Taschen-Verlag veröffentlicht Exemplar fürs Wohnzimmer-Regal

Gutenbergs „heilige Kunst“– jetzt für jeden

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Die eigene Gutenberg-Bibel fürs heimische Regal, das wird jetzt möglich. Ein Faksimile – einen Nachdruck des Göttinger Exemplars von 1454 – hat Professor Stephan Füssel im Taschen-Verlag vorgelegt. Er erläutert, warum dieses Buch Geschichte geschrieben hat und auch nach mehr als 500 Jahren noch fasziniert.

 

Johannes Gutenberg ist seit 550 Jahren tot. Warum ist er immer noch wichtig für uns, für heute?

Professor Stephan Füssel: Gutenberg ist der Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Einzellettern und besitzt eine herausgehobene Stellung in der Welt-Mediengeschichte: Er wurde damit zum Vater der Massenkommunikation, des freien und ungehinderten Zugangs zu Wissen und Bildung für jedermann.

Sich dieser Rolle und Bedeutung Gutenbergs bewusst zu werden, auf dessen Erfindung die Bildungs- und Kulturgeschichte der nachfolgenden Jahrhunderte bis in unsere Zeit aufbaut, ist überaus angemessen. Ohne Buchdruck keine Zunahme der Lesefähigkeit, keine Reformation, keine Aufklärung, keine Demokratisierung.

Sie haben jetzt das Faksimile der Gutenberg-Bibel von 1454 im Taschen-Verlag herausgegeben. Was zeichnet diese Bibel aus?

Als erstes gedrucktes Buch von Bedeutung aus der Mainzer Werkstatt von Johannes Gutenberg, seinem Typographen Peter Schöffer und dem Geldgeber Johannes Fust erschien 1454 eine vollständige lateinische Bibel, die allgemein verbindliche „Vulgata“, in einer bis zu diesem Zeitpunkt ungeahnten Auflage von 180 Exemplaren. Sie ist zum einen der gelungene Prototyp der Erfindung und mit 1286 Seiten das Meisterstück seiner Werkstatt, da es die Satztechnik, die Typographie und den Druck bereits in einer Qualität präsentiert, die auf viele Jahre des Experimentierens und des kreativen Verbesserns schließen lässt. Nicht selten wird dieses erste Buch als das typografisch gelungenste bis in die heutige Zeit bezeichnet!

Wie hat dieser Druck Einfluss auf die Verbreitung der Bibel und auf das Christentum genommen?

Die Gutenbergische Erfindung veränderte grundlegend den Zugang zu der wichtigsten Schrift des Christentums, da hiervon 180 identische Exemplare in etwa zwei Jahren hergestellt wurden, also in einer Zeitspanne, in der vorher ein Schreiber im mittelalterlichen Kloster gerade einmal ein Exemplar abschreiben konnte.

Für die gesamte nachfolgende Zeit wurde diese Bibel die entscheidende Ausgabe, die immer wieder zitiert wurde und von der aus fast alle anderen Bibeln nachgedruckt wurden: 1458 in Bamberg, 1462 in Mainz, 1471 in Rom, 1476 in Venedig oder 1491 in Basel.

Die Theologen sprechen von einem Wendepunkt der Überlieferung, da mit sehr geringen Ausnahmen alle Bibeldrucke der nachfolgenden Jahrhunderte auf die von Gutenberg gedruckte Textfassung zurückgehen. Und auch heute noch ist für die im Vatikan fortgeschriebene Ausgabe der Vulgata die Mainzer Gutenberg-Bibel ein wichtiges Referenzobjekt.

Warum wurde das Exemplar aus Göttingen für den Nachdruck ausgewählt und nicht zum Beispiel das aus dem Gutenberg-Museum Mainz?

Stephan Fuessel
Professor Stephan Füssel hat ein Faksimile der Gutenberg-Bibel vorgelegt. Foto: privat

Von den 180 ursprünglich gedruckten Exemplaren haben sich bis heute 49 erhalten. Davon sind nur wenige Vorzugsexemplare auf Pergament, also auf Tierhaut, gedruckt worden und von denen sind wieder nur wenige vollständig.

Als im Jahr 2001 die UNESCO ein Exemplar zum „Welt-Dokumenten-Erbe“ erhoben hat, wurde mit weltweiter Zustimmung das Exemplar aus der Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek, eben eine vollständige, auf Pergament gedruckte und in einem Stil illuminierte und ausgestaltete Bibel ausgewählt.

Sie wurde dazu in hoher Qualität digitalisiert und stand daher für den Druck zur Verfügung. Denn nur blätternd und vergleichend erschließen sich ihre Monumentalität, die typografische Qualität als auch die praktische Nutzungsmöglichkeit, am Bibeltext zu arbeiten.

Haben schon die Zeitgenossen die Bedeutung Gutenbergs erfasst?

Bereits die Zeitgenossen haben erkannt, was für eine besondere Umwälzung in der Mediengeschichte sich abzeichnete. Schon im Oktober 1454 hat ein Gesandter des Kaisers, Enea Silvio Piccolomini (später als Pius II. selbst Papst), auf der Frankfurter Buchmesse von einem „bemerkenswerten Menschen“ (vir mirabilis) einige Druckbogen der Bibel gezeigt bekommen – vielleicht war dies Gutenberg selbst.

Piccolomini war begeistert, weil er sofort begriff, welche Bedeutung diese Technik für die Kirche hatte. Nun konnte überall auf der Welt der Gottesdienst mit identischen Texten gefeiert werden.

Er schrieb sogleich an einen befreundeten Kardinal und die Nachricht machte in Rom die Runde: Eine neue „heilige Kunst“ (sancta ars), die von einem Deutschen entwickelt wurde, sollte rasch auch in den Ländern südlich der Alpen heimisch werden und deutsche Druckergesellen aus der Diözese Mainz druckten bald im Kloster in Subiaco, in Rom und in Venedig.

Warum ist das jetzt vorliegende Faksimile ein Ereignis?

Das Faksimile ermöglicht nun jedermann, sich selbst einen Eindruck von der ganz herausragenden Satz- und Druckqualität zu machen, die von Hand beigefügten Illuminationen zu bestaunen und durch den Kommentar etwas über dies Exemplar, aber auch generell zu Leben und Werk zu erfahren, zum Beispiel von einem Musterbuch, nach dem die Ausmalung in Mainz erfolgte.

Der Verlag von Benedikt Taschen stellt das 2-bändige Faksimile und den Kommentarband in Deutsch, Französisch, Englisch und Spanisch für 100 Euro zur Verfügung, sodass die Mainzer Erfindung in aller Welt gewürdigt werden kann.

Interview: Ruth Lehnen

 

Zur Person: Professor Stephan Füssel

Professor Stephan Füssel ist Inhaber des Gutenberg-Lehrstuhls der Universität Mainz, Präsidiumsmitglied der Internationalen Gutenberg-Gesellschaft und Herausgeber des Faksimiles.