Angriffe auf Gedenkstätten

Nie wieder! Auch heute nicht!

Image
Erinnerungskultur: KZ Buchenwald
Nachweis

Foto: imago/Thomas Müller

Caption

Jens-Christian Wagner will, dass ihre Opfer in Erinnerung bleiben.

Rechtsextremisten bedrohen das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und stellen die deutsche Geschichte verfälscht dar. Wie muss sich Erinnerungskultur wandeln, um dagegenzuwirken? Antworten eines KZ-Gedenkstättenleiters.

Habt ihr eigentlich in den Gedenkstätten völlig versagt?“ Diese Frage wird Jens-Christian Wagner, dem Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, zurzeit oft gestellt. Der zunehmende offene Rassismus und Antisemitismus und der Aufstieg der AfD mit ihrem als gesichert rechtsextremistisch eingestuften Thüringer Landesverband machen Menschen Angst. Sie fragen sich: Werden wir in Zukunft gewaltfrei und solidarisch miteinander leben? Oder werden bald Menschen aus Deutschland vertrieben und für ihren Einsatz für die Menschenwürde bestraft?

Wagner glaubt, dass die Erinnerungskultur Defizite hat. Aber er ist auch davon überzeugt, dass die Haltung „Nie wieder!“ gegenüber den Verbrechen des Nationalsozialismus nach wie vor lebt. Und er erinnert daran, dass „Deutschland bis vor kurzem ein Land in Europa gewesen ist, in dem der allgemeine Rechtsruck, Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus und antiliberales Denken wesentlich weniger stark ausgeprägt waren als in vielen Nachbarländern“.

Gedenken ist Wagner wichtig, das seien wir den Opfern der Nazi-Diktatur schuldig: „Die Opfer haben eine Würdigung verdient.“ Gedenkstättenarbeit bedeutet für ihn aber auch, aus der Geschichte zu lernen, um „herauszufinden, warum es wichtig ist, sich für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen“. Wie das heute gelingen kann? Das Standardformat – anderthalb- bis zweistündige Führungen in der Gedenkstätte – trägt aus seiner Sicht nur wenig zu diesem Ziel bei. Wagners Erfahrung ist, „dass sich das, was man vorher glaubte, nach einem solchen Gedenkstättenbesuch oft überhaupt nicht verändert hat“. 

Deshalb will die Stiftung Geschichte greifbar machen, indem sie junge Besucherinnen und Besucher auch selbst mit historischen Quellen arbeiten lässt. In einem Workshop nähern sie sich durch originale Fundstücke von Inhaftierten den Opfern und den Verbrechen der Nationalsozialisten an. Eine App ermöglicht es Klassen, in der Schule mit Fotos und Gegenständen aus der Sammlung zu arbeiten, ohne zur Gedenkstätte fahren zu müssen. 

Ihre Social-Media-Arbeit will die Gedenkstätte ausbauen; sie denkt darüber nach, auf dem bei Jugendlichen sehr beliebten Netzwerk TikTok aktiv zu werden. Die AfD und andere Rechtsextreme erreichen dort mit rassistischen und antisemitischen Inhalten ein riesiges Publikum unter jungen Leuten.

„Man kann uns den Geldhahn abdrehen“

Ob die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora künftig weiter mit ihren Bildungsangeboten dagegenhalten kann, hängt auch von der Landtagswahl in Thüringen am 1. September ab. Eine von der AfD getragene oder tolerierte Regierung hätte Einfluss auf den Haushalt des Freistaates, sagt Stiftungsdirektor Wagner: „Das heißt, man kann uns den Geldhahn abdrehen.“

Angriffe auf die Gedenkstätten gibt es schon jetzt, die schätzungsweise 50 abgesägten Gedenkbäume für die Opfer des Konzentrationslagers Buchenwald sind nur ein Beispiel. „Ich gehe nicht davon aus, dass es AfD-Funktionäre sind, die sowas machen“, sagt Wagner, „aber die bereiten natürlich mit ihrem Geschichtsrevisionismus den geistigen Boden dafür.“

Barbara Dreiling