Frankreichs Präsident zwischen Laizität und gutem Willen

Macron und die Religion

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Emmanuel Macron bleibt Präsident Frankreichs. Religionsgemeinschaften und der Präsident stehen vor entscheidenden fünf Jahren.

Foto: kna/Vatican Media/Romano Siciliani
Emmanuel Macron ist selbst Katholik, die Meinung der Kirche ist ihm wichtig - auch wenn er sie als Präsident nicht immer umsetzen kann. Foto: kna/Vatican Media/Romano Siciliani


Emmanuel Macron und die Religion: nicht wirklich eine Gretchenfrage. Der alte und neue Präsident agiert stets vom Staat her und von der staatlichen Laizität - wie es sein Verfassungsauftrag ist. An Berührungspunkten zwischen Staat und Kirche mangelt es freilich nicht.

Eines hat die Präsidentenwahl 2022 überdeutlich gezeigt: Die traditionellen Wählermilieus sind kollabiert. So votieren auch immer mehr enttäuschte und mit der Globalisierung fremdelnde Katholiken für den rechtsextremen Rassemblement National und andere Rechtsradikale - über Jahrzehnte ein No-go. In früheren Wahlen wählten Frankreichs Katholiken stets eher bürgerlich und blieben unter dem Landesdurchschnitt für extreme Kandidaten.

Während sich die katholischen Bischöfe im Vorfeld der Stichwahl am Sonntag nur wachsweich zum zweiten Wahlgang äußerten, positionierten sich die Protestanten klar für Macron und gegen Le Pens Populismus. Und noch klarer die Repräsentanten der rund sechs Millionen Muslime im Land: Le Pen, erklärte Gegnerin von Globalisierung, "Fremdarbeitern", "Überfremdung" und Multikulturalismus, ist für sie schlicht nicht wählbar.

Das klare Votum der Islamverantwortlichen pro Macron war gleichwohl nicht selbstverständlich; im ersten Wahlgang hatten sie vor allem den Linkspopulisten Jean-Luc Melenchon gewählt. Präsident Macron zeigte in seiner ersten Amtszeit durchaus klare Kante, was das politische Bekenntnis von Muslimen zu den Werten der Republik angeht. Im Zwist um eine "Charta der Prinzipien" für den Islam in Frankreich entzog die Regierung dem nationalen Islam-Dachverband CFCM am Ende das Recht, die Muslime im Land zu vertreten. Das Gremium zerbrach; ein klarer gemeinsamer Neuanfang von Staat und Islam muss nun folgen.


Laizität kein Kampfinstrument gegen eine bestimmte Religion

Das Dauerspannungsfeld von Laizität oder Laizismus lässt Frankreich - "älteste Tochter der Kirche" und zugleich das Land mit den europaweit meisten Muslimen und Juden, niemals los: Nutzt der Staat seine weltanschauliche Neutralität, um freie Religionsausübung positiv zu schützen und zu begünstigen - oder definiert er den öffentlichen Raum als möglichst frei von religiösem Bekenntnis? Die teils widersprüchlichen Urteile französischer Gerichte zum Tragen religiöser Symbole spiegeln eine gesellschaftliche wie behördliche Verunsicherung wider.

Im Wahlkampf 2022 schimpfte Le Pen auf Einwanderer mit muslimischem Schleier - den sie im öffentlichen Raum verboten sehen will. Aus anderen gesellschaftsethischen und religiösen Fragen hielt sie sich, schon traditionell, weitgehend heraus. Im einzigen TV-Duell der beiden Stichwahl-Kandidaten am Mittwochabend warnte Macron, Le Pens Kopftuchverbot würde "den Bürgerkrieg in die Vorstädte" tragen; zudem wäre es verfassungswidrig: Laizität bedeute Neutralität und sei nicht ein Kampfinstrument gegen eine bestimmte Religion.

Macron, dem Feindbild nach "arrogant und abgehoben", stammt zwar aus einer nichtreligiösen Familie, ließ sich aber mit zwölf Jahren katholisch taufen; einen Teil seiner Schulausbildung absolvierte er an einer Jesuitenschule. In seiner ersten Amtszeit hat er deutlich gemacht, dass er ein neues Kapitel im Verhältnis von Regierung und Kirche aufschlagen wolle.

Die durch Missbrauchsskandale und Säkularisierung angefochtene Kirche ermunterte Macron 2019, weiter Präsenz in den öffentlichen Debatten zu zeigen. Ihre Anfragen etwa zu Bioethik und Flüchtlingspolitik beträfen nicht eine Minderheit, sondern die Gesellschaft als ganze. Politische Umsetzung und christliche Ideale seien nicht immer deckungsgleich; aber: "Wir zucken nicht mit den Achseln, wenn wir die Einwände der Kirche hören." Die Republik, so der Präsident, "erwartet viel von ihnen".

In seiner Entgegnung betonte damals der Bischofskonferenz-Vorsitzende Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort - freilich vor der Kontroverse um Corona-Lockdown contra Freiheit des Gottesdienstes -, "Gemeinwohl" bedeute mehr als die Summe von Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen wie Schul- und Gesundheitswesen, Straßenbau, Strom- und Wasserversorgung. Es gehe vielmehr darum, wie alle Teile der Gesellschaft gemeinschaftlich voneinander profitieren könnten. Dieser Gedanke wurzele zutiefst in der Idee des Christentums.

All das sind schöne und würdige Worte. Tatsächlich ist die katholische Kirche in einer grundstürzenden Krise, der Islam unter argwöhnischster Beobachtung und der wiedergewählte Präsident unter starkem Lieferdruck. Der Tag gehört dem Durchatmen; die nächsten fünf Jahre entweder einer entscheidenden Wende - oder eben Schlechterem.

kna