Ratgeber „Männer trauern anders"

Kontakt zu den Gefühlen aufnehmen

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Thomas Achenbach aus Osnabrück arbeitet als Journalist und ist zugleich Trauerbegleiter. In dieser Funktion hat er ein Buch geschrieben: „Männer trauern anders.“ Über Gefühle, geschützte Räume und die Wahrheit über kluge Ratschläge.


„Trauer ist immer individuell“: In einem neuen Buch ist beschrieben, was Männern hilft, wenn sie um einen nahestehenden Menschen trauern. Foto: fotolia/©auremar-stock.adobe.com

„Männer trauern anders“ – der Titel klingt, als müsste es eine Norm geben, nach der wir trauern. Gibt es die?

Der Titel ist bewusst provokativ gehalten. Trauer ist immer individuell, es gibt natürlich keine Norm. Es existiert auch nicht der eine Weg der Trauer. Ich stelle in meinen Trauergruppen immer wieder etwas fest, was ich die „Hitparade“ nenne: Da wird gerne verglichen. Du hast ja nur einen Angehörigen verloren, der ohnehin alt war. Du hast zwar ein Kind verloren, aber du hast ja noch eins. Dein Kind ist tot, aber du bist jung und kannst noch eins bekommen. Das ist keine gute Herangehensweise.

Haben Sie es in Ihren Trauergruppen oft mit Männern zu tun?

Männer sind in diesem Bereich Mangelware. Sie gehen selten in eine Gruppe, und es gibt auch nur wenige männliche Trauerbegleiter. Im gesamten Kontext von Hospiz und Trauerbewältigung tauchen sie kaum auf.

Woran liegt das?

Möglicherweise an der Ansprache. Eine Kollegin aus dem Ruhrgebiet lud zur Männertrauergruppe ein – mit geringer Resonanz. Jetzt bittet sie zum Trauerstammtisch mit Currywurst und Bier. Das zieht.

Was ist mit den Rahmenbedingungen?

Es wird oft gesagt, dass Männer wenig über Gefühle reden. Das stimmt aber nicht. Wenn klar ist, wie die äußeren Bedingungen sind, wenn sie wissen, dass jetzt nichts nach außen dringt, dann reden sie auch. Diese Spielregel muss im Gespräch mit Männern noch klarer definiert werden, als wenn man Frauen begleitet.

Geht es hier auch um Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Im Allgemeinen fällt es Frauen leichter, über ihre Gefühle zu sprechen. Auf meine Frage „Wie geht’s Ihnen eigentlich?“ fing eine Frau mal hemmungslos an zu weinen. Das kommt in einer Trauerbegleitung durchaus mal vor und es darf auch so sein. Aber bei dieser Begleitung kamen wir dann so gar nicht mehr ins Gespräch zurück. Nach einer Stunde erst war es vorbei, aber sie zog das Resümee, dass es ihr jetzt viel besser gehe.

Und der Mann?

Fängt bei der gleichen Frage erst einmal an, Kontakt zu seinen Gefühlen aufzunehmen und hinzusehen, was da genau ist. Vor allem, wenn er der älteren Generation angehört. Wenn er dann sicher ist, dass nichts nach außen dringt, wird er beginnen zu reden. Und dann werden sich sehr wahrscheinlich auch seine Schleusen öffnen. Ich glaube, Männer empfinden ihre Gefühle sogar viel stärker als Frauen. Gerade deshalb haben sie aber oft Probleme, sie zu kontrollieren, und halten sich vorsichtshalber erst mal zurück.

Wie trauert denn nun der Mann – und sei es im Durchschnitt?

Er trauert gar nicht anders als eine Frau. Die Frage ist aber, wie er es auslebt. Und das ist dann schon anders als bei Frauen. Frauen können Trauer bearbeiten, indem sie darüber reden. Männer muss man da hinführen, dass sie reden. Ich habe mal einen so richtig gestandenen und kernigen Mann alter Schule begleitet, dem es wirklich nicht gut ging. Aber wir starteten unsere Gespräche immer mit den gleichen Worten, wie mit einem Ritual. Ich fragte, wie es geht, er antwortete: gut. Wir wussten beide, dass das nicht stimmt. Aber es brauchte dann immer erst noch einen Small Talk, bis er gewissermaßen den Vorhang öffnen konnte; dann kam es auch zu intensiven Gesprächen. Am Ende war es wichtig, den Vorhang wieder zu schließen. Da sagte er auf die Frage, wie es ihm jetzt gehe, wieder: gut.

