Erinnerung an Uraufführung von Olivier Messiaens „Quartett für das Ende der Zeit“

Mit Musik Sehnsucht wecken

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In der Görlitzer Heilig-Kreuz-Kirche wurde an die Uraufführung von Olivier Messiaens „Quartett für das Ende der Zeit“ im Kriegsgefangenenlager STALAG VIIIa im heutigen Zgorzelec erinnert.

Wo sich einst das Kriegsgefangenenlager STALAG VIIIa befand, gibt es heute ein europäisches Zentrum für Erinnerung, Bildung und Kultur. Oliver Messiaen war Gefangener in diesem Lager und komponierte hier das „Quartett für das Ende der Zeit“.    Foto: Joachim Rudolph

 

Im früheren Ostteil der Stadt Görlitz im heutigen polnischen Zgorzelec befand sich das Kriegsgefangenenlager STALAG VIII a. Aus verschiedensten Ländern waren dort in der Zeit von 1939 bis 1945 einhundertzwanzigtausend Menschen gefangen, darunter auch der 1908 in Avignon geborene und in Paris lebende Komponist und Organist Oliver Messiaen. In seiner neunmonatigen Lagerhaft schrieb er das weltberühmte „Quartett für das Ende der Zeit“ und führte es am 15. Januar 1941 in einer Theaterbaracke zum ersten Mal vor etwa 400 Kriegsgefangenen und dem Lagerwachpersonal auf.

Überlebenswillen stärken und eine Vision von Freiheit geben
Ein mutiges Unterfangen Messiaens, durch Musik Hoffnung zu vermitteln, Sehnsucht zu wecken, in den Mitgefangenen den Glauben zu stärken, dass es ein Ende des Leidens geben wird und die Freiheit keine Utopie ist! Unter primitivsten Bedingungen komponierte Messiaen, ihm zur Seite drei weitere Häftlinge, professionelle Musiker, die später sein Werk zur Uraufführung brachten.
Abenteuerlich war auch die Beschaffung der Musikinstrumente, einer Klarinette, einer Geige, einem Cello, einem Klavier. So organisierten zum Beispiel Mitgefangene mit Spenden den Kauf eines Cellos und das Klavier beschaffte der musikalisch interessierte deutsche Lagerkommandant Carl-Albert Brüll. Über Wächter des Lagers erhielt Messiaen heimlich Papier und einen kleinen Bleistift zum Schreiben der Noten.
Der tiefgläubige Katholik Messiaen nahm als Grundlage für sein Werk einen biblischen Text: Worte aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 10. Dort ist in einer Vision vom Engel Gottes die Rede als Lichtgestalt, „der vom Himmel auf die Erde kommt und eine Botschaft verkündet …“, dass es keine Zeit mehr gäbe…“ Auf was soll der Mensch hoffen und warten? Hoffnung, sie ist ausgedrückt in Licht und Worten, die in geheimnisvoller Bildsprache ausdrücken, dass die Zeit zu Ende geht.
Vieldeutig ist dieses Wort im Blick auf die Lagerhaft: Gibt es wieder Freiheit? Gibt es eine Aussicht, in die Heimat zu gelangen, nach Hause zu kommen? Wer sich in die Musik dieses Quartetts hinein versenkt, wird spüren, wie die Welt erschüttert ist, aber es gibt in diesem Musikstück auch die ermutigenden Klarinettenklänge, die den Blick zum Himmel lenken.
Im Zusammenspiel der vier Instrumente verliert die Welt auf einmal alle Düsternis und strahlt in farbiger Pracht, stärkt in allen den Überlebenswillen und ist eine Vision der Freiheit, an die man sich klammern soll.
Einige Monate nach der Uraufführung gelingt es französischen Unterhändlern, Messiaen und die weiteren drei Musiker aus der Gefangenschaft zu befreien. Heute steht am ehemaligen Lagerort im heutigen Zgorzelec eine Europäische Gedenkstätte, in nur einem Jahr gebaut und gern als kleines architektonisches Wunder bezeichnet. Dieser Ort dient einerseits dem Gedenken an all das Leid, das dort im Lager geschah und andererseits wird internationale Jugendarbeit ermöglicht an dem Platz, „wo Musik inmitten von Leid entstand“.
In Workcamps mit deutschen, italienischen und polnischen Schülerinnen und Schülern passiert Begegnung und gemeinsames Forschen und Arbeiten. Reste der Baracken sind mit Hilfe der Jugendlichen freigelegt worden und mehrsprachige Hinweistafeln entstanden. Beeindruckend ist die Foto-Ausstellung im Zentrum, die an Menschen, Ereignisse und Tragödien des Lagers und der Kriegszeit erinnern.

