KZ-Gedenkstätte Auschwitz
Online im Todeslager
Foto: Gedenkstätte und Museum Auschwitz/Pawel Sawicki
Es ist ein grauer Sonntagnachmittag, als ich mich an den Laptop setze. In zehn Minuten wartet in Auschwitz jemand, der mich durch die KZ-Gedenkstätte führen wird. Mit der Buchung vor ein paar Tagen habe ich einen Zugangscode bekommen. Im digitalen Warteraum wird mir angezeigt, was ich – außer zuhören und zuschauen – tun kann: mit anderen Teilnehmern chatten; eine Frage stellen; in einer Karte der Gedenkstätte navigieren. Und es werde Stopps geben, um zu diskutieren, steht dort.
Pünktlich um halb drei geht es mit einem kurzen einführenden Film los. Und der Ankündigung, dass nun ein Guide – der Ausdruck „Führer“ ist wohl unpassend – am Tor von Auschwitz auf uns wartet. Eine Frau mit Schal und Mütze erscheint. „Ich bin Danuta“, sagt sie. Hinter ihr sieht man das Tor, das man von Fotos kennt: „Arbeit macht frei“. Und zahlreiche Besucher in Regenjacken, viele mit Kopfhörern. Manchmal wird Danuta im selben Tempo wie eine der Gruppen gehen, dann hat man fast Gefühl, ein Teil davon zu sein. „Wenn es technische Probleme gibt“, sagt sie, „ist links oben ein Kontakt zum technischen Service.“ Ich werde ihn brauchen.
Danuta schaltet von der Front- zur Rückkamera und nimmt uns mit durch das Tor zum Haus des Lagerorchesters. Sie erzählt routiniert, wie Guides es tun. Doch über ihre Worte wird Musik geblendet – historische Aufnahmen des Orchesters. Mit der Musik wollten die Nazis zeigen, dass alles nicht so schlimm ist.
Wir gehen weiter über die breiten Lagerstraßen. Alles sieht harmlos aus. Wiesen, Bäume und Reihen von roten Klinkerbauten, jeder mit einer Lampe mit Hausnummer. Es könnte eine Bergmannssiedlung im Ruhrgebiet sein. Vor dem Haus Nr. 2 bleibt Danuta stehen, öffnet die Tür, wir gehen hinein. Gleich links ein großer, leerer Raum. „Hier haben Gefangene auf dem Boden geschlafen“, sagt sie. Und um es sich vorstellen zu können, legt sich eine Zeichnung über das Kamerabild. Noch oft wird das so gemacht. „Es sind Zeichnungen, die Gefangene gemacht haben“, sagt Danuta.
Überlebende erzählen von dem Grauen
Es geht die Treppe hinauf. Hier haben die geschlafen, die Funktionsträger im KZ waren, Bessergestellte. Mitten durch die engen Reihen von Doppelstockbetten geht Danuta. Nur die Hand ausstrecken, um das Holz zu berühren – das geht nicht.
Wieder draußen auf der Lagerstraße werfen Besucher einen fragenden Blick auf Danuta. Es sieht sicher seltsam aus, wie sie mit Handystick und vor sich hinredend herumläuft. Kann man ja nicht wissen, dass sie gerade eine Online-Führung macht.
Weiter geht es durch Block 10 („Hier wurden Experimente an Gefangenen durchgeführt“) und Block 11, berüchtigt für seine Folterkeller. In Zelle 18 werfen wir einen längeren Blick: Maximilian Kolbes Hungerbunker. Gerne hätte man etwas verweilt, aber noch mehr als sonst bei Gruppenführungen muss man sich dem Tempo des Guides anpassen.
Nach einer guten Dreiviertelstunde endet die Führung durch Auschwitz I mit einem Gang durch das Krematorium. Nur Schritte sind zu hören. „Das war noch keine Massenvernichtung“, sagt Danuta nüchtern. „Die kommt in Lager II, Auschwitz-Birkenau. Wir treffen uns dort in einer Viertelstunde.“
Tatsächlich scheint es 15 Minuten später weiterzugehen. „Video lädt“, erscheint – doch dann: nichts. Ich schreibe an Danuta: „Ich habe nur ein Standbild.“ Und dasselbe an den technischen Support. Keine Antwort. Ich warte. Fünf Minuten, zehn. Erst dann komme ich auf die naheliegende Idee, mich komplett neu einzuloggen. Es funktioniert. „Wir haben am Eingang gewartet“, sagt Danuta, als sie auf meinem Bildschirm aufploppt. „Sie waren weg.“ Na ja, eigentlich nicht ...
Vielleicht, weil ich zu spät einsteige, ist der zweite Teil der Führung kürzer. Vielleicht aber auch, weil in Birkenau weniger zu sehen ist. Die Baracken, das Krematorium – alles haben die Nazis kurz vor der Befreiung in Brand gesetzt. Geblieben sind Ruinen, Schutt, ein Mahnmal und wenige Gebäude. Jetzt ist die Onlineführung ein Vorteil. Links oben werden Zeitzeugen eingeblendet, Überlebende, die von dem Grauen erzählen, das sie erlitten haben. Danuta geht währenddessen weiter, vorbei an Mauerresten und durch eine Baracke. Die Videos sind stärker als die Bilder vor Ort.
Dann kommt Danuta wieder ins Bild. „Es ist nicht dasselbe, wie wirklich hier zu sein“, sagt sie zum Schluss. „Aber es ist eine Möglichkeit, aus der Ferne Auschwitz durch meine Augen zu sehen.“ Fragen gibt es keine. Auch keine Diskussion. Was soll man schon sagen?
Hintergrund: Die Online-Führung kostet für Erwachsene 60 Złoty (14 Euro); auf Deutsch wird sie samstags und sonntags angeboten. Auch Online-Gruppenführungen kann man buchen.
www.visit.auschwitz.org