Menschen brechen auf, um bei der Klimakonferenz in Glasgow ein Zeichen für den Klimaschutz zu setzen
Pilgern für Klima und Enkel
2015 wurde erstmals zum „Klimapilgern“ nach Paris zur UN-Klimakonferenz eingeladen. In diesen Jahr ziehen wieder zahlreiche Menschen aufgebrochen, um bei der Klimakonferenz in Glasgow ein Zeichen für den Klimaschutz zu setzen.
Der Atem ist ungleichmäßig, immer wieder geht der Blick zur Uhr. Ein schwerer Rucksack und eine Jacke zu viel, da kommt man schnell mal ins Schwitzen. Ein genauer Treffpunkt wurde nicht vereinbart, und der Empfang des Handys ist wieder mal ziemlich miserabel. Ist am Ende alles umsonst und die Pilger lassen mich, den Reporter, und mein radebrechendes Englisch einfach links liegen? Ich bin mit dem Auto nach Fehmarn gefahren und nicht gerade entspannt, als ich endlich in 300 Metern Entfernung die sechs Pilger auf mich zugehen sehe.
Ich komme von der Autobahn und von der B 207. Die Pilger kommen aus Vadstena in Schweden – zu Fuß. Sie haben insgesamt, so schätzt Gruppenleiterin Annika Spalde, fast 800 Kilometer hinter sich. Beim Kartenvergleich im Internet ist es nicht so viel, aber wer kennt schon alle Umwege. Wenn dieser Bericht erscheint, ist es schon mehr als eine Woche her, dass die Pilger auf Fehmarn eingetroffen sind.
Die Pilger haben 1 900 Kilometer Wegstrecke
Sie haben in der evangelischen Gemeinde in Burg übernachtet und sind seit 9 Uhr wieder unterwegs. Als sie beim Golfplatz im Süden der Insel anlangen, telefonieren wir. Wenig später dann treffen wir uns auf einem Trampelpfad, kurz vor dem Campingplatz. Ein Winken aus der Ferne, eine Begrüßung im Gehen. Für eine Pause ist es noch zu früh. Die Pilger wollen schließlich nach Glasgow in Schottland, wo Ende Oktober ein weiterer Klimagipfel stattfinden soll. An diesem Tag ist Neukirchen in der Wagrien-Region das Ziel, wo die Pilger in der evangelischen Kirchengemeinde Obdach finden werden.
Aus Polen und Deutschland ist auch ein Pilgergruppe unterwegs, mit der sich die Skandinavier in Münster treffen wollen, um von dort aus zusammen zum Gipfeltreffen zu pilgern. Für die Schweden, die sich am 19. Juli auf den Weg gemacht haben, geht es um einen etwa 1 900 Kilometer langen Fußmarsch. Es ist ihre Art, der Forderung nach mehr Klimaschutz Nachdruck zu verleihen.
„Es ist eine Initiative der Kirche von Schweden, ein sichtbares Zeichen, um den Klimanotstand oben auf die Agenda zu setzen“, erzählt Annika Spalde (52), während wir über den Campingplatz recht zügig nach Fehmarnsund gehen, von wo aus man einen herrlichen Blick auf den Sund und die Brücke genießt.
Unterwegs erläutert die einzige „hauptamtliche Pilgerin“ der kleinen Gruppe, warum der „Pilgrim‘s walk for future“ (Pilgerweg für die Zukunft) für sie so wichtig ist. „Wir wollen den Politikern sagen, dass viele Menschen von ihnen erwarten, dass sie jetzt mutige Entscheidungen treffen.“ Wenn unsere Generation einen Planeten „mit zumutbaren Bedingungen“ für die Zukunft hinterlassen wolle, dann müsse „jetzt ziemlich drastisch gehandelt“ werden, sagt Spalde auf Englisch.
Glaubt sie tatsächlich, den Lauf der Dinge durch Wandern verändern zu können? Sie lacht. „Ja, warum nicht? Ich sehe es rein formal als eine politische Aktion, aber auch als spirituelle Reise.“ Denn unterwegs treffe die Gruppe auf ziemlich viele Menschen – in Schweden gingen teilweise mehr als zwei Dutzend mit, die damit konfrontiert würden, dass die Gruppe sich ja immerhin schon vor recht langer Zeit dafür entschieden habe, die Strapazen auf sich zu nehmen, um ein Zeichen zu setzen. Auch gehe es ja nicht allein um die Pilgernden. Auch für alle anderen, die sich spontan entschlössen, einige Kilometer mitzugehen, sei es „eine gute Gelegenheit, über das Leben nachzudenken“.
