Am dritten Advent ist Freude angesagt
Noch einmal sag ich: Freut euch!
Der dritte Advent wird „Gaudete“ genannt. Weil der Eingangsvers der Messfeier mit „Gaudete“ – „Freut euch“ – beginnt und weil die biblischen Lesungen von der Freude sprechen. Allein: So einfach ist das mit der Freude nicht immer.
Von Susanne Haverkamp
Es war der 6. November, als auf einmal die Frage im Raum stand: Können wir dieses Jahr überhaupt Advent und Weihnachten feiern? Wir hatten uns darauf gefreut, wollten als Team von Ehrenamtlichen an jedem Sonntagabend einen adventlichen Segensgottesdienst für Familien anbieten. Mit Kerzen, schöner Musik, mit Adventsstimmung und einem Punsch im Anschluss. Kirche vom Feinsten, hatten wir vor.
„Ach, ja, Corona“, denken Sie jetzt bestimmt. „Musste sicher abgesagt werden.“ Ich sage Ihnen: Nein, es ist schlimmer. Am 6. November erfuhren wir, dass unser Pfarrer vom Dienst suspendiert ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Besitzes kinderpornografischer Dateien. Noch am gleichen Abend trafen sich Gemeindemitglieder, privat, einfach, um zu reden. Und bald stand eben diese Frage im Raum: Können wir überhaupt mit Kindern und Familien Advent feiern? Wollen wir das: Kerzen und Musik und „Freuet euch“? Und wollen die Familien das? Oder sagen die vielleicht: Typisch Kirche – sowas passiert und ihr tut, als ob nix wär!
Ich will jetzt nicht rumheulen, wir sind nicht der Nabel der Welt. Tatsächlich gibt es unfassbar viele Gründe, sich nicht zu freuen. Die katastrophale Corona-Lage gehört als Erstes dazu, aber auch andere Situationen, in denen Sie vielleicht gerade stecken. Vielleicht haben Sie einen lieben Menschen verloren oder eine schwere Diagnose bekommen; vielleicht leben Sie in Trennung oder machen sich Sorgen um Ihren Arbeitsplatz; vielleicht haben Sie Missbrauch oder Gewalt erlebt; vielleicht leiden Sie mit, wenn Sie Elendsbilder aus aller Welt sehen und nichts tun können; vielleicht sind Sie depressiv, einsam, verzweifelt. „Freut euch zu jeder Zeit“: Manchmal ist es fast zynisch, was die Bibel uns zumutet.
Auch in biblischer Zeit wenig Grund zur Freude
Zwei Lesungen sind es, die an diesem dritten Advent so nachdrücklich zur Freude aufrufen. Die erste stammt von Zefanja, einem der unbekannteren Propheten des Alten Testaments. Er lebte, das steht am Anfang seines kleinen Büchleins von nur drei Kapiteln, zur Zeit von König Joschija; der regierte von 641 bis 609 vor Christus das Südreich Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem.
Joschija gilt heute als Reformkönig. Als er in sehr jungen Jahren den Thron von seinem ermordeten Vater übernahm, lag das Volk religiös und moralisch am Boden. Die Reichen beuteten die Armen aus, den Gott Jahwe hatten sie zugunsten anspruchsloserer Gottheiten verlassen. In dieser Situation kündigte Zefanja einen Tag des Zorns an, an dem Gott, der Herr, dreinschlagen wird. Wenig Grund zur Freude also.
Die andere Freudenlesung stammt aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philippi. Geschrieben hat Paulus diesen Brief, während er im Gefängnis saß. Ja, er war römischer Bürger, so schnell würde ihn niemand kreuzigen. Aber dennoch war seine Lage prekär und seine Zukunft ungewiss. Um des Glaubens willen verfolgt und getötet zu werden, war jederzeit möglich. Und das galt nicht nur für Paulus selbst, sondern für alle Christinnen und Christen. Wenig Grund zur Freude auch hier.
Warum also dann dieser Aufruf zur Freude? Und: Ist überhaupt echte Freude gemeint oder mehr so ein spiritueller Trotz: Gott wird’s schon richten? Zunächst: Ja, der Grund für die Freude ist Gott. „Der König Israels, der Herr, ist in deiner Mitte; du hast kein Unheil mehr zu fürchten“, sagt Zefanja. „Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts“, rät Paulus. Und vielleicht ist da auch ein bisschen Trotz dabei: „Der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in Christus Jesus bewahren“, lässt Paulus die Philipper wissen, und das soll doch wohl heißen: Objektiv betrachtet ist die Lage mies. Aber Gott übersteigt das reine Vernunftdenken; er bringt Frieden in die Herzen, wo der Verstand verzweifeln muss.
Freude trotz Schmerz: Das ist kein reines Wunschdenken
Aber was Paulus hier sagt, ist ja nicht nur steile Behauptung. Vielmehr machen immer wieder Menschen die Erfahrung, dass der Friede Gottes in die Herzen einzieht, wenn der menschliche Verstand am Ende ist. Wenn Ärzte keine Heilungschance mehr sehen; wenn der geliebte Mensch tot ist; wenn die Hoffnung auf Versöhnung sich zerschlagen hat; wenn die Heimat verloren ist; wenn das Verbrechen ungesühnt bleibt. Immer dann gibt es Menschen, die erleben: Mit Gottes Hilfe habe ich Frieden mit dem Schrecklichen machen können. Und ich habe wieder Freude spüren dürfen.
Genau deshalb gibt es zum Beispiel im Hospiz Freude, Lachen, Fröhlichkeit. Genauso wie im Flüchtlingslager, im Frauenhaus oder beim Beerdigungskaffee. Und das ist nicht nur psychologische Entlastung, schon gar nicht gespielt und vorgetäuscht, sondern sehr oft ein echtes Empfinden für die hellen Momente im Dunkeln. Für den göttlichen Lichtstrahl, der jede Finsternis durchdringt.
Doch so sehr die Lesungen auch auf Gott als den Grund der Freude verweisen: Sie sehen auch den Menschen am Zug. Denn für Zefanja fällt der Freuden- und Festtag nicht vom Himmel – er ist Folge der Umkehr der Menschen. „Ich lasse in deiner Mitte übrig ein demütiges und armes Volk ... Sie werden kein Unrecht mehr tun und nicht mehr lügen“, heißt es unmittelbar vor der heutigen Lesung; der Reformkönig Joschija hat es verstanden. Und Paulus stellt einen ähnlichen Zusammenhang her: „Freut euch! Eure Güte werde allen Menschen bekannt.“
Womit wir zurück bei der Frage sind, ob wir uns trotz allem Dunklen um uns herum freuen können, ob wir im Advent unbeschwerte Momente feiern können. Wir als Gemeinde haben entschieden: Wir können es. Wir wollen es. Wir tun es. Aber nicht um die Lage zu verdrängen oder um böse Taten zu verschweigen. Sondern verbunden mit Gesprächen, Aufarbeitung, Zuwendung. Und genau das gilt auch für alle anderen dunklen Situationen: Freude entsteht, wenn Gott und wir zusammen ein wenig Licht und einen Funken Hoffnung in die Welt tragen. So gesehen ist „Freut euch“ quasi unser Job.