Buch "true facts" gibt Tipps

Kampf gegen Verschwörungsmythen

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Was tun, wenn unsere Mutter, unser Nachbar oder die beste Freundin plötzlich an Verschwörungsmythen glauben? Katharina Nocun und Pia Lamberty geben in ihrem Ratgeber „True Facts“ alltagstaugliche Antworten.

Ein Demonstrant hält ein Schild, auf dem "Corona-Fehlalarm?" steht.
Dieser Demonstrant behauptet im April 2021, die Corona-Maßnahmen seien übertrieben.

Von Andreas Lesch

Gary Matthews glaubte nicht an die Gefahr der Pandemie. Er lehnte die Corona-Regeln ab und schloss sich einer Facebook-Gruppe an, in der Verschwörungsmythen über das Virus verbreitet wurden. Dann erkrankte der britische Künstler an Corona. Und starb daran, im Alter von 46 Jahren. Mitglieder der Facebook-Gruppe drangsalierten seine Familie. Sie forderten eine Autopsie, sie wollten nicht akzeptieren, dass Matthews ein Opfer des Virus war.

Katharina Nocun und Pia Lamberty erzählen diese Geschichte in ihrem neuen Buch „True Facts“. Sie zeigen damit: Der Glaube an Verschwörungserzählungen hat verheerende Folgen. Manchmal endet er tödlich. Mit diesem Thema kennen sich die Politikwissenschaftlerin Nocun und die Psychologin Lamberty aus. Im vergangenen Jahr haben sie „Fake Facts“ geschrieben, ein herausragendes Buch darüber, wie Verschwörungsmythen entstehen und unser Denken bestimmen. „True Facts“ knüpft daran an und erklärt alltagstauglich, was wir tun können, wenn unsere Mutter, unser Nachbar oder unsere beste Freundin plötzlich an böse Mächte glauben, die vermeintlich hinter der Pandemie stecken. 

Wunsch nach Sicherheit und Kontrolle 

Die Autorinnen schreiben verständnisvoll, lösungsorientiert, realistisch. Sie betonen, wie schwer es ist, Menschen aus der Verschwörungswelt zu befreien – und sie versuchen, diese Herausforderung leichter zu machen. „Selten ist es einfach, häufig kompliziert und äußerst mühsam. Und manchmal wird man auch schlichtweg aufgeben müssen“, schreiben sie. Es gebe „keinen simplen Zehn-Punkte-Plan“, der immer funktioniert. 

Aber es lohne sich, den Kampf aufzunehmen. Denn der Glaube an eine große Verschwörung zerstört nicht nur Freundschaften, Familien und Menschenleben. Er radikalisiert Menschen und lässt manche sogar gewalttätig werden. „Er vergiftet langfristig das demokratische Miteinander“, so Nocun und Lamberty.

Die Autorinnen erklären, an welche psychologischen Grundbedürfnisse Verschwörungserzählungen anknüpfen: an den Wunsch nach Sicherheit und Kontrolle; an den Wunsch, die komplizierte Welt zu verstehen; oder an den Wunsch, positiv wahrgenommen zu werden. Wer diese Bedürfnisse kennt, kann das Gegenüber besser einschätzen. Dann erklären die Autorinnen Tricks, die Verschwörungsgläubige häufig benutzen: Mit Suggestivfragen stellen sie drastische Behauptungen in den Raum. Sie führen gezielt nur die Studien an, die ihre These untermauern – und blenden andere Forschungsergebnisse konsequent aus. Sie reißen Zitate aus dem Zusammenhang. Oder stellen Einzelmeinungen von Nicht-Experten als Wahrheit dar – und diffamieren den wissenschaftlichen Konsens als Teil einer Verschwörung. 

Es hilft, nicht belehrend mit einem Verschwörungsgläubigen zu reden, sondern zu betonen, wie sehr man ihn schätzt. Schon weil er sich den Zuspruch sonst erst recht aus seiner verschwörungsideologischen Gruppe holt. Je früher man interveniert, desto größer die Chance auf Erfolg. 

Zu Beginn, raten die Autorinnen, lohne es sich zu erfragen, wie lange das Gegenüber schon den neuen Glauben hat – und wie er sich entwickelt hat. Dann könne man durch Faktenchecks erste Zweifel an den wilden Thesen säen. Man solle Gemeinsamkeiten mit dem Gegenüber suchen und betonen, gerade in hitzigen Debatten. Helfen könne auch, gezielte Fragen zu stellen.

Klarer Widerspruch gegen Rassismus und Antisemitismus 

Etwa, wenn jemand von einer großen Weltverschwörung rede: „Wenn das wahr wäre, wie funktioniert das konkret? Wie viele Menschen müssten Mitwisser sein? Ist diese Zahl plausibel?“ Manchmal hilft es auch, einfach das Gesprächsthema zu wechseln – um so die Aufmerksamkeit des Gegenübers abzulenken von seinen Mythen. Sind die eigenen Eltern betroffen, kann man ihnen vorschlagen, gemeinsam Fotoalben aus schönen gemeinsamen Zeiten anzuschauen. Bei Freunden hilft vielleicht ein Kinobesuch oder ein Ausflug ins Grüne. Damit sie merken: Es gibt noch was im Leben, das positive Gefühle schenkt. 

Was nie hilft, so schreiben die Autorinnen, sind Druck und die Drohung, den Kontakt abzubrechen. Da schalten die meisten auf stur. Eskaliert die Lage, sei es besser, erst mal eine Kontaktpause vorzuschlagen. Natürlich müsse man auch Grenzen setzen, rassistischen und antisemitischen Äußerungen widersprechen – und bei massiven Grenzüberschreitungen überlegen, ob ein Kontaktabbruch doch nötig ist.

Jeder, so Nocun und Lamberty, solle immer im Kopf behalten, wie schwierig der Umgang mit Verschwörungsgläubigen ist. Man kann diesen Menschen Angebote machen. Die Entscheidung aber, aus der Ideologie auszusteigen, müssen sie selbst treffen.

Katharina Nocun und Pia Lamberty: True Facts. Quadriga Verlag. 176 Seiten. 12 Euro