Liederserie
Mutter Maria
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Im Jahr 2013 erzählte der inzwischen verstorbene Kardinal Joachim Meisner seiner alten Berliner Kirchenzeitung „Tag des Herrn“, welches sein Lieblingslied im frisch erschienenen neuen Gotteslob ist: „Segne, du, Maria, segne mich, dein Kind“ (GL 535). Obwohl es ein altes Lied ist, war es im Gotteslob von 1975 nicht vertreten. Leider, sagte Meisner in dem Beitrag und betonte: „Es ist – das habe ich mir sagen lassen – das am meisten gewünschte Lied im neuen Gotteslob.“ Sicher hat er, der damals Vorsitzender der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz war, auch persönlich dafür gesorgt, dass der Wunsch erfüllt wird.
Joachim Meisner liebte das Lied, und das ist gerade für Marienlieder typisch, seit seiner Kindheit. Er schrieb: „Als wir 1945 unsere schlesische Heimat verlassen mussten, sind wir nach Thüringen gekommen. Wir waren im Dorf die ersten Katholiken seit der Reformation.“ Alle zwei Wochen kam ein Priester, um am Sonntagnachmittag die Messe in der evangelischen Kirche zu feiern. Und zwischendurch feierten die Katholiken allein, be-sonders Marien- und Rosenkranzandachten. Und „weil wir viel Zeit hatten“, so erinnerte sich der Kardinal, „haben wir die Andachten sehr lange gehalten“. Noch ein Lied und noch eines wurde gesungen und „Segne, du, Maria“, das von einer großen mütterlichen Liebe erzählt, war immer dabei.
Maria wird in diesem Lied als unser aller Mutter vorgestellt: „Segne mich, dein Kind.“ Und segne dazu „alle, die mir lieb; deinen Muttersegen ihnen täglich gib“. Wie eine echte Umarmung fühlt sich das an: „Deine Mutterhände breit auf alle aus.“ Ganz besonders in der Todesstunde: „Süße Trostesworte flüstre dann dein Mund; deine Hand, die linde, drück das Aug uns zu.“
Im Priesterseminar lächerlich gemacht
Es ist kein Wunder, dass ein zwölfjähriger schlesischer Junge, der Krieg, Tod und Verteibung, Hunger und Kälte mit-erleben musste, dieses Lied voll Hingabe und Gefühl gesungen hat. Und wie weh es ihm tat, als, wie er in dem Bei-trag weiter erzählte, „uns im Priesterseminar das Lied lächerlich gemacht wurde“. Denn in seiner Süßlichkeit und in seiner Ganzhingabe an Maria ist das Lied theologisch, nun ja, doch recht einfach gestrickt und mag zu dem Vorurteil beitragen, insgeheim betrachteten Katholiken Maria doch als vierte Person der göttlichen Trinität.
Als Student habe er sich von der Kritik beeindrucken lassen, sagte Meisner, er habe gar mit Mutter und Tante dar-über gestritten. „Aber sie haben sich – Gott sei Dank – gegen mich durchgesetzt.“ Persönlich wiederentdeckt habe er das Lied dann als junger Kaplan. „Als ich öfter Sterbenden beim Todeskampf beistand, haben diese, wenn es ihnen noch möglich war, gesagt: „Singen Sie doch: Segne du, Maria.“ Und Meisner schließt seinen Bericht mit dem Satz: „Ich hoffe, dass es auch bei meinem Sterben gesungen wird.“
Das ist die eine Geschichte, die das Lied auch für jene interessant machen kann, die nicht inbrünstig mitsingen. Die andere interessante Geschichte ist die seiner Entstehung. Denn geschrieben hat das Lied eine Frau, die erst spät ihre Liebe zu Maria und zur katholischen Kirche fand. Cordula Wöhler (1845–1916) war Tochter eines protestantischen Pastors aus Lichtenhagen bei Rostock. Bei zwei Familienferien in Süddeutschland und Tirol lernte sie die katholische Liturgie kennen und begann, sich für die Marienverehrung zu begeistern. Sie stand auch im Briefkontakt mit dem (heute umstrittenen, weil antisemitischen) Priester und Volksschriftsteller Alban Stolz, der sich damals sehr um Konvertiten bemühte.
1868 entschloss sich Cordula Wöhler, zum katholischen Glauben zu konvertieren. Heftige Kontroversen mit ihren entsetzen Eltern schlossen sich an, so dass Wöhler erst 1870, mit 25 Jahren, ihren Entschluss tatsächlich umsetzte. Daraufhin warfen die Eltern sie aus dem Haus und Wöhler kehrte nie wieder nach Mecklenburg zurück.
Unter dem Eindruck dieser familiären Tragödie verfasste Cordula Wöhler eine Gebetshymne an Maria, die sie als ihre neue Mutter verstand, bei der sie vertrauensvoll Zuflucht nehmen konnte. So entstand am 31. Mai 1870 ihr berühmtes Gedicht „Segne du, Maria, segne mich, dein Kind“. Karl Kindsmüller vertonte 1916 den ursprünglich wohl siebenstrophigen Text.
Im Juli 1870 wurde Wöhler in die katholische Kirche aufgenommen, der sie fortan treu blieb. Ob das Lied bei ihrem Tod 1916 bereits gesungen wurde, ist nicht überliefert.