„Leuchtturm des Miteinanders“
Seit 20 Jahren gibt es in der Kieler Gemeinde St. Heinrich den Speisesaal für Arme und Obdachlose. Erzbischof Stefan Heße, Landtagspräsident Klaus Schlie und Kiels Oberbürgermeister Kämpfer würdigten das Projekt.
Die Gäste, die am Sonntagmittag vor dem Speisesaal von St. Heinrich in Kiel sitzen, sind nicht sehr gesprächig. Niemand ist stolz darauf, dass er arm und mancher auch obdachlos ist und deshalb hierher kommt. Dabei hätten die Menschen eine ganze Menge zu erzählen, von ihrem Leben oder auch nur von ihren Ansichten. „Entrechtete“ seien sie, sagt eine Frau, die nicht namentlich genannt werden möchte. Sie ist empört über einen Staat, in dem Parteien nur ein Sprachrohr der Lobbyisten seien und wo der Mindestlohn nicht ausreiche, um seine Existenz zu sichern, wo doch die Mieten unbezahlbar seien.
Die Ernte von 20 Jahren Speisesaal einfahren
Der Speisesaal aber, der sei große Klasse ebenso wie die Helfer vor Ort, darin sind sich die Gäste einig. Und auch der Herr Schlie ist ganz in Ordnung, obwohl er ein Politiker ist. Den Landtagspräsidenten kennen die meisten. „Aus der Zeitung“, sagt die Frau, als er reihum die Hände schüttelt. Dass Klaus Schlie Schirmherr des Speisesaals ist und sich dafür sogar privat engagiert, wissen sie. Weshalb die Gäste, wie sie in St. Heinrich genannt werden, dann doch noch zustimmen, dass ein gemeinsames Foto mit ihm gemacht wird.
Das Pontifikalamt mit Erzbischof Stefan Heße ist da schon längst rum. Der Familiengottesdienst war geprägt vom Dank für die Ernte in der Landwirtschaft und vom Dank dafür, „dass wir die Ernte von 20 Jahren Speisesaal einfahren können“, wie Heße es ausdrückte. Wobei er angesichts der bestürzenden Zahlen zum Missbrauch in der katholischen Kirche auch diesem Thema einen beträchtlichen Teil seiner Predigt widmete. „Das Kapitel ist nicht beendet“, sagte er und mahnte, die Opfer nicht zu vergessen.
Nach dem Gottesdienst, in dem auch für den seit längerem erkrankten Leiter des Speisesaals, Torsten Hensler, Fürbitte gehalten wurde, ist es an der Zeit, den Helfern und Freunden Dank zu sagen. Der Landtagspräsident macht den Anfang und spricht von der besonderen Verantwortung, die Christen für die Ausgegrenzten und Armen unserer Gesellschaft haben. Insofern sei der Speisesaal „ein ganz wichtiger Teil unmittelbar praktizierter christlicher Nächstenliebe“, so der CDU-Politiker. Eine Einrichtung wie der Speisesaal rege dazu an, „das eigene Konsumverhalten und vor allem die eigene Wertschätzung des ‘täglich Brot’ zu hinterfragen“, sagt der Landtagspräsident. Der Speisesaal sei ein „Leuchtturm des sozialen Miteinanders.“
Schlie ernennt außerdem die langjährig ehrenamtlich aktive (und völlig überraschte) Josepha Müller zum Ehrenmitglied des Fördervereins und überreicht ihr eine Erinnerungsmedaille.
Auch der Kieler Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) ergreift das Wort. Zu gratulieren, das falle schwer. Denn der Freude, dass es den Speisesaal gibt, stehe das Bedauern gegenüber, „dass es ihn geben muss.“ Und das in einer Wohlstandsgesellschaft, in der 20 Prozent aller Lebensmittel weggeworfen würden, sagt Kämpfer. Zugleich wendet er sich gegen die Einschätzung, die Kirche und Hilfsorganisationen seien Lückenbüßer. Wer Steuern zahle, habe damit noch nicht alles getan, um der Solidarität und dem Gebot der Nächstenliebe Genüge zu leisten. „Ich glaube, das muss Hand in Hand gehen; das eine ist so wichtig wie das andere“, so Kämpfer.
Der Dank gilt auch evangelischen Christen
Karl-Friedrich Nonnenbroich, Vorsitzender des Speisesaal-Fördervereins, dankt sowohl Schlie für dessen Engagement als auch Kämpfer, als Vertreter der Stadt. Und auch den evangelischen Christen gilt der Dank, sowohl für finanzielle Hilfen als auch für das ehrenamtliche Engagement vieler Helfer. „Sie sind wirkliche Freunde“, so Nonnenbroich.
Wenig später trafen sich dann alte Freunde wieder: Sowohl Pfarrer Klaus Warning, der den Speisesaal damals ins Leben gerufen hatte, als auch sein Nachfolger, Pastor Norbert Bezikofer, waren gekommen. Und so gab es ein Wiedersehen mit Josepha Müller und Brigitta Wulsdorf, ebenfalls Engagierte der ersten Stunde. Und diese erste Stunde liegt sogar länger als 20 Jahre zurück. Denn schon in mehreren Jahren zuvor wurden Obdachlose in St. Heinrich bewirtet. „Das Wichtigste waren immer die Menschen. Deswegen heißen sie auch unsere Gäste“, so Warning.
Sodann waren alle eingeladen, selbst mal eine leckere Pizza aus der Speisesaal-Küche zu kosten, wobei angesichts des großen Andrangs auch der Gemeindesaal zum Speisesaal umfunktioniert worden war.
Text u. Fotos: Marco Heinen