Harter Winter in der Kirche?

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Ob Russland den Gashahn abdreht oder nicht: Der Winter 2022 wird ein kalter Winter werden. Auch die Pfarreien im Erzbistum Hamburg machen sich Sorgen und schmieden Pläne. Wie hart wird es? Was ist möglich? Was ist zumutbar?


Wie schön ist Lübeck im Schnee, hier mit den Türmen von St. Aegidien, der katholischen Propsteikirche Herz Jesu (Mitte) und des Doms (rechts). Die Lübecker Pfarrei aber sorgt sich um die enormen Heizkosten. | Foto: Marco Heinen

Wie kalt wird der Winter, wenn Russland die Gaslieferungen einstellt? Die Prognosen fallen ganz unterschiedlich aus. Aber es ist gut, sich auch auf den schlimmsten Fall einzustellen. Das tun auch die Pfarreien im Erzbistum Hamburg. Den sonntäglichen Gottesdienst kann die Gemeinde gegebenenfalls im Wintermantel überstehen. Aber es gibt auch noch die Kindergärten, Gemeinderäume, Pfarrhäuser, Begegnungsstätten…

Deshalb haben sich inzwischen die meisten Kirchenvorstände mit der Frage beschäftigt.

„Es wird sicherlich in unseren Kirchen nicht mehr so warm sein wie in den vergangenen Jahren“, sagt Pfarrer Germain Gouen, Pfarrei St. Knud im Raum Nordfriesland. Und: „Wir rechnen mit einer Verdreifachung der Heizkosten.“ Und das ist nicht nur an der rauhen Nordseeküste so. Ähnlich wie die Privathaushalte in Deutschland betreiben auch die Kirchen ihre Heizungen zu 90 Prozent mit Gas oder Öl.

Beispiel Lübeck: Von den elf Kirchenstandorten der Pfarrei Zu den Lübecker Märtyrern werden sechs mit Erdgas beheizt, zwei mit Öl, zwei durch Erdwärme, ein Standort sowohl mit Gas und Öl. Im ersten Halbjahr 2022 hat die Pfarrei bereits 107 000 Euro allein für die Heizung ausgegeben, berichtet Thomas Gronemeyer, Kirchenvorstand und Vorsitzender des Fachausschusses Finanzen. Noch vor fünf Jahren, 2017, reichte diese Summe fast für das ganze Jahr. „Das Heizöl wird bis ins nächste Jahr reichen – wie weit, hängt vom Winter ab.“ Für das Gas gibt es einen laufenden Rahmenvertrag des Erzbistums. Aber es wird Nachzahlungen geben, fürchtet Gronemeyer. Mehrjährige Verträge seien kaum zu bekommen. Auch Fernwärme ist kein Patentrezept – deren Preis hängt am Ölpreis.

Die eine Frage ist: Gibt es im kommenden Jahr noch genug Öl und Gas? Die andere Frage: Kann man es bezahlen? Mehr als 100 000 Euro Mehrkosten im Jahr, sagt Thomas Gronemeyer, kann die Lübecker Pfarrei nicht allein aufbringen.

Winter an der Küste – da reicht ein Gemeindesaal

Um die Kosten zu senken, könnten im Winter die Gottesdienste in Gemeindesälen stattfinden – zumindest in den Ostseebädern, in denen im Winter wenig Feriengäste kommen. „Sicher werden wir auch über die Senkung der Raumtemperatur beraten. Dazu gehört dann auch die Bereitstellung von Decken.“ Und einige Stimmen sprechen von Winter-Schließungen von Kirchen. In Lübeck wäre das möglich, da es mehrere katholische Kirchen in der Stadt gibt.

Vergleichsweise modern aufgestellt ist die Gemeinde in Elmshorn. Ihre sechs Gebäude, darunter Kita, Pfarrhaus, Gemeindezentrum und Kolpinghaus, werden mit der Abwärme von Blockheizkraftwerken oder Brennstoffzellen geheizt. Das heißt: Ein kleines Kraftwerk erzeugt Strom aus Gas. Die Wärme, die dabei als „Abfallprodukt“ anfällt, wird für Heizung und Warmwasser genutzt. Aber alles hängt am Gas. Was geschieht, wenn Gas knapp wird und zugeteilt wird? „Es geht nicht darum, wie viel wir bezahlen müssen, sondern wie die Politik das Gemeindeleben mit Kita und Seniorenheim einstuft“, sag t Andreas Schröder, Mitglied des Bauausschusses im Kirchenvorstand der Pfarrei St. Martin. „Wer hat Vorrang? Industrie oder Privathaushalt? Das ist zur Zeit Thema in Berlin.“

