Weihnachtskrippe mit Programm

Schnüpperle verkürzt das Warten

Image
19_12_twistringen.jpg

Zwischen Glühweinbude und Würstchenstand laden Christen in Twistringen erstmals zum Besuch einer Weihnachtskrippe ein – mit täglichem Programm. Ehrenamtliche gestalten die Figuren. Die Idee zum Projekt hatte ein Muslim.


Nachmittags um 17 Uhr ist Schnüpperle-Zeit: Maria Striethorst liest Adventsgeschichten aus einem alten Buch vor, mit dem sie schon ihre eigenen Kinder begeistern konnte. Foto: Anja Sabel

Der Erzählerstuhl mit der flauschigen roten Decke ist für Maria Striethorst reserviert. Die 83-Jährige ist pünklich. Sie stellt ihren Rollator ab, den sie wegen eines verletzten Knies braucht, holt ein abgegriffenes Buch aus ihrer Handtasche und macht es sich neben dem Verkündigungsengel bequem. Täglich um 17 Uhr ist Schnüpperle-Zeit. Schnüpperle – das ist ein Adventskalender zum Vorlesen mit einer Geschichte für jeden Dezembertag bis Heiligabend. Schnüpperle – so heißt auch die liebenswerte Hauptperson, ein Junge, der all das erlebt, was auch andere Kinder in der Vorweihnachtszeit begeistert: Plätzchen backen, Wunschzettel schreiben, Bratapfel essen oder Weihnachtsbaum aussuchen.

Diese Geschichten wurden schon vor 50 Jahren geschrieben. „Meine drei Kinder und auch meine Enkel haben das Buch geliebt“, sagt Maria Striethorst. Sie erklärte sich sofort bereit, in der neuen Weihnachtskrippe auf dem Twistringer Centralplatz öffentlich daraus vorzulesen. Egal, ob die Holzhütte voll ist oder nur zwei Kinder mit Mutter und Großeltern auf dem Stroh neben ihr sitzen.

Alle Figuren sind „Marke Eigenbau“

Ein Muslim, Janni Iqbal, brachte die katholischen und evangelischen Christen in Twistringen auf die Idee, zwischen Würstchenstand und Glühweinbude eine Krippe aufzustellen. Der gebürtige Pakistaner will Gott ins Gespräch bringen. Er findet: „Alle sollen daran erinnert werden, warum wir Weihnachten feiern.“ Er selbst ist mit einer Christin verheiratet und lädt immer am Wochenende vor Heiligabend bedürftige Menschen zum kostenlosen Weihnachtsessen in sein griechisches Restaurant ein.

Die Krippe hat sich zu einem Gemeinschaftsprojekt der Twistringer entwickelt. Alle Figuren aus Pappmaché oder Holz sind „Marke Eigenbau“ und ergänzen nach und nach die Szenerie. Maria, Josef und ein Hirt zum Beispiel sind in drei Kindertagesstätten entstanden. Grundschüler aus Heiligenloh liefern ein Schaf, ein weiteres kommt aus dem Hildegard-von-Bingen-Gymnasium. Ochs und Esel stammen aus der Hobbywerkstatt der Senioren Heinz Harms und Werner Buschmann. Die Krippe selbst haben junge Flüchtlinge gebaut.

Die 21 Quadratmeter große Holzhütte, also den Stall, sponserte die Gemeinschaft der Unternehmen Twistringen (GUT), ein Mitglied des Kirchenvorstands brachte Strohballen von seinem Bauernhof als Sitzgelegenheiten mit, und selbst für Licht und Wärme in der Hütte sorgen freiwillige Helfer. „Eigentlich wollten wir mit unserem Krippenprojekt klein anfangen, aber jetzt ist eine Dynamik entstanden, die sich nicht mehr aufhalten lässt“, sagt Birgit Hosselmann, Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Anna. „Viele sagen mir, genau das habe in Twistringen noch gefehlt.“

Könige und Kamel fürs nächste Jahr

Ein tägliches Programm verkürzt das Warten auf das Geburtsfest. Auch dabei machen viele Ehrenamtliche mit: morgens um 10 Uhr, nachmittags um 17 Uhr und manchmal auch um 19 Uhr. Sie lesen Adventsgeschichten aus dem Alten Testament, geflüchtete Frauen erzählen von ihren Heimatländern, es gibt Gitarrenmusik, Adventsmeditationen, plattdeutsche Weihnachtsgeschichten sowie einen Segen für werdende Mütter und junge Familien. Die Kindergartenkinder haben Maria Verkündigung nachgespielt, der Nikolaus war da, die Kinderkirche St. Anna wird noch zu Gast sein, ebenso wie die Caritas und die Suchtselbsthilfe. Zum Schluss, an Heiligabend, wird das Jesuskind in die Krippe gelegt.  

Dass die Kirchen sich auf diese Weise präsentieren, sagt Elmar Orths, Pastor in der evangelischen Martin-Luther-Gemeinde, sei eine gute Idee. „So kommen wir in Kontakt und denken vor Weihnachten nicht nur an Konsum.“ Am Eröffnungstag war die Hütte so voll, dass die Schnüpperle-Geschichte dank Mikrofon auch draußen zu hören war.

Die Krippe soll nun jedes Jahr im Advent auf dem Centralplatz stehen. „Wir wollen auf Dauer eine eigene Hütte bauen und nicht mehr auf die Leihgabe zurückgreifen“, sagt Pastor Orths. Auch neue Krippenfiguren kommen dazu. Birgit Hosselmann hat bereits eine Zusage für die Heiligen Drei Könige und ein Kamel. Und Janni Iqbal übernimmt wieder den Schlüsseldienst. Schließlich hat er den besten Blick auf die Krippe. Sie steht genau vor seinem Restaurant.

Anja Sabel