Gedenkkonzert coronabedingt in der Heilig-Kreuz-Kirche
Einmal im Jahr findet zum Gedenken an Olivier Messiaen – immer am 15. Januar – die Aufführung des „Quartetts für das Ende der Zeit“ statt. Coronabedingt kann es 2022 nicht in gewohnter Weise gespielt werden. Was ist dennoch möglich?
Die katholische Pfarrgemeinde Heilig Kreuz in Görlitz entwickelt zusammen mit dem Verein „Meetingpoint Music Messiaen e.V. eine spannende Idee: Innerhalb einer Andacht erfolgt die Wiedergabe der Musikfilmaufnahme des „Quartetts für das Ende der Zeit“, die 2020 durch den deutsch-französischen Sender ARTE an historischem Ort, dem ehemaligen Kriegsgefangenenlager STALAG VIIIa im polnischen Teil der Europastadt Görlitz-Zgorzelec mit namhaften internationalen Künstlern produziert wurde.
Frank Seibel, Vorsitzender des Meetingpoint Music Messiaen äußert dazu, dass diese Filmaufnahme des Konzerts in zweieinhalb Tagen „voller Konzentration und Einkehr, die Bilder des Kriegsgefangenenlagers vor Augen, in einem ungewöhnlichen Konzertsaal in der heutigen Gedenkstätte entstanden ist“. Die Veranstalter der musikalischen Andacht gaben ihr die Überschrift: „Angst und Hoffnung“. Gemeindepfarrer Elsner begrüßt in der gut besetzten Kirche in deutscher und polnischer Sprache die Besucher und beschreibt „Messiaens Musik als Kunst, die man spürt und bei der man auch weinen kann“.

Coronabedingt nun per Video: Erinnerung an die Aufführung des „Quartetts für das Ende der Zeit“.


Vorn im Altarraum ist gut sichtbar eine große Leinwand aufgebaut. Neben der Leinwand steht die große alljährlich aufgebaute Weihnachtskrippe, ein Stall aus Holz, arm und doch Ort größter Hoffnung, weil Jesus geboren wurde. Ein Vergleich drängt sich auf: Messiaens Musik , aufgeführt in der Theaterbaracke aus Holz im Kriegsgefangenlager wird zur Melodie der Hoffnung für die Leidenden! Das Licht in der Kirche ist nur gedämpft, es ist fast dunkel, aber der Altarraum ist in lila Licht getaucht, eine Einladung zum Innehalten, zum Beten, zum Erinnern. Fünfzig Minuten lang erleben die Besucher der Andacht die teils düsteren, teils zarten, aber auch heiteren Klänge dieser Hoffnungsmusik, die ein Gebet ist! Ja, Mut machend und Leid überwindend, so will dieses musikalische Werk des französischen Komponisten Menschen stärken, trösten, aufrichten.

Ein Ausnahmezustand zwischen Himmel und Erde
Diese Klänge im Zusammenspiel von Klarinette, Geige, Cello und Klavier muten an, so Frank Seibel, wie „ein Ausnahmezustand zwischen Himmel und Erde, acht Sätze zwischen Traurigkeit und Hoffnung, Meditation und Tanz“. Diese eindringliche Musik gilt als eines der bedeutendsten kammermusikalischen Werke der Neuzeit. Die Klänge reißen mit in die Tiefe, spiegeln Leid und Verzweiflung und führen doch hinaus ins Weite und hinauf in den Himmel.
Die Instrumente geben ein Lied von der Hoffnung wieder. Die Botschaft des Engels aus der Offenbarung des Johannes, die hinter diesem musikalischen Werk steht, lässt damals und heute die Menschen glauben an eine neue und gute Zukunft. Die Andacht endet mit eindringlichen und zugleich einladenden Worten, erfüllt von Musik das neue Jahr zu beginnen und beseelt davon zu sein, dass diese Messiaen – Klänge Angst nehmen und Hoffnung geben.

Von Joachim Rudolph