Nach wie vor gefragt

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Seit 1871 besteht das Raphaelswerk. Die Anforderungen änderten sich im Laufe der Zeiten stets: Ging es zunächst um praktische Hilfe für Auswanderer, werden heute vermehrt Rückkehrer und Geflüchtete beraten.


So sah es aus, als 1947 im brasilianischen Rio de Janeiro deutsche Auswanderer ankamen. Betreuer des Raphaelswerks, das damals noch St. Raphaels-Verein hieß, empfangen sie am Bahnsteig und stehen ihnen mit praktischer Hilfe bei den ersten Schritten in der neuen Heimat zur Seite. Heute steht hingegen die Beratung im Vorfeld der Auswanderung – oder auch der Rückkehr nach Deutschland – im Zentrum | Foto: Raphaelswerk

VON MATTHIAS SCHATZ

„Der Arbeitsbereich ist spannend und wird auch spannend bleiben“, sagt Birgit Klaissle-Walk. Sie ist Generalsekretärin des Raphaelswerks. Organisiert als Verein, berät dieser zentrale Fachverband des Deutschen Caritasverbandes im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz Deutsche, die im Ausland leben und arbeiten wollen oder die aus dem Ausland nach Deutschland zurückkehren wollen. Zudem ist er Anlaufstelle für Geflüchtete, die in ein Drittland weiterwandern oder in ihre Herkunftsländer zurück wollen oder müssen – alles unabhängig von Religion, Nationalität und rechtlichem Status der Ratsuchenden.

Das Raphaelswerk, dessen Generalsekretariat sich an der Adenauerallee 41 im Stadtteil St. Georg befindet, besteht seit nunmehr 151 Jahren. Natürlich sollte eigentlich das runde Jubiläum im vergangenen Jahr gefeiert werden, doch Corona machte einen Strich durch die Rechnung. So wird es nun in diesem Jahr nachgeholt, unter anderem mit einem Podiumstalk am 13. September in der Katholischen Akademie.

„Wir leben in einer globalisierten Welt mit ständigen Migrationsströmen“, erklärt Klaissle- Walk die unverminderte Aktualität der Aufgabe. Generell gebe es auch unter deutschen Staatsbürgern den Drang, „mal ins Ausland zu gehen“, auch weil sie sich davon einen Karriereschub versprächen. Ein besseres Leben – das war schon Mirgrationsmotor Ende des 19. Jahrhunderts. Es wurde damals vorwiegend in Amerika gesucht, vor allem in den USA. Und die Entscheidung zur Auswanderung war – anders als heute – in der Regel eine für den Rest des Lebens.

1871 von dem Limburger Kaufmann Peter Paul Cahensly als „St. Raphaels-Verein“ gegründet, sollte die Organisation Glaubensbrüder und -schwestern vor allem vor betrügerischen Agenten schützen. Er besorgte ihnen Fahrkarten und Unterkünfte, oft auch Arbeitsmöglichkeiten.

Insbesondere die Pallottioner, die 1892 ihre erste deutsche Niederlassung in Limburg begründet hatten, kümmerten sich bald um das Wohl der Emigranten. Gleichwohl wurde die Zentrale von dort 1914 nach Freiburg verlegt, weil der Verein Teil des dort ansässigen Caritasverbandes wurde. Als aber 1920 der gebürtige Hamburger Pallottinerpater Georg Timpe Generalsekretär wurde, versetzte er die Geschäftsstelle in seine Heimatstadt, „Deutschlands Tor zur Welt“, von wo aus viele Emigranten ausreisten.

Mit dabei war schon in den 1920er Jahren Pater Max Joseph Größer, der zudem in der Seelsorge der Rahlstedter Pfarrei Mariä Himmerfahrt aktiv war. 1930 wurde Größer Generalsekretär. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verhalf er vielen Juden zur Ausreise, was zu systematischen Hausdurchsuchungen und Verhören durch die Geheime Staatspolizei führte. Mehrere Verhaftungen setzten Größer so zu, dass er 1940 mit nur 52 Jahren an Herzversagen starb. 1941 wurde der St. Raphaels- Verein dann von den Nationalsozialisten verboten.

