Jahresserie 2020: Hoffnungsgeschichten
Langes Leben mit Hoffnung gemeistert
Sich getragen wissen von etwas, das außerhalb der eigenen Fähigkeiten liegt. Darum geht es bei dem Begriff Hoffnung. Wie beim Segeln: Eine Yacht verlässt den Hafen. Draußen auf dem Meer wird der Motor ausgeschaltet, der Lärm ebbt ab, Stille kehrt ein. Mit einem sirrenden Geräusch werden die Segel gehisst. „Und dann dieser Moment und dieses Geräusch, wenn der Wind in die Segel greift, unbeschreiblich“, sagt Theodor Schneider, Theologie-Professor im Ruhestand, passionierter Hochsee-Segler. Von Julia Hoffmann.
„Ich ‚hoffe‘ nicht darauf, dass morgen die Sonne scheint“, sagt Schneider. Nicht, weil er schönes Wetter nicht zu schätzen wüsste, aber die Kategorie der Hoffnung ist stimmig, wenn es um eine größere Sehnsucht geht. „Ich hoffe auf das Geschenk eines höchsten Gutes.“ (Thomas von Aquin)
Beim „hamstern“ ging es ums Überleben
Welche Hoffnung hat ihn durch Krisenzeiten im Leben geführt? „In extremen Situationen, wie etwa im Krieg, war kein Platz für Gedanken wie Hoffnung und Zukunft. Da ging es ums nackte Überleben“, sagt Schneider.
Schneider wurde am 22. Mai 1930 in Essen geboren. Damals, in den Jahren nach dem Krieg, gab es auch schon den Begriff „hamstern“, der jetzt in der Corona-Krise oft zu hören ist. Aber er hatte eine andere Dimension: „Wir mussten hamstern gehen, um zu überleben“, erinnert sich Schneider. Er hat damals nach dem Krieg Hungerjahre durchlebt. „Wir bettelten bei den Bauern auf den umliegenden Höfen um Essen. Ein paar Kartoffeln, etwas Mehl, vielleicht sogar mal ein Stück Speck. Darum ging es.“ Aber auch die Landwirte stießen damals an ihre Grenzen. Denn es kamen viele Menschen aus der Stadt, die nichts zu essen hatten und etwas gegen Essen eintauschen wollten. Damals gab es den bitter ironischen Ausdruck: Die Kuhställe liegen voller Perserteppiche. Diese Erfahrungen haben Schneider geprägt. Er kann es zum Beispiel nicht nachvollziehen, wenn heute jemand Lebensmittel wegwirft, die man eigentlich noch essen könnte.
Darauf angesprochen, was ihn durch Krisenzeiten getragen hat, nennt Schneider seine Familie als wichtiges Fundament. Sie hat ihm das mitgegeben, was man Urvertrauen nennt. „Ich dachte damals, es sei selbstverständlich, wie es bei uns zuging, aber das war es gar nicht.“ Er beschreibt das Familienleben, das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern als herzlich, von Nähe und Zärtlichkeit geprägt. Es gab Umarmungen und oft einen Kuss. Dass das alles nicht selbstverständlich war, erfuhr er erst viel später. „Im Gespräch mit Studierenden ist mir bewusst geworden, wie sehr das einen Menschen prägt und negativ beeinflusst, wenn er immer hört: ‚Du kannst das nicht.‘ – So etwas habe ich nie erlebt.“
Schneider wuchs mit einer älteren Schwester und einem jüngeren Bruder auf. 1943, nach den ersten Großangriffen englischer Bomber, kam er in die Kinderlandverschickung in die Tschechei und nach Tirol. Die Mutter blieb beim Vater. Dieser war als Vermessungsfahrsteiger im Bergbau tätig.
Der Vater war im Krieg das, was man in Zeiten von Corona „systemrelevant“ nennen würde, musste deshalb nicht an die Front. Die Mutter wusste, dass ihre Kinder bei Freunden im Münsterland gut aufgehoben waren, und blieb bei ihm, als Essen zerbombt wurde. „Darüber habe ich oft nachgedacht“, sinniert Schneider.
