Impuls zum Sonntagsevangelium am 24.09.2023

Ist Gott fair?

Image
Arbeit in Gärtnerei
Nachweis

Foto: kna/Beate Laurenti

Caption

Schwere Arbeit für den Lebensunterhalt in einer Gärtnerei in Dajc (Albanien)

Alle bekommen den gleichen Lohn, ob sie den ganzen Tag schwer gearbeitet haben oder nur eine Stunde lang. Das Gleichnis vom Weinbergbesitzer lässt daran zweifeln, dass Gott gerecht ist – auch in der Redaktion sind wir uns darüber uneins.

 

Ja

In unseren Augen ist es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Diejenigen, die den ganzen Tag im Weinberg geschuftet haben, bekommen denselben Lohn wie die, die nur ganz am Ende noch ein Stündchen angepackt haben. Das widerspricht doch all unseren Vorstellungen von Leistungsgerechtigkeit. Deswegen murren ja auch die Arbeiter der ersten Stunde im Gleichnis.

Doch Leistungsgerechtigkeit ist für Jesus kein Kriterium. Ein Denar, so kann man in den vielen Interpretationen dieses Gleichnisses lesen, reichte zur Zeit Jesu, um eine Familie einen Tag zu ernähren. Der Gutsbesitzer zahlt also, was ein Mensch braucht, um zu leben. 

Die Botschaft: Gott ist gütig. Er schaut nicht auf das, was du leistest oder eben auch nicht leistest. Er schaut auf das, was du brauchst, und überschüttet alle mit derselben Güte und Liebe. 

Fair nach göttlichen Kriterien

Aber ist das fair? Da mühen sich Menschen ihr Leben lang ab, gute Menschen zu sein, engagieren sich für die Gesellschaft, kümmern sich um Menschen in Not, pflegen die Beziehung zu Gott und bekommen am Ende denselben himmlischen Lohn wie die, die es sich nett gemacht haben, bequem, ohne groß an die anderen zu denken?

Ja, es ist fair – zumindest nach göttlichen Kriterien. Genau das ist doch die befreiende Botschaft Jesu: Du bist kein besserer Mensch, auch wenn du dich noch so sehr abstrampelst. Du bist – unabhängig von deiner Leistung – ein geliebtes Kind Gottes. Verlass dich darauf! Denn wer weiß? Vielleicht gehörst du irgendwann auch zu denen, die den ganzen Tag nicht angeworben werden, die keine Leistung bringen können oder die sogar über ihre eigenen Fehler stolpern und plötzlich auf der menschlichen Rangliste abrutschen. Oder vielleicht hast du ja auch deine dunklen Seiten, die du verdrängst oder gar nicht wahrnimmst? Und trotzdem wirst du von Gott mit derselben Liebe in sein Reich aufgenommen werden wie alle anderen. 

Doch das Gleichnis ist auch eine Mahnung für das irdische Leben: Es gibt immer jemanden, dessen Rasen grüner ist, dem es besser geht als mir, der vom Leben reicher beschenkt wird. Der Gutsbesitzer antwortet auf die Kritik der Arbeiter, dass er ihnen doch den vereinbarten Lohn ausgezahlt habe. Er nimmt ihnen also nichts weg, um die anderen zu entlohnen. Übertragen auf uns: Geht es mir schlechter, weil es meinem Nachbarn besser geht? 

Das ist Gottes Fairness. Gut und rechtschaffen leben soll ich nicht, um Gott gnädig zu stimmen, sondern, weil es mir ein innerer Antrieb ist und weil es auch mein Leben besser und reicher macht. Ich hoffe aber, dass Gottes Fairness auch Grenzen hat. Wenn die großen Verbrecher dieser Welt vor ihm stehen, werden sie hoffentlich zur Rechenschaft gezogen, damit ihren Opfern Gerechtigkeit widerfährt. Ich glaube fest, dass das geschieht. Wie, weiß ich nicht. Gott wird auch da seine ganz eigenen Wege haben

Ulrich Waschki

 

Nein

Ist das fair? Nein, natürlich nicht. Es ist nicht fair, Menschen, die nur eine oder wenige Stunden gearbeitet haben, genauso viel Lohn auszuzahlen wie denen, die den ganzen Tag hart gearbeitet haben. Es funktioniert auch nicht. Natürlich kann sich der Gutsbesitzer auf die mündlichen Arbeitsverträge berufen und darauf, dass die Arbeiter ja mit dem vorgeschlagenen Lohn einverstanden waren. Juristisch ist das sicherlich korrekt. Aber wenn er sich ein gutes Klima in seiner Belegschaft wünscht, sollte er eine nachvollziehbare Lohnpolitik verfolgen. Ungleichbehandlung – auch mit einem mündlichen Arbeitsvertrag – erzeugt Neid, Missgunst und Zweifel an der Loyalität des Arbeitgebers: Ist es nicht meine Arbeit, die zählt? 

Es gibt nichts schönzureden

Wenn Gott dieser Arbeitgeber wäre, handelte er nicht nur unprofessionell. Seine Beschäftigten würden sich in einem miserablen Arbeitsklima gegenseitig das Leben schwermachen, weil sie einander den Lohn nicht gönnen. Und vor allem: Die Arbeit würde nicht gut erledigt werden. Denn alle bekommen ja den gleichen Lohn, ob sie arbeiten oder nicht. Die Lohnpolitik des Gutsbesitzers ist also nicht göttlich, sondern mit Blick auf ihre Auswirkungen kurzsichtig und machtmissbräuchlich.

Dass es hier weniger um einen Gutsbesitzer als um Gott und das Himmelreich geht, macht es nicht besser. Da gibt es Menschen, denen völlig egal ist, ob sie mit ihrem Verhalten zu einem guten Miteinander beitragen. Da gibt es Stichelei und frisch ausgesätes Misstrauen gegen andere. Da gibt es die, die die Ressourcen der Erde verschwenden, ohne darüber nachzudenken, was für andere bleibt. Und es gibt die, die darunter leiden, denen Dürre und Unwetter die Lebensgrundlagen entzogen haben, die deswegen auf der Flucht und nirgendwo willkommen sind. Es gibt die, die hungern oder deren Krankheiten geheilt werden könnten, wenn sie sich denn die Medizin leisten könnten. Es gibt die Opfer von Missbrauch und die Täter.

Das Leben ist nicht fair und Gott ist nicht fair. Dass in Gottes Reich alle Menschen willkommen sein sollen, egal was sie tun, ist eine bittere Wahrheit, die viele Menschen ein Leben lang mit sich herumtragen. Jede und jeder kennt Menschen, denen sie oder er nicht verzeihen kann. Unsere Welt ist voll von Unrecht. Und die Frage, ob Gott das Leid gar nicht wahrnimmt, warum er Menschen gewähren lässt, die anderen Böses antun, und warum er nicht solidarisch ist, ist erlaubt.
Jesus erzählt das Gleichnis nicht ohne Grund. Bitterkeit über das, was Menschen aneinander leiden, gehört zu den Grundstimmungen des Lebens. Es ist normal, es unfair zu finden, wenn Gott alle Menschen in seinem Reich willkommen heißt. 

Das Leben ist nicht fair und Gott ist nicht fair. Es ist gut, das stehenzulassen und nicht schönzureden. Ins Himmelreich zu gelangen, bedeutet dann vielleicht, Frieden zu finden mit Gott und mit dem Leben.

Barbara Dreiling