Onlineberatung nimmt zu

Nachdem der Verein seine Tätigkeit 1945 wieder aufgenommen hatte, veränderte sich der Fokus des Vereins abermals. Viele Bürger trauten der Entwicklung im Nachkriegsdeutschland nicht und suchten ihr Glück in anderen Ländern, vor allem in den USA. Im Zuge des Wirtschaftswunders ebbte diese Welle aber wieder ab. Stattdessen wurden mehr und mehr Flüchtlinge aus Ländern des Ostblocks betreut, vor allem aus Polen, Ungarn und der DDR. In den 1970er Jahren erfolgte eine neue Schwerpunktsetzung. Nun stand statt praktischer Hilfe eine umfassende Beratung im Mittelpunkt, die die Auswanderungswilligen in den Stand versetzen sollte, eigenständig ihre diesbezüglichen Entscheidungen zu treffen. Seit 1976 stellen zudem die Pallottiner nicht mehr den Generalsekretär. Auch der Name wurde geändert in „Raphaels-Werk – Dienst am Menschen“.

Von Mitte der 90er Jahre an wandten sich vor allem Geflüchtete vom Balkan an die Beratungsstellen. Um das Jahr 2000 registrierte das Raphaelswerk aufgrund der schlechteren Wirtschaftslage wieder vermehrt deutsche Auswanderer.

Deutsche machen laut Geschäftsbericht 2021 des Raphaelswerks e.V. – die erneute Namensänderung erfolgte 2013 – 73 Prozent der 7301 Ratsuchenden aus. Bei knapp der Hälfte von ihnen ging es um eine unbefristete Auswanderung. „Heute gehen viele Menschen länger ins Ausland und nicht nur für wenige Jahre wie Expats, die von Firmen ins Ausland geschickt werden. Aber nach einigen Jahren kehren sie dann doch wieder zurück“, berichtet Generalsekretärin Klaissle-Walk. Anliegen von gut einem Drittel der deutschen Ratsuchenden war daher die Rückkehr. Dabei gehe es oft darum, wieder in das soziale Sicherungsnetz zu kommen, sagt die Generalsekretärin weiter. Informiert werde über die Fallstricke, die es gebe, oder auch darüber, ob Schulabschlüsse von Kindern hier anerkannt würden. Zudem gebe es viele, die mehrfach im Ausland tätig seien. Und es gebe vermehrt Leute, die aus dem Homeoffice im Ausland für deutsche Firmen tätig sein wollten. „Das birgt zuweilen viele rechtliche, auch steuerrechtliche Fragen.“

27 Prozent der Ratsuchenden sind Ausländer, darunter auch viele Geflüchtete. „Für sie ist der Familiennachzug ein wichtiges Thema“, sagt Klaissle-Walk. Weitere bedeutende Anliegen sind bei ihnen laut Jahresbericht die Rückkehr ins Herkunftsland und die Weiterwanderung. Diesbezüglich berät das Raphaelswerk momentan auch Geflüchtete aus der Ukraine.

Zuletzt hat die Beratung über Videotelefonie stark zugenommen, die das Raphaelswerk seit Oktober über eine Onlineplattform anbietet. Sie ist ebenso wie der zentrale Zugang zum Netzwerk der gemeinnützigen Auswanderungsberatungsstellen, koordiniert durch das Generalsekretariat, zugänglich über die Website www.raphaelswerk.de. Zugleich würden die Beratungsstellen weniger aufgesucht, berichtet die Generalsekretärin. So hat sich das Raphaelswerk für das digitale Zeitalter gerüstet. Das ist umso wichtiger, als viele Internetforen mit falschen Informationen Auswanderungswillige etwa mit nicht verifizierbaren Erfahrungsberichten in die Irre führen, wie Klaissle-Walk sagt. „Das überfordert viele.“