Annette Kurschus legt Ämter nieder
Lob für konsequentes Handeln
Foto: kna/Harald Oppitz
Rücktritt an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): Nach nur zwei Jahren hat Annette Kurschus (60) ihr Amt als Ratsvorsitzende der EKD niedergelegt. Vor Journalisten in Bielefeld erklärte sie am Montag, auch ihr Leitungsamt als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen abzugeben. Die Geistliche war wegen ihres Umgangs mit einem Fall sexuell übergriffigen Fehlverhaltens massiv unter Druck geraten. Evangelische und katholische Kirchenvertreter bekundeten Respekt für ihre Entscheidung.
Nach Recherchen der "Siegener Zeitung" soll Kurschus als Gemeindepfarrerin in Siegen schon Ende der 1990er-Jahre über Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens gegen einen ihr bekannten Kirchenmitarbeiter informiert gewesen sein, diese aber nicht gemeldet haben. Das Blatt stützt sich auf eidesstattlich versicherte Aussagen zweier Zeugen.
Kurschus wies dagegen erneut zurück, sie habe etwas vertuscht: "In der Sache bin ich mit mir im Reinen." Sie habe damals allein Homosexualität und die eheliche Untreue des Beschuldigten wahrgenommen. Niemals sei es ihr darum gegangen, Sachverhalte zu vertuschen oder einen Beschuldigten zu decken.
"Seit mehr als einer Woche wird in der Öffentlichkeit ein Konflikt geschürt", beklagte Kurschus weiter - auch mit Blick auf die Medien. Die aktuelle Entwicklung mache es unmöglich, sich weiter gesellschaftspolitisch oder theologisch zu äußern. "Deshalb - und nur deshalb" trete sie zurück.
Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, bisher stellvertretende Ratsvorsitzende, steht nun kommissarisch an der Spitze des Gremiums. Beobachter sehen in ihr auch eine aussichtsreiche Kandidatin für die Nachfolge. Fehrs dankte Kurschus und sprach von der "Verpflichtung, den eingeschlagenen Weg bei Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt konsequent weiter voranzugehen".
Auch für die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, zeigt Kurschus mit ihrem Schritt, welchen Stellenwert konsequentes Handeln beim Thema sexualisierte Gewalt für die evangelische Kirche habe. Die Vertretung der Missbrauchsbetroffenen und das EKD-Beteiligungsforum erklärten: "Ihre Entscheidung, auf die Ämter zu verzichten, schützt unsere Arbeit vor weiteren Belastungen."
Bätzing: Ökumenischer Motor verliert wesentlichen Antrieb
Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz reagierte "mit großem Bedauern" auf den Rücktritt. Die Gründe und Debatten darüber wolle er nicht beurteilen, erklärte der Limburger Bischof Georg Bätzing, aber "mit dem Rücktritt von Annette Kurschus verliert der ökumenische Motor in unserem Land einen wesentlichen Antrieb". Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, lobte die klaren Konsequenzen, die Kurschus gezogen habe: "Ich wertschätze ihre Entscheidung."
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, sprach von einem "wichtigen Signal der persönlichen und institutionellen Verantwortungsübernahme". Zugleich kritisierte sie, dass Kurschus vor allem den öffentlichen Druck als Kriterium für den Rücktritt benannt habe.
Der Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, notierte auf X: "An Annette Kurschus könnte sich so mancher katholische Bischof ein Beispiel nehmen." Die katholischen Theologen Daniel Bogner und Thomas Schüller erklärten auf X und Facebook: "An das katholische System: So geht Verantwortung, wenn man Leitung innehat" und "Man würde sich wünschen, so große Klarheit gäbe es auch bei katholischen Würdenträgern."
Kurschus ist nach Margot Käßmann die zweite Frau an der EKD-Spitze, die ihre leitenden Kirchenämter vorzeitig abgibt. Käßmann war 2010 alkoholisiert Auto gefahren und von der Polizei gestoppt worden.
Als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) übernimmt Ulf Schlüter, theologischer Vizepräsident, die kommissarische Leitung der Landeskirche. Bei der am Wochenende anstehenden Landessynode wird es laut EKvW noch keine Präseswahl geben.
Kurschus leitete seit 2012 als Präses die westfälische Landeskirche. Diese ist mit rund zwei Millionen Mitgliedern die viertgrößte Gliedkirche der EKD, die rund 19,2 Millionen evangelische Christen in Deutschland vertritt.