Anfrage
"Mein Gott" - eine Provokation?
Im Johannesevangelium sagt Thomas zu Jesus: „Mein Herr und mein Gott.“ Welche Wirkung hatte das auf die Jünger und auf die übrige jüdische Bevölkerung? War der Ausspruch „... Mein Gott“ für viele nicht eine Provokation? Bernhard Borken, Erfurt
Tatsächlich war das der Knackpunkt überhaupt. Denn dass ein Messias kommen wird, das war im jüdischen Glauben verankert. Aber dabei geht es um einen besonderen Menschen, einen endzeitlichen König, einen neuen David. Ein „Sohn Gottes“ oder eine Person, die irgendwie Gott gleich ist – das ist nicht mit dem jüdischen Glauben vereinbar.
Darauf macht das Neue Testament verschiedentlich aufmerksam. So ist im Johannesevangelium der Hauptanklagepunkt, den „die Juden“, wie Johannes immer schreibt, vorbringen: „Wir haben ein Gesetz und nach diesem Gesetz muss er sterben, weil er sich als Sohn Gottes ausgegeben hat.“ (Joh 19,7) Und schon vorher, beim Streitgespräch beim Tempelweihfest, drohen „die Juden“: „Wir steinigen dich nicht wegen deiner guten Werke, sondern wegen Gotteslästerung. Denn du bist nur ein Mensch und machst dich selbst zu Gott.“ (Joh 10,33)
Der Satz des Thomas war also eine ungeheure Provokation. Allerdings kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass Thomas diesen Satz historisch acht Tage nach der Auferstehung so gesagt hat.
Warum nicht? Das Johannesevangelium wurde um die Jahrhundertwende geschrieben, also etwa 70 Jahre nach den historischen Ereignissen. Aus der kleinen Jüngerschar war eine schon weit verbreitete Bewegung geworden und aus der Predigt Jesu – auch dank Paulus – eine systematische Theologie.
Die Göttlichkeit Jesu nimmt in dieser Theologie eine zentrale Stellung ein – und Johannes ist derjenige, der diesen Gedanken ganz besonders vorantreibt. Das erkennt man etwa an dem Prolog, den Johannes statt einer Geburtsgeschichte seinem Evangelium voranstellt: „Im Anfang war das Wort ... und das Wort war Gott ... und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“
Dass Jesus Gott ist – dieser Glaube war so neu und so skandalös, dass es lange brauchte, um ihn zu formulieren. Johannes hat es getan – an vielen Stellen und auch durch das Bekenntnis des Thomas.
Susanne Haverkamp