Im Schweigen beten
Hören statt reden
Gebet hat mehr mit Schweigen und mit Hören als mit Plappern zu tun. Sagt zumindest die heutige Lesung. Menschen wie Albert Herchenbach, die regelmäßig Schweige-Exerzitien machen, sehen das auch so.
Wie redet man über das Schweigen? Schon die Interview-Situation – mittags im Trubel eines bayerischen Landgasthauses – erscheint paradox. Der Gesprächspartner, ein erfahrener Schweiger, heißt Albert Herchenbach und ist von Haus aus eine rheinische Frohnatur, aufgeschlossen, unterhaltsam, umtriebig. Als Zeitschriftenjournalist war er sein Berufsleben lang unter Menschen. Inzwischen ist der 67-jährige in Rente, aber immer noch oft als Reporter unterwegs.
Und so einer geht ins Kloster? Um dort still zu sitzen und zu schweigen? Das klingt seltsam, ist dem Mann aber wohl ziemlich wichtig. Würde er sich sonst jedes Jahr mit einem Freund ausgerechnet zum Schweigen treffen? Schließlich ist der Freund Kabarettist und Radiomoderator, also einer, der auch gern redet.
Herchenbach erzählt vom Franziskanerkloster in Dietfurt in der Oberpfalz. Er praktiziert dort seine Schweige-Übungen im Zen-Ritus. „Zen stand früher in Verdacht, das sei etwas Heidnisches. Das ist natürlich Quatsch“, sagt der Katholik und verweist auf die Franziskaner, die schon vor 40 Jahren den Dialog mit dem Buddhismus gesucht haben. Mit ihren Zen-Kursen auf dem Klostergelände versuchen sie, die Menschen in die Stille und das Schweigen zu führen. Zazen heißt das, und eine Schweigewoche im Zen-Ritus ist eine Sesshin.
Im Schweigen sitzen ist wie Nachhausekommen
Anders als andere Schweige-Exerzitien ist Zen eine ungegenständliche Meditationsform – schweigen um des Schweigens willen. Eine Bedrohung für das Christentum? Nein. Denn hatte sich nicht der heilige Franziskus schon immer in die Stille zurückgezogen, um die Gegenwart Gottes intensiver zu erleben? War nicht auch christlichen Mystikern wie Meister Eckhart schon im Mittelalter das Schweigen ein großes Anliegen? Weil im Schweigen die Kraft liegt!
Albert und Roland, die beiden befreundeten Männer, üben seit 25 Jahren gemeinsam das Zazen, das Sitzen und Schweigen, immer in der Karwoche. Um nach dem Schweigen den Jubel nach der Auferstehung ganz intensiv erleben zu können. Aber warum tun sie sich vorher diese mühsamen Tage an? Werden sie dadurch zu besseren Menschen?
„Nein, ein anderer Mensch wird man dadurch nicht“, stellt Albert Herchenbach klar. „Aber man wird aufmerksamer, achtsamer für den Augenblick.“ Und er erzählt: „Wenn ich auf meinem Bänkchen sitze, ganz nach innen gerichtet, dann habe ich schon nach ein paar Minuten den Eindruck, nach Hause gekommen zu sein. Zu Hause bin ich dann bei mir.“
In Einführungskursen sitzen die Schüler am Tag neunmal je 20 Minuten, in einem Sesshin eine ganze Woche lang 15 mal 25 Minuten: aufrecht sitzen, ohne Stuhllehne, vielleicht unterstützt von einem Bänkchen oder Kissen, ganz ohne Bewegung, die Hände offen im Schoß liegend, nur Schweigen, kein Blickkontakt, keine Musik, keine Bilder an der Wand, immer nur dieser eine Atemzug, unterbrochen durch meditatives Gehen. Man redet nicht miteinander, man schaut sich nicht an, man bleibt ganz bei sich. Der Rhythmus zwischen Sitzen und dem anschließenden fünfminütigen meditativen Gehen wird mit Schlägen an eine Klangschale angezeigt.
25 Minuten sind eine lange Zeit, wenn Knie und Rücken schmerzen, die Nase juckt, die Beine einschlafen und der Drang zum Aufhören immer stärker wird. Der Respekt vor den anderen hilft beim Durchhalten.
Zen-Meditation heißt: Die Übenden sollen sich auf das Stillsitzen konzentrieren und von ihren Gedanken lösen, damit der Verstand zur Ruhe kommen und Stille erfahrbar werden kann. Stille, die ins tiefste Innere führen soll. Nicht so einfach, denn: „Du hast ein Gehirn zum Denken bekommen“, sagt Herchenbach, „und dieses Hirn arbeitet permanent. Dann sitzt du da und sollst dich nicht forttragen lassen von deinen Gedanken, sondern ganz bei dir bleiben. Du sollst da sitzen wie der Berg Fujiyama, an dem die Wolken vorbeiziehen.“
Herchenbach beschreibt weiter: „Du sitzt und dann kommen die Gedanken, du nimmst die Gedanken wahr und lässt sie ziehen. Die Gedanken kommen, die Gedanken gehen. Um das Gehirn zu beschäftigen, beobachtest du deinen Atem – einatmen – ausatmen –, und zählst die Atemzüge, von eins bis zehn, und wieder von vorn. Das klingt so einfach. Aber wenn du beim Atemzählen, ohne abzuschweifen, bis fünf kommst, mit hoher Konzentration, dann ist das schon eine Leistung.“
Ein intensiver Moment der Versenkung
Am härtesten sind die ersten Tage des Sesshins. Das geht nicht nur Albert Herchenbach so. Er erklärt: „Anfangs lässt einen der Alltag noch nicht los, aber irgendwann kommt man in einen Zustand, wo es von alleine geht. Die Gedanken sind dann weg. Du machst dir über deine Atmung keinen Kopf mehr, fühlst dich wie im Dämmerzustand, in einer Art Grauzone. Und dann kann es vielleicht geschehen, dass du einen kurzen, aber sehr intensiven Moment in der Versenkung erfährst. Viele erleben darin eine große Dankbarkeit für das Sein.“
An solche tiefen Glücksgefühle kann sich Herchenbach noch aus seiner frühen Kindheit erinnern. Er spricht vom absoluten Augenblick, den nur ganz kleine Kinder wahrnehmen, die noch kein Gestern und kein Morgen kennen. Das Versunkensein im Hier und Jetzt beim intensiven Betrachten einer Blume etwa oder beim Spüren des warmen Sands, der durch die kleinen Hände rieselt. Der absolute Augenblick ist eine Wahrnehmung, die sich später verliert und nach der sich viele Menschen ein Leben lang sehnen.
Albert Herchenbach vergleicht Schweigen mit dem Beten: „Beten heißt ja eigentlich: Hören, was Gott mir sagt. Wenn du Glück hast, nimmst du eine Antwort wahr, wenn nicht, ist es auch gut. Und wenn du aus dem Schweigen kommst, dann gehst du wieder ins Leben. Es ist nichts mit dir passiert, du bist nur zu dir selber gekommen.“ Und vielleicht auch ein bisschen näher zu Gott.
Von Marilis Kurz-Lunkenbein