Was uns diese Woche bewegt

Grenzen und Klischees: Sechs Wochen Journalismus in Ostdeutschland

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Frankfurt an der Oder? Ach, das falsche Frankfurt also. So oder ähnlich klang es oft, wenn ich Freunden und Bekannten vom Ort meines Praktikums erzählte. Noch öfter folgte Stirnrunzeln – und dann Sätze wie: Im Osten? Da gibt es doch nichts außer Rechtsruck, Rentner und Radikale. Ich gebe zu: Auch ich war nicht ganz frei von solchen Gedanken. Und vielleicht war es genau das, was mich an Frankfurt (Oder) und dem Praktikum dort, in der Lokalredaktion der Märkischen Oderzeitung, so reizte. Denn aus journalistischer Sicht beginnt Relevanz ja vielleicht oft dort, wo Klischees dominieren. 

Tatsächlich begegnete ich einem Landstrich, der polarisiert. Mehr als ein Viertel der Ostdeutschen hält den Journalismus in Deutschland für unglaubwürdig. Woran liegt das? Und was würde passieren, wenn man einfach mal anders hinhört, statt nur über „den Osten zu sprechen? Ich wollte es herausfinden. Aber eins nach dem anderen. 

Grenze Deutschland Polen
In wenigen Minuten war man auf der polnischen Seite der "Doppelstadt", in Slubice. Der Blick auf Frankfurt (Oder) - ein schöner. 

Frankfurt (Oder) liegt direkt an der Grenze zu Polen, gegenüber von Słubice – gemeinsam nennen sich die beiden Doppelstadt. Sie sehen sich als eine deutsch-polnische Stadt. Von meinem Wohnheim aus brauchte ich fünf Minuten zur Grenzbrücke, zwei Minuten über die Oder, dann war ich in Polen. Diese Nähe war faszinierend, fast surreal. Doch die Realität der Grenzkontrollen holte mich schnell auf den Boden: Uniformierte Präsenz war allgegenwärtig. 

Für eine Doppelstadt, in der Studierende täglich zwischen beiden Ländern pendeln, um zu ihren Uni-Kursen zu kommen, schien das mehr als nur lästig zu sein. Es verändert das Klima. Besonders bitter war es, wenn Studierende mit ausländischem Aussehen regelmäßig kontrolliert oder sogar an der Grenze zurückgewiesen wurden, obwohl sie nur zum Mittagessen in die Mensa auf der deutschen Seite wollten. Manche Menschen dort sprachen von einem Gefühl, das an vergangene Zeiten erinnert: an Zäune, an Blockaden, an Grenzen. 

Und auch die Skepsis gegenüber Medien ist kein abstraktes Phänomen geblieben. Ein Porträt über einen Feuerwehrmann wurde für mich zum Drahtseilakt: misstrauische Blicke und einsilbige Antworten. Schlechte Erfahrungen habe er mit der Presse gemacht, sagte er mir irgendwann. Generell, so gab er zu, hätten viele das Gefühl, oft nur Thema zu sein, aber selten gehört zu werden. Darum nahm ich mir Zeit, erklärte, warum es für ein Porträt persönliche Fragen bräuchte, um den Mensch so zu zeigen, wie er wirklich ist. Ich machte alles transparent: Welche Geschichte will ich über ihn schreiben, was erhoffe ich mir, wie arbeite ich generell? Ich bot ihm an, dass er seine Zitate vor der Veröffentlichung des Textes nochmal zur Kontrolle haben könnte. Er freute sich, schätzte das sehr, und wir kamen in eines der intensivsten Interviews, das ich bisher hatte. 

Während ich schreibe, bekomme ich Gänsehaut

Was ich ebenfalls sah: AfD-Stände mitten in der Innenstadt. Ohne Anlass, ohne Wahlkampf. Und in der Post erlebte ich, wie junge Männer mit dunkler Hautfarbe unfreundlich behandelt wurden – nur weil sie gebrochen Deutsch sprachen. 

Doch so eindrücklich diese Erfahrungen waren, sie erzählen nur die halbe Geschichte. Denn gleichzeitig habe ich in den sechs Wochen meines Praktikums junge Menschen kennenlernen dürfen, die mich tief beeindruckt haben. Engagiert, wach, solidarisch. Wenn wir durch die Stadt spazierten und an Laternen mal wieder Hakenkreuz-Aufkleber hingen, wurden sie kommentarlos abgeknibbelt oder übermalt – ein Edding war immer griffbereit in der Hosentasche. 

Was sie mir erzählten, war bewegend – während ich schreibe, bekomme ich Gänsehaut. Eine Mitbewohnerin etwa berichtete von ihrem Freund, einem Ukrainer, der im Krieg gefallen ist. Eine andere kämpft gerade jeden Tag dafür, ihren Partner aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland zu holen – bislang vergeblich. Einige der jungen Leute, mit denen ich wohnte, fuhren regelmäßig durch Polen in die Ukraine. Mit Hilfsgütern, mit dem Wunsch zu helfen – ohne großes Aufhebens. Es ist diese stille Entschlossenheit, die sich in meinem Kopf festgesetzt hat. 

Diese Grenzstadt im Osten Deutschlands wurde für mich zu einem Sinnbild für viele Orte im Osten: Eine Stadt im Wandel, verlassen von vielen jungen, gebildeten Menschen, aber getragen von einigen, die geblieben sind. Die nicht aufgeben und kämpfen – für ihre Stadt, gegen rechte Hetze und Resignation. 

Ich habe gelernt, dass es sich lohnt, Klischees zu hinterfragen. Und dass man sich für manche Menschen mehr Zeit nehmen muss, gerade, wenn sie schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht haben oder ihr aus Unsicherheit generell misstrauten. Schließlich ist es auch an uns Journalistinnen und Journalisten, das Vertrauen in unsere Arbeit durch Transparenz aufrechtzuerhalten oder gar wiederaufzubauen. 

Lisa Discher