Im Wahlkampf stellen Politiker sich den Fragen von Migranten

Mitreden ohne Stimme

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Wahlkampf für Menschen am Rande: In der Edith-Stein-Kirche in Hamburg-Neuallermöhe stellten sich Politiker den Fragen und Sorgen der Menschen, die zum Teil gar nicht wählen dürfen. 

 Wahldiskussion in den Räumen der Edith-Stein-Kirche in Hamburg-Neuallermöhe
Wahldiskussion in den Räumen der Edith-Stein-Kirche in Hamburg-Neuallermöhe. Foto: Andreas Hüser

In der Edith-Stein-Kirche sammeln sich Menschen aus allen Ländern. Die katholische Kirche liegt direkt im Zentrum des in den neunziger Jahren hochgezogenen Wohngebiets Neuallermöhe bei Hamburg-Bergedorf. International ist die Kita im eigenen Haus. Und wer in der Patsche steckt, bekommt in den Gemeinderäumen Beratung und Hilfe. Peter Beckwermert hat die Aufgabe, sich im Auftrag der Pfarrei Heilige Elisabeth um Menschen in Not zu kümmern. Am 10. September hat der Sozialpädagoge fünf Gäste eingeladen: Cetin Akbulut (FDP), Metin Hakverdi (SPD), Stephan Jersch (Die Linke), Manuel Sarrazin (Grüne), Uwe Schneider (CDU), die Bundestagskandidaten des Wahlkreises 23. Die ARD-Moderatorin Anna Planken leitet das Gespräch und stellte den Politikern die Frage: Was werden Sie für Neuallermöhe tun, wenn Sie gewählt werden? 

Der Saal ist voll, man sieht viele Frauen mit Kopftuch. Viele der Anwesenden dürfen gar nicht mitwählen. Aber auch für sie wird Politik gemacht. Afghanistan etwa ist für einige kein Land am Ende der Welt, sondern die Heimat. Zerknirscht und einhellig stellen die Politiker fest: Die Afghanis­tan-Politik des Westens war eine Katastrophe. Jetzt muss mit den Taliban verhandelt werden. Sie werden Geld verlangen. Soll es ein Aufnahmekontingent geben, auch wenn andere EU-Länder sich dagegen sperren? Die Kandidaten streiten sich. Dann ergreift eine junge Frau aus Afghanistan das Wort. Sie hat Mut, denn sie spricht nur gebrochen Deutsch, das sie in der Edith-Stein-Kirche gelernt hat. Als „Geduldete“ hat sie keinen Anspruch auf einen Sprachkurs. Sechs Jahre wohnt sie schon in einer Wohnunterkunft, drei Kinder hat sie zur Welt gebracht, die Zukunft ist unklar. Die junge Mutter kann unter Tränen nicht weiterreden. Die Politiker versprechen zu helfen. „Kettenduldung“ über sechs Jahre, das gehe eigentlich gar nicht. Ein anderes Problem: Die Ohnmacht der einfachen Leute gegenüber den Behörden, dem Jobcenter etwa. „Seit Monaten ist dort wegen Corona die Tür zu“, sagt Peter Beckwermert. Er versucht jenen zu helfen, die jetzt noch weniger zurechtkommen als vorher. Unverständliche Sprache, mangelnde Hilfsbereitschaft, wechselnde Sachbearbeiter. „Die Leute kommen zu uns, weil wir immer die gleichen sind, und weil man uns kennt“, sagt der Sozialpädagoge. 

Das Jobcenter ist eine Bundeseinrichtung. Die Parlamentarier können zwar nicht ganze Behörden umkrempeln. „Aber sie haben zumindest von den realen Sorgen der Menschen gehört“, resümiert Peter Beckwermert nach der Veranstaltung. Sie kann Folgen haben: Metin Hakverdi versprach, mit dem Sozialprojekt Edith Stein in Kontakt zu bleiben. Manuel Sarrazin will dem Sozialprojekt Gelegenheit geben, sich in Berlin vorzustellen, und Cetin Akbulut plant eine Anfrage in der Bürgerschaft, wie mit fortgesetzten Duldungen umgegangen wird.  

Ein weiterer positiver Effekt der Diskussion: Man hat Politiker erlebt, die einander respektierten, sich stritten, sich aber mit „Du“ anredeten und den anderen nicht als Feind betrachteten. So funktioniert das System Demokratie.

Text u. Foto: Andreas Hüser