Morgens und abends gibt es eine Andacht
Die Gruppe, die morgens und abends eine etwa zehnminütige Andacht hält, gibt sich selbst täglich eine Frage zum Meditieren mit auf den Weg. An diesem Tag geht es um den Gedanken des freien Sonntags, den Tag der Ruhe in der Woche. „ Gibt es einen Tag für dich in der Woche, an dem du das Ruhen ganz ernst nimmst? Oder hättest du so einen Tag gerne, sofern du ihn nicht hast?“, fragt Annika Spalde. Sie selbst versuche es, tue sich aber schwer damit, gesteht sie. Doch sie habe Freunde, die das mit einem vollständig freien Tag in der Woche sehr ernsthaft befolgten. „Die senden nicht einmal eine E-Mail und tun nichts, was mit Arbeit zu tun hat“, erzählt sie.
Auf der bisherigen Wanderung hat Annika Spalde für sich festgestellt, dass sie „eine größere Nähe zur Natur“ entwickelt habe. „Ich fühle mehr und mehr, wie abhängig wir von ihr sind.“
Hans Kvarnstörm (69) ist pensionierter Pastor. Er geht den Pilgerweg mit, weil es aus seiner Sicht „sehr wichtig für den Planeten“ ist, was in Glasgow verabredet wird. Ganz persönlich, so erzählt er bei einer Pause ein paar Hundert Meter vor der Fehmarnsundbrücke, ist es für ihn faszinierend, zu einem Ort zu pilgern, an dem so wichtige politische Entscheidungen getroffen werden. Das Pilgern sei für ihn „eine demütige und ganz wundervolle Sache“. Wenn er selbst nicht mehr auf dem Erdenrund wandeln werde, so der Pastor, werde die Natur noch da sein. „Das macht mich demütig und fröhlich zugleich“, sagt er.
Susanne Karlsson (61) geht vor allem deswegen mit, weil sie das Gefühl hat, ganz konkret etwas tun zu müssen. „Ich will nicht nur darüber nachdenken, über all die Dinge, die unseren Planeten zerstören. Ich will etwas dagegen tun“, so Karlsson. Auch Robin Zagrosan, ein vor Jahren aus der Türkei nach Schweden geflüchteter Kurde, meint: „Unsere Erde ist unsere Mutter. Aber ich sehe, dass unsere Mutter Erde krank ist.“
An diesem Wochenende ein Halt in Nütschau
Ob Greta Thunberg ein Vorbild sei? Ja, meint Eva Dellemyr: „Greta Thunberg ist ein Vorbild für uns. Sie hat wirklich gute Arbeit geleistet, die Dringlichkeit der Klimaproblematik deutlich zu machen, so dass mittlerweile jeder darüber spricht. Ich denke, sie hat wirklich wichtige Arbeit geleistet.“
Pether Nordin (64), der Sechste im Bunde, geht vor allem für seinen Enkel mit, der vor vier Monaten geboren wurde: „Ich kann mir vorstellen, wie die Welt vor 64 Jahren war. Es war eine wundervolle Welt und es ist auch jetzt noch eine wundervolle Welt. Dann habe ich versucht, mir vorzustellen, wie die Welt 2085 aussehen wird, wenn er 64 Jahre alt ist.“ Die Erde, so Nordin, werde den Prognosen nach dann kein schöner Ort sein, um darauf zu leben: „Daraus ergibt sich die Verpflichtung, alles zu tun, um ein besseres Leben auf dieser Welt zu ermöglichen. Es ist ganz einfach.“
Die Pilger sind inzwischen über Grömitz und Neustadt weiter Richtung Lübeck gelaufen. Am 16. September wollen sie nach Reinfeld gehen, am 17. September weiter nach Nütschau, wo sie bis Sonntag, 19. September bleiben und dann nach Nahe (bei Itzstedt) aufbrechen und tags drauf weiter Richtung Hamburg pilgern. Von dort werden sie per Zug nach Münster fahren, um mit anderen Pilgern weiter Richtung Glasgow zu laufen.
Wer spontan mitpilgern möchte, kann Kontakt aufnehmen mit Annika Spalde. Tel. 0046-730-960292 (Auslandsverbindung) oder per E-Mail an annika.spalde@svenskakyrkan.se; Infos zur Route unter www.walkforfuture.se (Unterpunkt: Den Stora Vandringen, Karta)
Text u. Foto: Marco Heinen