Dauert es lange, bis Männer in eine Trauergruppe kommen?

Das kann manchmal so sein. Oft liegt es am Umfeld, das ihnen spiegelt, dass es jetzt aber auch mal gut sein müsse. Was natürlich Unsinn ist. Dann fragen sich viele, ob es normal ist, weil sie da noch so durchhängen. Wenn ich ihnen vermittle, dass das so sein darf, entsteht große Erleichterung.

Wie sind Sie selbst auf das Thema Trauer gekommen?

Als ich knapp 30 Jahre alt war, ist meine Mutter an Krebs gestorben. Danach habe ich eine allgemeine Unsicherheit bei anderen Menschen mir gegenüber empfunden. Ich habe mir die Frage gestellt, warum wir als Gesellschaft so unfähig sind zu trauern. Wir sind noch stark geprägt von der Trauererfahrung unserer Eltern und Großeltern, die im Krieg und danach nicht trauern durften. Das betraf ja eine ganze Generation, die in eine totale Ohnmacht gestürzt ist.

Verändert sich die Gesellschaft in dieser Frage?

Ich erlebe es so. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass derzeit viele Trauerratgeber erscheinen. Wir haben jetzt die Chance, diese Unfähigkeit zur Trauer, die ihren Grund hatte, hinter uns zu lassen. Der Kern von Trauerbegleitung ist ja: Gefühle, die da sind, dürfen auch sein.


Thomas Achenbach (44) arbeitet als Trauerbegleiter
und hat ein Buch geschrieben, wie Männer mit ihrer
Trauer umgehen können. Foto: Matthias Petersen

Was kann mir denn passieren, wenn ich das Gefühl der Trauer in mir nicht zulasse?

Der Verlust eines geliebten Menschen kann eine Person völlig aus der Bahn werfen – oder eben gerade nicht. Wenn ich also nicht gerade das Gefühl habe, dass mich die Situation vollkommen übermannt, kann es auch ein guter Umgang sein, die Trauer zunächst zur Seite zu schieben. Jeder hat seinen eigenen Weg, damit umzugehen. So lange es sich für ihn gut anfühlt, darf das sein. Das kann jahrelang anhalten.

Kann der Glaube eine Hilfe sein? Die Gewissheit, dass der Verstorbene bei Gott ist?

Der Glaube kann ein sehr gutes Gerüst sein und Halt geben. Wer einen Wertekanon hat, vor dessen Hintergrund er die traurigen Gefühle zulässt und damit umgeht, kann sich glücklich schätzen. Das muss aber nicht selbstverständlich sein. Auch ein solches Fundament kann brüchig werden.

Was hilft mir als Mann in meiner persönlichen Trauer?

Vor allem Männer brauchen dann jemanden, der zuhört, der bereit ist, immer wieder die gleiche Geschichte zu hören. Und das in einem geschützten Rahmen. Bei anderen Dingen sind Männer und Frauen dann auch wieder gleich: Sie möchten verstanden werden, möchten sicher sein, dass sie ihre Gefühle jetzt auch äußern dürfen. Ob im Einzelgespräch oder in einer Gruppe.

Was sollte das Umfeld besser nicht äußern?

Die Trauer sollte von anderen nicht kleingeredet werden. Oft passiert das aber aus einer Hilflosigkeit heraus. Dann heißt es: Ihr hattet doch eine schöne Zeit. Oder: Ihr könnt doch noch ein Kind haben. Eine solche Einstellung hilft nicht weiter.

Muss man einen Mann unterstützen, von dem man glaubt, dass er seine Trauer nicht zulässt?

Welche Strategie auch immer er gerade anwendet, es wird einen Grund haben. Man sollte ihn deshalb besser in Ruhe lassen. Ich werde oft von Freunden oder Bekannten eines Hinterbliebenen um Rat gefragt, die sich Sorgen machen. Mir ist dann wichtig, dass der Betroffene selbst es will, dass ihm geholfen wird. Sonst nützt das alles nichts. Zwang ist nie ein guter Berater.

Gibt es gute Ratschläge?

Es gibt ein Wort, das in jeglichem Therapeutenkontext angewendet wird. „Ratschläge sind Schläge“ – den Satz sollte man in jedem Fall ernst nehmen. Besser ist: einfach zuhören.

Interview: Matthias Petersen


Thomas Aachenbach: Männer trauern anders; ca. 166 Seiten; Patmos Verlag; ISBN 978-3-8436-1131-2; 17 Euro.