Trotz MS ist Birgit Bernhard in ihrer Pfarrei aktiv
MS, die Gemeinde und das Glück
Foto: privat
„Ich würde mich als glücklich bezeichnen“, sagt Birgit Bernhard und lächelt. Was trägt zu diesem Glück bei? Ihr Glaube. Ihre Freundschaften. Die gute Beziehung zu ihrem Ehemann Robert. Das soziale Netz, das sie auffängt, wenn es ihr schlecht geht. Ihr ehrenamtliches Engagement in der Pfarrei St. Stephan in München-Sendling. Das Singen und das Schreiben. Das alles zählt die Münchnerin auf. „Mich nicht ständig mit meiner Krankheit zu beschäftigen“, gehört ebenfalls dazu.
Sie ist 21, als sie an einem Morgen im März 1993 aufwacht und ihre komplette rechte Körperseite taub ist – „wie wenn man beim Zahnarzt eine Betäubungsspritze kriegt“. Die eine Seite wird halt eingeschlafen sein, denkt die Studentin. Doch als sie an diesem Tag eine Klausur schreibt, ist auch ihr Schriftbild verändert. Sie geht zum Arzt – und bekommt aus heiterem Himmel die niederschmetternde Diagnose: Multiple Sklerose (MS). „Es gab damals noch kein einziges zugelassenes Medikament außer einer hoch dosierten Cortison-Therapie“, erinnert sich Bernhard.
Die schwere Erkrankung bremst ihr Leben aus, bevor es richtig Fahrt aufgenommen hat. Sie schafft mit großem Kraftaufwand den Abschluss zur Diplom-Verwaltungswirtin – sowohl die Zwischen- als auch die Abschlussprüfung muss sie wegen MS-Schüben nachschreiben. Aus demselben Grund findet auch die Hochzeit mit ihrem Mann Robert, den sie 1989 in ihrer gemeinsamen Heimatpfarrei St. Stephan kennengelernt hat, drei Monate später statt als ursprünglich geplant – im Juli 1996.
"Ich hatte das Gefühl: Mein Leben ist vorbei."
Birgit Bernhard reduziert ihre Arbeitszeit zuerst auf 25, dann auf 20 Stunden, bis sie einsehen muss: Es geht nicht mehr. Mit 29 Jahren wird sie verrentet. Auch die gewünschten Kinder können sie und ihr Mann aufgrund ihrer Krankheit nicht bekommen. „2005 hatte ich das Gefühl: Mein Leben ist vorbei“, bringt Birgit Bernhard ihre damalige Stimmung auf den Punkt. Sie sei sich völlig nutzlos vorgekommen und habe häufig mit Gott gehadert: „Warum kann ich nicht einfach gesund sein?“ Aber immer, wenn sie ganz unten gewesen sei, sei es wieder bergauf gegangen.
Entscheidend ist dabei der Entschluss, sich ihren großen Kindheitstraum zu erfüllen, Klavier spielen zu lernen. Sie nimmt Unterricht beim befreundeten Kirchenmusiker von St. Stephan, Thomas Rothfuß, und gründet mit ihrem Mann den Verein der „Freunde und Förderer der Stephaner Kirchenmusik“ mit. „Dadurch bin ich so richtig aufgeblüht“, sagt Bernhard rückblickend. „Ich bin wieder viel mehr in die Pfarrei reingekommen und mein Leben ist immer besser geworden.“
Es bleibt nicht bei der Vereinsmitgliedschaft. Die Bernhards schließen sich einem Chor an, den Stephan Singers. „Früher hat man mir immer gesagt, ich könne nicht singen. Heute weiß ich: Ich kann singen“, erzählt Birgit Bernhard selbstbewusst.
Mit einer Freundin aus dem Chor, Ursula Frerich, schreibt sie sogar ein Buch. Es trägt den Titel „Zwei Freunde im Schnee“ und handelt von der Freundschaft zwischen einem Schneemann und einem Vogel. Darin verarbeitet Bernhard auch eigene Lebenserfahrungen. Ihre Alltagserlebnisse gehen seit acht Jahren zudem in den „Adventskalender der Gegensätze“ ein, den sie gemeinsam mit ihrem Mann jedes Jahr herausgibt.
Seit sechs Jahren leitet Birgit Bernhard den Pfarrgemeinderat (PGR) von St. Stephan: Sie bereitet die Sitzungen vor, koordiniert Termine und fungiert zusammen mit ihrem Mann, der das Amt des Kirchenpflegers innehat, als Sprachrohr der Gemeinde.
Einmal im Monat organisiert die PGR-Vorsitzende einen Frauenstammtisch mit, der von allen Altersgruppen gut angenommen wird. Besonders gern arbeitet sie mit Kindern – sei es, indem sie Familiengottesdienste mitgestaltet oder mit Heranwachsenden ein Musical einstudiert. „Die machen voller Begeisterung mit, da geht mir das Herz auf“, schwärmt Bernhard. Wichtig ist ihr auch die Prävention gegen sexuellen Missbrauch. „Wir haben hier in der Pfarrei nur Gutes erlebt. Das möchten wir weitergeben“, bekräftigt sie. Das gelingt offenbar. In St. Stephan gibt es zwei Kinderchöre und viele junge Familien besuchen die Sonntagsgottesdienste.
"Wir lachen zusammen und wir weinen zusammen."
Auch für die Eheleute Bernhard, die sich beide zu Wortgottesdienstleitern haben ausbilden lassen, ist der Kirchgang selbstverständlich. „Ich könnte mir keinen Ostersonntag ohne Gottesdienst vorstellen“, betont Birgit Bernhard, die sich auch als Lektorin engagiert. Die Pfarrei St. Stephan empfindet sie als zweites Zuhause: „Ich fühle mich dort getragen und aufgehoben. Wir lachen zusammen und wir weinen zusammen.“
Ihren Glauben lebt Bernhard auch für sich allein. Vor schwierigen Gesprächen bittet sie den Heiligen Geist um Beistand und jeden Abend hält sie einen Tagesrückblick. Darin bringt sie ihren Dank vor Gott für all das Gute, das sie in den vergangenen Stunden erfahren hat. Diese Dankbarkeit, die viele Gesunde nicht empfänden, habe sie durch ihre Krankheit entwickelt, ist sich Bernhard sicher: „Ich muss nicht weit verreisen. Ich kann mich hier an jeder kleinen Blume freuen.“
Nicht ein Schicksalsschlag an sich sei schlimm, sondern die Art und Weise, wie man damit umgehe, ist sie überzeugt. Der Glaube könne helfen, eine schwierige Lebenssituation zu bewältigen. „Es gibt Studien, dass Menschen, die an etwas glauben, besser durch Krisen kommen“, sagt Bernhard. Menschen, die komplett gesund seien, seien nicht unbedingt glücklicher als sie.