Andreas Brinker über seinen Glauben an einen liebenden Gott
Noch einer spielt mit
Foto: Matthias Petersen
Die Landwirtschaftszeitschrift war ausgelesen, jetzt sollte sie in hohem Bogen im Papierkorb landen. Aber der Wurf ging daneben. Also musste Andreas Brinker aufstehen und sich nach dem auf dem Boden liegenden Papier bücken. Aber da hatte sich nun eine Seite aufgeschlagen, die es in sich hatte: Da stand nämlich die Stellenanzeige der Katholischen Landvolkhochschule Oesede bei Osnabrück. Brinker suchte eigentlich keine neue Stelle, aber andererseits war er überzeugt, nicht durch Zufall auf die Anzeige gestoßen zu sein. Also bewarb er sich, wurde genommen und erlebte eine gute Zeit als Referent in dem Haus, das sich als Bindeglied zwischen Landwirtschaft und Kirche sieht.
Es sind solche Erlebnisse, die den 54-Jährigen sicher machen, dass „da einer mitspielt“, wie er es gerne formuliert. „Da ist ein Gott, der hat uns richtig gut getragen.“ Seinen Glauben trägt Brinker nicht auf dem Silbertablett vor sich her, aber wenn er gefragt wird, wenn die Gelegenheit passend scheint, dann scheut er nicht davor zurück, aus seinem Leben zu erzählen. Dazu gehört auch die Zeit mit Pauline.
Die selige Schwester Euthymia war in Halverde zu Hause
Rund 1100 Einwohner hat Halverde, ein Ort zwischen Osnabrück und Rheine, nahe der Grenze zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Schwester Euthymia Üffing stammt von hier, eine in Münster bestattete Ordensschwester, die 2001 selig- gesprochen wurde. Von klein auf hat sich Andreas Brinker gegen einen Glauben gewehrt, der den Menschen Angst macht. Bis heute kann er wenig anfangen mit vorformulierten Gebetstexten, mit Andachten, deren Inhalte ihn nicht erreichen. Sein Glaube strebt nach dem Höheren, nach einem liebenden Gott. Ein Gott, der sich – so ist Brinker überzeugt – heute um Pauline kümmert.
Die Freude war groß bei Andreas Brinker und seiner Frau Elisabeth, als bald nach der Hochzeit eine Tochter zur Welt kam. Aber schnell zeigte sich, dass mit dem Baby etwas nicht stimmte. Ein sehr seltener Gendefekt wurde diagnostiziert. Die nüchterne Wahrheit: Das Kind werde nicht lange leben, so die Ärzte. „Eltern sollten ihre Kinder nicht begraben müssen, aber wir mussten uns intensiv damit beschäftigen, dass Pauline uns eines Tages verlassen würde. Das war frühe Trauerarbeit“, sagt Brinker.
In Absprache mit der Kinderärztin hielten die Eltern ihre Tochter dann auch nicht auf, als sie im Alter von acht Jahren aus heiterem Himmel starb. Brinker formuliert es so: „Sie machte sich auf den Weg und ist ganz in Ruhe gegangen.“ Dass wenige Augenblicke vor ihrem Tod die Physiotherapeutin vor der Tür stand, weil sie den Eindruck hatte, sie werde gebraucht – auch dieses Erlebnis lässt Brinker sicher sein, „dass da noch einer mitspielt im Leben“. Und dass sich in der Folge von Paulines Sterben zerstrittene Familienmitglieder versöhnten, sieht er als das Werk seiner Tochter. Deshalb wunderte er sich auch nicht, als ihn jemand bei der Beerdigung tröstete: „Der liebe Gott hat eben gewusst, warum er Pauline an euch gegeben hat. Glückwunsch zu diesem Kind.“
In der Landvolkhochschule Oesede war Brinker mehrere Jahre lang für den sogenannten Winterkurs zuständig. Zwischen November und März sind junge Landwirtinnen und Landwirte zu Studienwochen eingeladen. Da geht es um Politik und Gesellschaft, um die Gestaltung des eigenen Lebens, um die Verzahnung von Leben auf dem Land mit beruflicher Perspektive. Als Mittvierziger konnte Brinker Lebenserfahrung vermitteln. „Aber ich habe immer gesagt, dass ich das mit 50 nicht mehr machen kann, dann wird der Abstand zu den jungen Leuten zu groß.“ Also stellte er sich auf einen Abschied ein – und las ausgerechnet an seinem 50. Geburtstag die Anzeige für eine Stelle, die ihn brennend interessierte. „Auch das kann ja kein Zufall sein“, sagt er.
Seit vier Jahren arbeitet er nun in einem Planungsbüro für Dorfentwicklung. Vielerorts gibt es Initiativen, die sich darum bemühen, das Dorf für die Zukunft fit zu machen. Brinker und seine Kollegen kommen als Moderatoren ins Spiel. Wie können Einheimische und Zugezogene zueinanderfinden, wie können ihre unterschiedlichen Bedürfnisse unter einen Hut kommen?
"Ein Dorf ohne Kirche mag ich mir nicht vorstellen."
Andreas Brinker drängt darauf, dass auch die Kirche dabei eine Rolle spielt. Und ärgert sich, wenn Kirchengemeinden einen solchen Prozess nur als externe Beobachter begleiten wollen, wie es immer wieder passiert. „Dabei gehören sie doch nun mal dazu. Ein Dorf ohne Kirche mag ich mir nicht vorstellen“, sagt er und meint zweierlei: Zum einen das Gebäude aus Steinen, zum anderen die Werte für die Gesellschaft, die auch in der Zukunft von Bedeutung sein können.
Nach finanziellen Schwierigkeiten in den 1980er Jahren und der Betriebsaufgabe 1990 hat Andreas Brinker mit seiner Familie den Neustart auf dem elterlichen Hof gewagt. Das Anwesen hat sein Gesicht verändert: Im umgebauten Schweinestall lebt die Familie und ist zugleich Gastgeberin für Feriengäste in den anderen Wirtschaftsgebäuden. Mit Sohn Leonard steht die nächste Generation in den Startlöchern. „Herzlich willkommen“ steht an der Haustür, das gilt für Menschen wie für Tiere. Ein Hund, Katzen, Kaninchen, Hühner und einige Rinder und Pferde sind hier zu Hause, auch ein paar Bienenstöcke. Denn Andreas Brinker legt großen Wert auf Nachhaltigkeit. Die Bewahrung der Schöpfung ist für ihn ein hohes Gut.