Nöte, Chancen, neue Wege

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Matthias Timmermann im Gespräch
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Foto: Marco Heinen 

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Diözesancaritasdirektor Matthias Timmermann im Gespräch mit der Neuen Kirchenzeitung.  

Seit März ist Matthias Timmermann Direktor der Caritas im Norden. Vorher hat er die Caritas in Güsterloh geleitet. Im Norden karitativ und katholisch zu arbeiten, ist oft nicht einfach. Aber der Caritaschef ist optimistisch.

Sie haben in den ersten Wochen Ihrer Tätigkeit eine große Runde gemacht und viele Caritas-Einrichtungen kennengelernt. Was ist Ihnen besonders aufgefallen? 

Schon allein die Größe des Bistums! Ich habe tatsächlich versucht, viele Dienste vor Ort zu besuchen. Das war schon eine Herausforderung. Aufgefallen ist mir der extreme Zusammenhalt der Caritas in der Diaspora. Das habe ich bei fast jeder Begegnung erlebt, und es hat mich sehr bewegt. Es war greifbar, mit wie viel Herzblut unsere Mitarbeitenden ihre Hilfe Notleidenden anbieten. Gut war auch der Einstieg mit dem Caritasrat und dem Erzbistum. Ich spüre überall eine Erwartungshaltung – die aber mit viel Vertrauen verbunden ist. Und was gibt es Schöneres für einen Diözesancaritasdirektor, wenn einem die anderen vertrauen? 

Welche Erwartungen gibt es denn an den neuen Caritas­direktor? 

Die sind unterschiedlich. Insgesamt gilt es, den Caritasverband zukunftssicher aufzustellen. Daran orientiert sich mein Handeln. Organisatorisch arbeiten wir noch daran, die ehemals vier Verbände zusammenzuführen, Dinge verbindlich zu harmonisieren und unsere Ressourcen gemeinsam zu nutzen. Andererseits müssen die Unterschiede zwischen Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg auch respektiert und zugelassen werden. Wir leben ja von den helfenden Menschen vor Ort – und in Neubrandenburg ist die Mentalität halt anders als in Hamburg. 

Ferner arbeiten wir weiter an der Digitalisierung der Verwaltungsvorgänge – und das alles unter sehr knappen finanziellen und personellen Ressourcen. Politisch gilt es, uns mehr Gehör zu verschaffen und unsere Hilfen langfristig zu sichern.

Drei Regionen, das heißt auch drei Bundesländer und drei Regierungen, mit denen Sie verhandeln müssen. Ist das ein Hindernis? 

Zumindest ist es nicht leicht, als Spitzenverband in einer Region mit wenig Katholiken, einer auf die Fläche gerechnet überschaubaren Mitarbeiterzahl von 2000 Mitarbeitenden, in drei Ländern mit eigener Gesetzgebung zu agieren und dafür das nötige Know-how aufrechtzuerhalten. Die Rahmenbedingungen sind herausfordernd.

Gibt es aktuelle Konflikte zwischen Caritas und Politik? 

Ja. Etwa die Unterstützung der Betreuungsvereine in Mecklenburg-Vorpommern. Die Refinanzierung ist desaströs. Wir stecken zur Zeit viel eigenes Geld in diese Dienste. Aber das ist schwer durchzuhalten. Ich habe diesen Punkt schon bei der Sozialminis­terin und der Ministerpräsidentin angesprochen. Auch in anderen Bereichen ist die Refinanzierung nicht auskömmlich, so dass wir uns fragen müssen, wie wir diese Dienste langfristig betreiben können.  

An welchen Diensten hapert es besonders? 

Dazu gehören viele Beratungsdienste: Suchtberatung, Migrationsberatung, der Bereich der Existenzsicherung. Auch die „allgemeine soziale Beratung“, ein niederschwelliger und für uns sehr wichtiger Dienst, ist nicht auskömmlich finanziert. 

Haben Sie eine Vorstellung, wie die Caritas im Norden in zehn oder 20 Jahren aussieht? 

Ja. Meine Vorstellung ist: Basierend auf den Werten der katholischen Kirche einen Verband zu entwickeln, der mit werteorientierter Ausrichtung innovativ, agil und aktiv ausgerichtet ist, der digital und gut strukturiert und organisiert ist und genauso gut für die Menschen da ist wie heute schon. 

Wird es zu einer Spezialisierung auf bestimmte Einsatzbereiche kommen? 

Es hat sich bisher unter der jeweiligen Landesleitung viel Unterschiedliches entwickelt – je nachdem, was vor Ort möglich war. Wir versuchen das jetzt strategisch anzugehen und starten im Oktober einen Strategieprozess. Darin werden wir Leuchttürme identifizieren und sehen, welches die vorrangigen Betätigungsfelder für uns sind. Aber ich darf schon vorwegnehmen: Die Schwerpunkte in der Altenhilfe, der sozialen Sicherung und Teilhabe, bei „Kinder, Jugend und Familie“ und in der Familiengesundheit werden bleiben. 

In allen anderen Branchen gibt es Nachwuchsprobleme. Es gibt freie Stellen, aber man findet keine Leute. Wie ist das in der Caritas im Norden?  

Diese Not ist extrem groß. Und sie wird noch größer werden. Der Fachkräftemangel in der Pflege bedrängt uns ja schon seit vielen Jahren. Ich meine, dass wir als Caritas ein hervorragender Arbeitgeber sind und auch Vorteile gegenüber dem freien Arbeitsmarkt haben – durch unseren guten Ruf, durch unser gutes Tarifwerk. Trotzdem sind wir diesen Zwängen ausgesetzt. Die Ressourcen sind begrenzt. Die Hoffnungen auf einen Ausbau unserer Caritas, auf ein Wachsen, sehe ich daher skeptisch. Meine Prämisse ist, die bestehenden Dienste langfristig stabil aufzustellen. 

Bekommen Sie denn noch Bewerbungen auf Stellenangebote, etwa im Mangelbereich Pflege? 

Manchmal gehört auch Glück dazu, die richtige Stelle zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle auszuschreiben. Aber Glück ist nicht alles. Wir haben aktuell eine Personalgewinnungs-Kampagne gestartet. Wir werden uns vor allem im digitalen Bereich – Internet und soziale Medien – weiter professionalisieren. Wir müssen unser Bild für Bewerbende weiter verbessern und auch neue Wege gehen, zum Beispiel die Unterstützung unserer Pflege durch ausländische Pflegekräfte.

Umgekehrt: Vor Jahren gab es das Problem, dass private Anbieter durch niedrige Löhne soziale Dienste viel billiger anbieten konnten als Caritas oder Diakonie. Ist das Problem heute vom Tisch? 

Vom Tisch ist das nicht. Aber die Beschäftigten gucken heute sehr genau, was ein Arbeitgeber bietet. Da geht es um das Gehalt, aber auch um Altersversorgung, Dienstzeiten, Dienstwagen…, da muss man als Arbeitgeber einiges mitbringen. 

Mal abgesehen von der Arbeit:  Sind Sie auch privat im Norden angekommen? 

Sehr gut. Ich wohne jetzt mit meiner Frau und drei Kindern strategisch gut in Schwarzenbek, in der Mitte des Bistums. Der Kleinste ist schon im Norden geboren – Michel aus Hamburg, das passt. Meine Frau kommt aus Schleswig-Holstein, deshalb ist mir die norddeutsche Mentalität nicht fremd. Es war für uns durchaus eine bewusste Entscheidung, hierhin zu kommen. Und von den Begegnungen hier bin ich tief beeindruckt und bewegt. Also: Ich würd’s wieder machen!  

Interview: Andreas Hüser