Anfrage

Ist die Übersetzung des Vaterunsers richtig?

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Das Ende des Vaterunser lautet: „Denn dein ist das Reich und die …“ Im Lateinischen steht dort „potestas“, also „Macht“, was inhaltlich viel besser passt. Wer war für die Übersetzung „Kraft“ verantwortlich?

Das Ende des Vaterunsers, die sogenannte Doxologie, ist nicht Bestandteil des Gebets Jesu, es findet sich weder bei Lukas noch bei Matthäus. Ältere Leserinnen und Leser erinnern sich vielleicht, dass sie früher auch nicht gebetet wurde. Erst in der Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils wurde sie Bestandteil der Messfeier.

Trotzdem ist der Lobpreis sehr alt. Erstmals schriftlich festgehalten ist er in der „Didache“. Das ist ein frühchristliches Buch, das an der Wende des 1. zum 2. Jahrhundert verfasst wurde und unter anderem den christlichen Gottesdienst recht detailliert beschreibt. Auch das Vaterunser, das dort mit „denn dein ist die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“ (Didache 8,2) endet.

Die Didache ist auf Griechisch geschrieben. Das dort verwendete Wort ist „dynamis“ und das Wissenschaftliche Bibellexikon schreibt: „Dynamis ist mit seinen Ableitungen der mit Abstand am häufigsten verwendete Kraft-Begriff in der griechischen Sprache.“ Hier liegt also ein Ansatz zur Übersetzung.

Aber wie kommt es überhaupt zu diesem nichtbiblischen Anhang? Nun, er stammt wohl aus der Gebetspraxis der ersten Christen, die Juden waren. Und im Judentum ist ein Lobpreis elementarer Bestandteil jedes Gebets; in kurzen und oft hymnisch klingenden Wendungen wird zu Beginn und zum Ende des Gebets die Größe Gottes gepriesen. Auch für Jesus war das selbstverständlich, deshalb musste er den Lobpreis nicht ausdrücklich formulieren.

Von den griechisch- und aramäischsprachigen Gemeinden wanderten Vaterunser und Doxologie ins römische Reich. Und aus der griechischen „dynamis“ wurde die lateinische „potestas“, die die Römer wohl tatsächlich eher mit (politischer) Macht assoziierten. Anders als die hebräische Tradition, die auf Gottes Kraft setzte.

Die deutsche Übersetzung verdanken wir übrigens Martin Luther. Er sorgte dafür, dass die Doxologie in der evangelischen Kirche ununterbrochen gebetet wurde – bis die Katholiken schließlich nachzogen.
 

Susanne Haverkamp