Buch "Das empathische Gen"
Gutes tun hält gesund
Wer sich für andere engagiert, hilft auch sich selbst: Die positiven Effekte der Empathie setzen Prozesse in Gang, die in unserem Körper Risikogene in Schach halten. Ist das das Geheimnis der fröhlichen Ehrenamtlichen? Ein Interview mit Arzt und Buchautor Joachim Bauer.
Der Mensch ist für ein „gutes Leben“ gemacht, sagt der Neurowissenschaftler und Psychotherapeut Joachim Bauer. In seinem Buch „Das empathische Gen“ erklärt er, was ein gutes Leben ist und warum es uns gesund hält, anderen Gutes zu tun. Freiwillig, versteht sich.
Eine der Aussagen Ihres Buches ist, dass ein sinngeleitetes Leben und freiwilliges soziales Engagement uns helfen können, gesund zu bleiben, weil Risikogene inaktiv bleiben. Also können wir selbst Einfluss darauf nehmen, wie die Gene reguliert werden?
Ja, wir können. Ich habe viele Jahre an Genen geforscht. Unsere Gene sind Kommunikatoren. Ihre Aktivität richtet sich nach den Signalen, die auf unseren Körper einwirken und bis in jede einzelne Körperzelle durchgereicht werden. Alles, was wir erleben, und alles, was wir selbst tun, hat Einfluss auf die Aktivität unserer Gene und damit auch auf unsere Gesundheit.
Inwiefern spielen Zuversicht, Freude und Empathie eine Rolle?
Zuversicht und Freude spielen eine zentrale Rolle für die Aktivierung der sogenannten Motivationssysteme und damit für die Aufrechthaltung unserer Lebensfreude. Zuversicht und Freude können aber nur dann aufkommen, wenn wir hinreichend gute soziale Beziehungen zu unseren Mitmenschen haben. Dafür wiederum brauchen wir Empathie. Gute soziale Beziehungen hängen davon ab, ob wir uns in unsere Mitmenschen eindenken und einfühlen können.
Jeder kennt solche Ehrenamtlichen, die mit 80 Jahren noch fröhlich für andere aktiv sind. Ist das also deren Geheimnis: Gutes Tun hält gesund?
Ja, das ist die zentrale Botschaft meines neuen Buches „Das empathische Gen“. Mehrere wissenschaftliche Studien haben zeigen können, dass im Körper von Menschen, die aus freien Stücken etwas Gutes für andere tun, eine Gruppe von Risikogenen, die Entzündungen auslösen können, befriedet wird. Anderen Gutes zu tun, schützt die eigene Gesundheit.
Ich muss es freiwillig tun, nicht, weil ich zu Sozialstunden verpflichtet wurde, oder?
So ist es. Jemanden zu zwingen, Gutes zu tun, hat keine positiven Effekte auf die Gesundheit. Die Wirkung stellt sich nur dann ein, wenn mich eine tiefe innere Liebe motiviert.
Man wird ja auch belohnt, wenn diejenigen, für die ich mich einsetze, dankbar sind. Früher sagte man, Freude kommt zu dir zurück.
So sollte es jedenfalls sein. Empathie ist allerdings keine grenzenlose Ressource. Zu viel Empathie zu geben, ohne Dankbarkeit, Liebe oder Anerkennung zurückzubekommen, kann auch krank machen.
In manchen Familien scheint Griesgrämigkeit vorzuherrschen, in anderen Familien sind einfach alle hilfsbereit, sind in der Not zur Stelle, egal ob Eltern oder erwachsene Kinder. Wird Empathie „vererbt“ ? – Kinder lernen doch eigentlich am Rollenmodell.
Kinder, die in jungen Jahren selbst empathisch, also einfühlsam behandelt wurden, aber auch dazu angehalten wurden, Rücksicht auf andere zu nehmen und die Perspektive anderer zu beachten, werden sich selbst zu empathischen Menschen entwickeln. Harsch, lieblos oder gar mit Gewalt erzogene Kinder werden später Empathie vermissen lassen.
Ist Empathiefähigkeit die Voraussetzung für echte christliche Nächstenliebe?
Ich glaube es, würde dem Geist Jesu Christi widersprechen, bestimmte Voraussetzungen für „echte christliche Nächstenliebe“ zu definieren. Wer begreifen will, was christliche Nächstenliebe ist, tut gut daran, die beeindruckenden Erzählungen über den Umgang Jesu Christi mit Menschen selbst zu lesen oder sie sich erzählen lassen.
Empathisches Handeln ist oft mit den eigenen Wertvorstellungen verknüpft. Welche Rolle spielen Vorbilder und der Glaube?
Vorbilder spielen eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von Empathie. Die Verankerung tiefer innerer Glaubens-
überzeugungen verdankt sich in den meisten Fällen den Erfahrungen, die wir mit beeindruckenden Mitmenschen oder spirituellen Lehrerinnen oder Lehrern gemacht haben.
Ihr Tipp, für alle die gesünder leben wollen?
Eine prosoziale, empathische innere Grundeinstellung ist nur ein Beitrag zur Erhaltung der Gesundheit. Bei der Auslösung von Krankheiten spielen viele weitere Faktoren eine Rolle: welchen Umweltgiften wir ausgesetzt sind, wie wir uns ernähren, ob wir uns genug bewegen, ob wir Gifte wie Tabakrauch oder Alkohol zu uns nehmen, und ob wir in guten sozialen Beziehungen leben. Wer bei allen diesen Punkten gut auf sich achtet und dazu eine liebevolle Grundeinstellung zu seinen Mitmenschen pflegt, hat gute Chancen, gesund zu bleiben – oder aber, nach einer bereits eingetretenen Erkrankung einen positiven Verlauf zu erleben.
Interview: Andrea Kolhoff
Joachim Bauer, Das empathische Gen, Humanität, das Gute und die Bestimmung des Menschen. Herder, 20 Euro.