
Und sein Vorhaben, Gott sichtbar zu machen – so hatte er es als angehender Diakon formuliert? Der Seminarist bestätigt: „Ich möchte Menschen helfen, Gottes Spuren im eigenen Leben zu erkennen.“ Auch in Krankheit, Leid und Tod „sind wir Menschen nicht alleingelassen“. Glaube bedeute im Diesseits leben mit Rückbezug zum Jenseits. „Glaube ist aber keine billige Jenseitsvertröstung“ und auch „keine selbsttherapeutische Autosuggestion“, betont er. Eine Einsicht, „die bei mir gegen Widerstände gewachsen ist“. Als Beispiel nennt er Kinder, die noch auf ganz naheliegende Weise Ahnungen einer anderen Wirklichkeit hätten. „Ahnungen zu wecken, den Alltag aufzuknacken, für Religiöses hinderliche kulturelle Schichten wegzuräumen“, sieht er als seine Aufgabe. Für sein eigenes Leben heißt das: Musik machen. Sein Hobby, klassische Gitarre zu spielen, hat er sich erhalten. „Dabei ist die ganze Seele und der ganze Körper involviert.“
Am Samstag, 15. Juli, Priesterweihe durch Bischof Peter Kohlgraf im Mainzer Dom um 9.30 Uhr