Seine Eltern lebten ihm den Glauben vor. Von ihnen lernte er, dass es bei der Vermittlung von Glauben nicht in erster Linie um Worte geht, sondern darum, den Glauben authentisch vorzuleben. Diese Haltung hat er später als Theologie-Professor übernommen: „Ich wollte unseren Studierenden, den künftigen Multiplikatoren, Hilfe zum Glauben vermitteln“, sagt er. „Ich habe mich nie gescheut, deutlich zu machen, dass ich ein gläubiger Mensch bin.“ Der Wissenschaftsbetrieb sei häufig überstark von Faktenwissen geprägt gewesen. Die persönliche Überzeugung der Lehrenden stand manchmal hinten an. „Aber die Studierenden müssen auch spüren, dass Theologie Reflexion auf den Glauben ist!“
Der Glaube spiele auch beim Überwinden von Krisen eine wichtige Rolle: „Es gibt Menschen, die glauben nicht an ein Leben nach dem Tod. Für die ist das Jetzt alles, was möglich ist. Deshalb muss alles, was geschehen soll, jetzt geschehen. Dadurch wird es sehr anstrengend. Dann muss ich ja alles jetzt haben. Sei es das neue Auto oder die Weltreise.“
Durch den Glauben an die Auferstehung bekomme das Leben einen anderen Horizont. Dadurch gibt es mehr als das Hier und Jetzt. „Alles ist eingebettet in etwas Größeres. Und mir ist bewusst, dass ich nicht alles selbst in der Hand habe. Da kann ich schauen, was kommt.“ Das könne ein Stück weit Gelassenheit vermitteln.
Essentiell ist für ihn der Glaube an die Auferstehung Jesu. Die Überzeugung, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern ein Durchgang. „Das hat mich schon als Kind beschäftigt. Dieser Satz stand auf dem Grabstein meiner Oma: ‚Der Tod ist das Tor zum Leben’“. Das ‚O‘ bei Tor war gestaltet wie ein großes Tor. Hoffnung auf endgültiges Leben hat ihn geleitet und ihm Kraft gegeben. „Das ist der Haken, an dem mein persönlicher Glaube hängt.“ „Das befähigt zu Liebe und Hilfsbereitschaft, die jetzt verlangt wird“, sagt Schneider. Und zitiert den „frühen Ratzinger“, der ihn geprägt habe: „Wer liebt, ist ein Christ, und nur wer liebt, ist ein Christ“.
Wie ist das Leben nach dem Tod vorstellbar? Schneider spricht von einem endgültig verwandelten Leben, das jenseits der eigenen Vorstellungskraft liege. „Gott will, dass wir wieder bei ihm sind. Von ihm kommen wir, zu ihm gehen wir.“
Sein Glaube wurde nie ernsthaft angefochten, sagt er. Aber er hatte mal eine Krise mit der Kirchenleitung. Das war im Zusammenhang mit der so genannten „Kölner Erklärung“, damals war er tief irritiert. „Da gab es einen Moment, wo ich dachte, wenn die Linie des Papstes sich durchsetzt, dann war all meine Mühe in der Lehre umsonst.“ In dieser Krise habe ihm der Kontakt zu Freunden und Kollegen sehr geholfen. Und auch der Austausch in seinem Bibelkreis. Die Erkenntnis war wichtig, dass auch andere hadern, dass er mit seiner Sorge nicht allein ist.
Im Vergleich zu seinen bisherigen Erlebnissen versteht Schneider manches nicht in der Corona-Krise. Etwa, wenn sich Menschen um Klopapier prügeln. Das Horten von Nudeln, Mehl oder Konserven findet er noch nachvollziehbar: „Die Menschen haben Angst.“ Nach dem Krieg hätten sie nichts horten können, weil es nichts gab.
Die Hoffnung auf das große Du nicht verlieren
„Wenn man diese schrecklichen Kriegsjahre nicht erlebt hat, wenn man lange danach aufgewachsen ist, dann denkt man, dass alles immer besser wird. Und immer reicher. Man kann sich alles erlauben, es ist alles gut, und es wird alles noch besser. Jetzt kriegt man durch die Corona-Pandemie vor Augen geführt, dass das nicht selbstverständlich ist. Das irritiert, und man fühlt sich eingesperrt. „Wichtig ist die Hoffnung, dass es nicht so bleibt“, sagt er.
Besonders beeindruckt habe ihn Gabriel Marcel, der Philosoph, der 1889 in Paris geboren wurde und nach dem Krieg in deutschen Universitäten zum Thema Hoffnung gesprochen hat. Ein hochbegabter Mann sei er gewesen, klein von der Statur. Schneider erlebte ihn im Audimax der Kölner Universität. Mit Gehstock und Schnauzbart habe er zu den Studierenden gesprochen. Tosender Applaus am Ende seines Vortrags, Marcel schritt noch einmal zum Rednerpult und sagte: „Wie leicht fällt es, über all das zu reden, im Vergleich zu der Mühe, die es kostet, das Bedachte und Besprochene auch zu leben, und die Hoffnung auf das große Du nicht zu verlieren.“
Zur Person
Professor Theodor Schneider wurde am 22. Mai 1930 in Essen geboren. Nach seinem Abitur 1950 studierte er Philosophie und Theologie in Bonn und Freiburg. Am 23. Februar 1956 wurde er in Köln zum Priester geweiht. Seine Promotion folgte 1966 in Münster. 1970 wurde er an der Ruhr-Universität Bochum habilitiert. 1971 folgte er einem Ruf nach Mainz, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1998 als Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Johannes Gutenberg Universität tätig war. Heute lebt er im rheinhessischen Armsheim.