Anfrage

Ist Märtyrertum eine religiöse Pflicht?

Weltweit gibt es verfolgte Christen. Fordert die offizielle Lehrmeinung von ihnen, im schlimmsten Fall auch das Martyrium auf sich zu nehmen?

Lebenszeugnis: So wird das griechische Wort Martyrium übersetzt. Immer und überall gilt: Eine Christin, ein Christ soll so leben, dass daraus die christliche Hoffnung und die Liebe Gottes zu den Menschen deutlich wird.

Das gilt auch für den Fall von Verfolgung. Im Katechismus-Kompendium heißt es: „Der Christ muss die Wahrheit des Evangeliums in allen Bereichen seines öffentlichen und privaten Lebens bezeugen, nötigenfalls sogar mit dem Opfer seines eigenen Lebens.“ Das Martyrium sei „das erhabenste Zeugnis, das man für die Wahrheit des Glaubens ablegen kann“.

Das ist aber nicht als Aufforderung oder religiöse Pflicht zu verstehen. Der Jesuit Roman Siebenrock schreibt in einem Aufsatz zur Theologie des Martyriums: „Das Martyrium ist ein Charisma, das nicht erzwungen, provoziert oder anderen auferlegt werden darf. Niemals kann es gelernt oder verlangt werden.“ Auch der Kirchenvater Augustinus hatte betont: „Der Grund macht das Martyrium.“ Es kommt auf die Motivation an, die nicht verordnet werden kann.

Versuche, ein Blut-Martyrium als erstrebenswert anzusehen, wie sie etwa Ignatius von Antiochien Ende des ersten Jahrhunderts – einer Zeit der Verfolgung unter den römischen Kaisern – unternahm, wirken heute eher befremdlich. Auch Papst Franziskus versucht, den Begriff des Martyriums als ganzheitliches Glaubenszeugnis zu weiten, erinnert aber gleichzeitig an Extremformen, die es, wie Sie zu Recht schreiben, auch heute gibt.

Allerdings: Die Kirchengeschichte zeigt, dass blutige Glaubenszeugnisse die Ausnahme und keine Regel sind. Und: Wer sich benachteiligt, diskriminiert oder bedroht fühlt aufgrund seines Glaubens, wird für sich ein persönliches Leiden, ein Martyrium, erleben. Eine systematische Christenverfolgung ist das aber oft noch nicht. Wo religiöse Menschen benachteiligt oder verfolgt werden, werden oft auch andere Gruppen diskriminiert. Die Unterdrückung richtet sich gegen Minderheiten, gegen Frauen, queere Menschen, Dissidenten und andere und hat oft mehr politische als religiöse Gründe.

Michael Kinnen