Eine ungeheizte Kita geht nicht. Bei den Kirchen hat Schröder weniger Sorgen: „Aus meiner Sicht brauchen Kirchen als Bauwerk keine Heizung, da diese Gebäude auf guten Fundamenten errichtet wurden und die Mauern dick genug sind.“

Wieviel Kälte vertragen die Menschen in der Kirche? Pfarrer Stefan Langer aus Hamburg-Harburg sieht die Sache eher gelassen. Er würde im Zweifelsfall für eine Senkung der Kirchentemperatur um zwei Grad auf 12 Grad votieren. Und wenn es ganz hart wird: „Predigtverbot bei Minusgraden oder Grog- und Teeausschank am Ende des Gottesdienstes.“

Das Recht auf eine warme Kirche

Anders als seine Nachbarn will Pfarrer Felix Evers (Pfarrei St. Paulus Hamburg-Billstedt) nicht am Temperaturregler drehen. „Ich lehne entschieden ab, die gegenwärtigen Nöte auf die Schultern derer abzuladen, die ohnehin drei gleichzeitige Krisen zu bewältigen haben, die Pandemie, den Krieg, die Inflation samt Rezession und Teuerung. Jeder hat das Recht auf eine warme Kirche“, sagt Felix Evers. „Das heißt: Wir heizen unsere Kirchen wie immer!“

Sind warme Gemeinderäume, Kirchen und Kitas auch ohne Gas denkbar? Energiesparen kann man auch durch neue und bessere Technik. Auf diese technische Umgestaltung setzt Ulrich Borchert, Leiter der Abteilung Immobilien und Bau im Erzbistum Hamburg. „Jeder weiß, dass wir Energie sparen müssen“, sagt Borchert. Technische Maßnahmen dazu gibt es. Bessere Dämmung der Wände, Einsatz von Windenergie und Sonnenergie mittels Fotovoltaik-Anlagen. „Alle unser Neubauten werden mit Fotovoltaik-Technik gebaut. Ich möchte auch über das Thema Erdwärme reden. Die Frage ist aber immer auch: Lohnt es sich, etwa in eine Dämmung eines vorhandenen Hauses zu investieren? Das sind alles knallharte wirtschaftliche Fragen.“ Die Abteilung aber sei dank externer Berater auf einem guten Weg. Zukunftstechnik entledige die Nutzer von Kirchenräumen aber nicht der alten Tugend der Sparsamkeit. „Wie gehen wir mit Licht um? Welche Lampen brennen mit welcher Helligkeit? Wie lüften wir richtig? Lässt sich Wasser sparen? Und: Lässt sich die Raumtemperatur in Kirchen senken? Welche Temperatur verträgt die Orgel?“. Die großen Pfeiffenorgeln funktionieren auch noch bei acht Grad Celsius. Aber sie vertragen keine Temperaturschwankungen. Alltags kalt, sonntags warm, das geht nicht. Für den kommenden Winter sieht Ulrich Borchert kein Horrorszenario. „Die Sorge, dass wir komplett ohne Heizung sein werden, habe ich nicht. In der Versorgung sind wir in der Priorität ziemlich weit oben. Ich bin auch optimistisch, dass wir mit den Einsparungen weiterkommen. Die technischen Möglichkeiten haben wir. Die Frage ist: Wie setzen wir sie um, und wird das auch in den Pfarreien akzeptiert?“

Nicht erst seit dem Ukrainekrieg beschäftigen sich die Gemeinden vor Ort mit der Energiefrage. Pfarrer Christoph Scieszka von der Pfarrei St. Ansverus (Stormarn, Lauenburg). „Wir stehen mitten in der Vermögens und Immobilienreform. In diesem Kontext nehmen wir auch den energetischen Zustand aller Gebäude unserer Pfarrei in den Blick. Ziel ist es, alle Primärimmobilien so zu modernisieren, dass der Energiebedarf mittelfristig deutlich sinkt.“

Und dabei gehe es nicht nur um die Energiekosten. Die Pfarrei will auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Pfarrer Scieszka: „Es darf nicht sein, dass die Kirche einerseits die Bewahrung der Schöpfung predigt, diesen Worten dann aber keine Taten folgen lässt!“


VON MARCO HEINEN UND ANDREAS HÜSER