Zehn Ordensschwestern wurden 1945/46 umgebracht

Jungfräulichkeit wertvoller als Überleben

Image
Zehn Schwestern der heiligen Elisabeth werden am 11. Juni in Breslau/Wroclaw seliggesprochen. Sie wurden 1945/46 umgebracht, als sie versuchten, sich und andere Frauen vor Vergewaltigungen russischer Soldaten zu schützen.

Da es kaum Fotos der Schwestern gibt, hat Schwester M. Felicita Szewczyk sie nach ihrer Vorstellung gezeichnet.

„Es ist gut, dass die Erinnerung wachgehalten wird“, sagt Elisabeth-Schwester Maria Dominika Kinder. Die ehemalige Oberin der deutschen Ordensprovinz wird zur Seligsprechung nach Breslau fahren. Durch den Ukrainekrieg hat das Thema eine „unheimliche Aktualität“ bekommen, findet die Schwester, die derzeit in der Magdeburger Niederlassung der „grauen Schwestern“ lebt. „Auch in diesem Krieg werden gerade wieder unzählige Frauen Opfer von Vergewaltigungen. Wir dürfen solche Geschehnisse nicht ad acta legen!“, ist sie überzeugt.
Jahrzehntelang sei über das Thema nicht geredet worden. Unter dem sozialistischen Regime war es in der DDR und in Polen „nicht erwünscht“, über die russischen Kriegsverbrechen zu reden. Für  Frauen, die Vergewaltigungen überlebt haben, war das Thema mit großer Scham behaftet, ein öffentliches Bewusstsein für Traumatisierung gab es noch nicht. Generell war Sexualität damals noch weitgehend ein Tabuthema, in Ordensgemeinschaften erst recht.

Nachdenken über Jungfräulichkeit
Von der Seligsprechung erhofft sich Dominika Kinder, dass sie  die Würde von Frauen als schützenswertes Gut stärker ins Bewusstsein rückt. Für Schwester Maria Paschalis Jahn und zehn weitere Schwestern, die stellvertretend für viele andere zur Seligsprechung ausgewählt wurden, sei es wichtiger gewesen, ihre Jungfräulichkeit zu verteidigen als ihr Leben zu retten. Diese Haltung ist für Zeitgenossen, auch innerhalb der Kirche, nicht leicht nachzuvollziehen, ist Schwester Dominika bewusst. Die Seligsprechung könnte ihrer Ansicht nach ein Anlass sein, über den Wert von Jungfräulichkeit nachzudenken. Der Kirche sei sie immerhin  bis heute so wichtig, dass sie ihre Verteidigerinnen als Märtyrerinnen anerkennt.
Vorangetrieben wurde die Seligsprechung von den polnischen Elisabeth-Schwestern, die heute in den einstmals zu Deutschland gehörigen schlesischen Klöstern leben. „Von Deutschland aus hätten wir eine Seligsprechung eher nicht angestrebt“, räumt die langjährige Provinzoberin ein. Fast alle deutschen Niederlassungen der „grauen Schwestern“ lägen in Diasporagebieten, begründet sie. Die evangelischen Christen in ihrer Umgebung könnten mit Selig- und Heiligsprechungen nicht viel anfangen, und das habe  auch bei den Elisabeth-Schwestern Wirkung gezeigt. Ihnen sei auch ohne Seligsprechung klar, dass ihre ermordeten Mitschwestern ihren Platz im Himmel haben.
Dennoch sei sie den polnischen Schwestern dankbar für ihre Initiative. Die gemeinsame Verehrung sei nicht zuletzt ein sichtbares Zeichen der Völkerverständigung.
Auch der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers wird gemeinsam mit Altbischof Joachim Reinelt an der Seligsprechung in Breslau teilnehmen. Bischof Timmerevers ist entfernt verwandt mit Schwester Maria Sabina Thienel, die 1945 in Lauban/Lubán erschossen wurde. Auch die zwanzig deutschen Schwestern, die mit Dominika Kinder in Breslau sein werden, haben keine der Seligsprechungskandidatinnen noch persönlich gekannt. Dass Schwester Pascchalis Jahn in der Gruppe der künftigen Seligen stets als erste genannt wird, hänge damit zusammen, dass ihre Verehrung seit ihrem Tod 1945 besonders gepflegt wurde. Das geht aus einer Broschüre hervor, die Schwester Dominika Kinder zur Erläuterung der Hintergründe der Seligsprechung verfasst hat. Das Grab von Schwester Paschalis im tschechischen Zöptau/Sobotin ist bekannt. Trotz des Wechsels der Bevölkerung in der Stadt wurde ihr Andenken als Heilige in Ehren gehalten. Daran hatte auch ihre Familie großen Anteil, die schon vor dem Krieg nach Westfalen umgezogen war.
Die Schwestern Maria Sapientia, Maria Adelheidis und Maria Melusia haben ihr Grab in Neisse/Nysa. Von vier Schwestern weiß man, auf welchem Friedhof sie beigesetzt wurden, die Gräber existieren aber nicht mehr. Zur Erinnerung an Schwester Maria Adela, die mit anderen Gewaltopfern in einem Bombentrichter begraben wurde, steht in Günthersdorf/Godziewszów eine Gedenktafel.

Zeitzeugen erzählten vom Mut der Schwestern
Allein die Kongregation der Schwestern von der heiligen Elisabeth hat mehr als 100 Mitglieder zu beklagen, die am Ende des Krieges gewaltsam umkamen oder verschleppt worden. Die zehn Frauen, die nun seliggesprochen werden, wurden ausgewählt, weil man von ihnen durch Augenzeugen-Überlieferungen weiß, welche innere Haltung sie. im Angesichts ihres Todes zum Ausdruck brachten.
Sie sind ohne Hass gegen ihre Peiniger und ohne Verzweiflung gestorben, einige mit einem ausdrücklichen Glaubenszeugnis, das Menschen beeindruckt und in ihrem eigenen Glauben gestärkt hat. „Erschießen Sie mich. Christus ist mein Bräutigam, nur ihm gehöre ich“, sagte beispielsweise Schwester Paschalis angesichts ihres drohenden Todes.
Keine der Frauen hat sich Schwester Dominika zufolge der Gefahr leichtfertig ausgesetzt, Einige hätten sich beim Anrücken der Roten Armee nicht in Sicherheit gebracht, weil sie alte Leute oder junge Mädchen in der gefährlichen Situation nicht allein lassen wollten.

Nähere Informationen in Schwester Dominika Kinders Broschüre „Selig“: www.schwestern-vdhl-elisabeth.com/Selig

Von Dorothee Wanzek