Als Reaktion auf den Missbrauchsskandal

Marx bietet Papst Rücktritt an

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Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat Papst Franziskus darum gebeten, zurücktreten zu dürfen. Mit diesem Schritt wolle er Mitverantwortung für den Missbrauchsskandal tragen, sagte Marx. Die Kirche sei an einem toten Punkt angekommen. 


Will auf sein Amt verzichten: der Münchner Kardinal Reinhard Marx 

Die Nachricht aus München kam am Freitag wie ein Donnerschlag. Während im Erzbistum Köln päpstliche Kontrolleure erwartet werden, teilt Kardinal Reinhard Marx überraschend mit, dass er dem Papst seinen Rücktritt als Münchner Erzbischof angeboten hat. Schon seit längerem denke er darüber nach, was die derzeitige Krise in der Kirche auch für ihn bedeute, schreibt der 67-Jährige in einem Brief an Franziskus, datiert vom 21. Mai. Im Kern gehe es darum, "Verantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche".

Der Stratege unter den deutschen Bischöfen zeigt damit, dass er nicht an seinem Amt hängt. Als zupackender Charakter, ja als Macher ist der gebürtige Westfale über Jahrzehnte bekannt geworden. Ein steiler Aufstieg vom Bischof von Trier, der 2007 dem Ruf nach München folgte und drei Jahre später den Kardinalstitel erhielt. Der Kirchenmann ist ein auch international geschätzter Gesprächspartner. So war er von 2012 bis 2018 Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) und von 2014 bis 2020 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Beide Male wäre eine Wiederwahl möglich gewesen, aber Marx trat bewusst nicht mehr an.

Das Rücktrittsangebot passt zu einem, der über die vergangenen Jahre auch öffentlich immer öfter seine nachdenkliche Seite zeigte. Seine persönlichen Kräfte seien bei allem Gestaltungswillen nicht unendlich, bekannte er einmal in einem Interview. Melancholie sei sein ständiger Begleiter: "Lange irgendwo draußen sitzen und nur die Wiesen anschauen, das machte auch schon mein Vater gern." Das sind ungewöhnliche Töne von einem, der an den Schaltern der Macht sitzt.

Dazu gehört auch, dass er nach wie vor Berater des Papstes ist. In dessen Wirtschaftsrat, der weiterhin um das finanzielle Überleben des Vatikan ringt, hat er mehrere deutsche Expertinnen platzieren können - auch eine Form der Frauenförderung in der Kirche. In seiner Bistumsverwaltung ist die operative Führungsriege mittlerweile zur Hälfte weiblich. Seit 42 Jahren ist er nun Priester und fast 25 Jahre Bischof. Es schmerze ihn, "wie sehr das Ansehen der Bischöfe in der kirchlichen und in der säkularen Wahrnehmung gesunken ist, ja möglicherweise an einem Tiefpunkt angekommen ist".

Es macht den Anschein, als ob Marx zuletzt versucht habe, sein Haus zu bestellen und mit sich ins Reine zu kommen. Anfang Dezember 2020 brachte er den "allergrößten Teil" seines Privatvermögens in eine Stiftung für Betroffene sexuellen Missbrauchs ein, insgesamt eine halbe Million Euro. "Mir ist klar, Geld kann keine Wunden heilen; aber es kann dazu beitragen, dass Bedingungen geschaffen werden, die Heilungs- und Wandlungsprozesse zu ermöglichen." Als im April mehrere Betroffene sexuellen Missbrauchs sich darüber erregten, dass er das Große Verdienstkreuz mit Stern bekommen solle, verzichtete der Kardinal und ließ wissen: «"ch nehme die Kritik sehr ernst."

In der Karwoche und an Ostern ist dann die Entscheidung gereift, selbst den Rücktritt anzubieten - aber nicht aus Resignation, sondern um einen Wendepunkt zu markieren und einen Impuls zu setzen. Die Wende für die Kirche könne nur der Synodale Weg bringen, schreibt Marx an den Papst. Nur er ermögliche die "Unterscheidung der Geister". Er macht in seinem Schreiben deutlich, dass er eine grundlegende Erneuerung der Kirche in Deutschland und weltweit nach ihrem jetzigen "toten Punkt" für notwendig hält. Ob, wann und mit welchen Konsequenzen der Papst den spektakulären Rücktritt annimmt, ist eine Frage, die weit über die Person Marx hinausreicht.

"Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit", lautet Marx bischöflicher Wahlspruch. Nun hat er sich die Freiheit genommen, selbst seinen Rückzug anzubieten, ganz ohne Druck von außen, wie ihn der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki täglich zu spüren bekommt. Wenn demnächst eine Münchner Anwaltskanzlei ein neues Gutachten zum Umgang mit Verbrechen an Kindern in seinem Erzbistum veröffentlicht, wird gegen Marx jedenfalls kaum noch Druck aufzubauen sein.

kna/Barbara Just