Preis für Bremer Katholikin

Sichtbares Zeichen des Friedens

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Regina Heyster
Nachweis

Foto: Villa Ichon in Bremen e.V.

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Regina Heygster erhält in diesem Jahr den Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon in Bremen.

„Sie sind ja verrückt!“ Das musste sich Regina Heygster oft anhören. „Zugegeben, meine Idee war auch verrückt“, sagt sie. „Nicht jeder hat mein Projekt gleich verstanden, ich habe durchaus Federn gelassen auf meiner Sponsorensuche.“ Mittlerweile hat die 70-Jährige mit ihrem Bremer Friedenstunnel nicht nur Skeptiker überzeugt.

Selbst Elke Büdenbender, die Frau des Bundespräsidenten, ist begeistert. Das, findet Heygster, komme einem Ritterschlag gleich. Und jetzt hat sie auch den Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon in Bremen erhalten. Der lange, mühsame Weg vom ersten Pappmodell bis zum künstlerisch gestalteten Tunnel hat sich für sie gelohnt. 

Viele Menschen tragen eine Sehnsucht in sich, anderen Religionen offen zu begegnen. Dieser Gedanke ging Regina Heygster während einer Auszeit im Kloster durch den Kopf. 1996 war das, ihre drei Kinder waren damals noch klein. Sie schrieb auf, was ihr vorschwebte: ein Tunnel mit religiösen Symbolen, in dem Menschen sich wohlfühlen. Ihre Notizen verschwanden in einer Schublade – bis zu den Terroranschlägen in New York 2001. Danach stand für die Künstlerin und gelernte Grafikdesignerin fest: Sie wird das Tunnelprojekt anpacken. Und: Dieser Tunnel soll ein Friedenstunnel werden, der ein gemeinsames Friedenszeichen der Weltreligionen im öffentlichen Raum setzt. Das Objekt war bald gefunden: der viel befahrene Remberti-Tunnel nahe dem Bremer Hauptbahnhof. 

Regina Heygster kontaktierte die Religionsgemeinschaften, sie gründete den Trägerverein „Friedenstunnel – Bremen setzt ein Zeichen“, warb um große und kleine Spenden für das Millionenprojekt. Obwohl es Rückschläge gab und schräge Blicke: „Ich war voller Feuer, beseelt und fest überzeugt, dass es klappt.“ Was hat sie all die Jahre durchhalten lassen? „Der tiefe Glaube, dass ein sichtbares Zeichen des Friedens den Menschen guttut.“

Im Laufe der Jahre veränderte sich der dunkle Eisenbahntunnel nach den Plänen der Initiatorin. Er wurde saniert, trockengelegt, frisch gestrichen und künstlerisch gestaltet. An den Fronten sind großformatige Mosaik-Friedensbäume angebracht, die Friedenstaube, die den Bremer Schlüssel im Schnabel trägt, und ein Lebensbaum-Lotus-Mosaik. Im Innentunnel befinden sich Mosaik-Friedensworte in 135 Sprachen sowie 82 Texttafeln mit Friedenstexten aus verschiedenen Kulturen und Religionen. Durch das Tunnelgewölbe wandert Licht in Regenbogenfarben – seit kurzem energieeffizient, wie Regina Heygster betont. In einem zweiten Schritt sollen auf dem Tunneldach ein Windrad und eine Photovoltaikanlage installiert werden, „um künftig selbst einen Teil des Stroms zu erzeugen“. 

Friedenstunnel Bremen
Der Friedenstunnel in der Nähe des Bremer Hauptbahnhofs leuchtet nachts in Regenbogenfarben. Foto: Rafael Heygster

Heygster und die Vereinsmitglieder wollten es nie bei einem ansehnlichen Bauwerk belassen, sondern das Projekt auch mit Leben füllen. Es gibt Podiumsdiskussionen unter dem Motto „Frieden konkret“ mit Vertretern aus den Religionen, aus Wirtschaft und Politik. Es gibt das Schulprojekt „Frieden fängt klein an“, in dem Kinder ihre eigenen Friedensvorstellungen im Bremer Rathaus präsentieren. Es gibt Treffen in den Häusern der Religionen und Tunnelführungen. Von April bis September wird jeden Sonntag musiziert. Eine kleine Friedenstunnelgemeinde, 40 bis 60 Leute, sitzt dann auf Klappstühlen auf dem Bürgersteig und lauscht den Friedensklängen im Tunnel. Den Lärm der Autos und Züge nimmt Regina Heygster in Kauf. Sie sagt: „Auch der Frieden wird gestört, das sehen wir aktuell in der Ukraine. Wir können Frieden nicht einfach verordnen, aber wir können ihn immer wieder sichtbar machen.“ Und dann erzählt sie noch von den „Himmlischen Klängen der Religionen“, einer neuen Veranstaltung, die hinterfragt, erklärt und moderiert, die die musikalische Vielfalt der Religionen als Angebot für diejenigen bereithält, die sich dafür interessieren. 

Da stehe ich in der Pflicht der Menschen, die ihr Geld in ihre Sehnsucht nach Frieden in den Tunnel investiert haben.

Der Bremer Friedenstunnel ist inzwischen ein anerkanntes Kunstwerk. Regina Heygster ist es aber nicht wichtig, „hohe Kunst“ zu machen. Wichtiger sind ihr die Reaktionen der Besucherinnen und Besucher. Einmal, sagt sie, sei eine ältere Frau auf sie zugekommen mit den Worten: „Immer, wenn ich auf dem Weg zu meinem Arzt durch den Tunnel gehe, fühle ich mich gar nicht mehr so krank.“ Ähnliches erlebte sie bei einer Führung mit Jugendlichen. „Ich habe sie gebeten, sich die 135 Mosaik-Friedensworte mal genauer anzuschauen. Eine Jugendliche sagte mir danach, dass sie morgens Krach mit ihren Eltern und deshalb schlechte Laune gehabt habe. Die sei jetzt verflogen.“ Das gibt Regina Heygster Auftrieb – zu erleben, dass der Friedenstunnel die Laune hebt, dass die Friedensworte guttun und die Religionstexte inspirieren. Viele Leute hätten unter vorgehaltener Hand über sie geredet, aber irgendwann gesehen: Die schafft das! „Und dann fanden sie es ziemlich gut.“ 

2018 wurde die Bremerin überraschend ins Rathaus eingeladen. Elke Büdenbender, die Frau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, wollte Ehrenamtliche kennenlernen – und Heygster war ihr empfohlen worden. „Ich ging also hin, erzählte von meinem Projekt, und sie spürte sofort meine Leidenschaft.“ Und Büdenbender? Die machte den Friedenstunnel fortan zu einem ihrer Herzensprojekte. Ein Jahr später kam sie erneut nach Bremen, ließ sich den Tunnel zeigen, sprach mit Religionsvertretern und ermunterte Heygster sogar, ein Buch über die Entstehungsgeschichte des Tunnels zu schreiben. Regina Heygster war auch beim Neujahrsempfang 2023 im Schloss Bellevue in Berlin dabei. „Eine große Ehre“, sagt sie, denn eingeladen wurden ausgewählte Initiativen, darunter Unicef, die sich in der Gesellschaft für Vielfalt, Verständigung und Miteinander einsetzen. 

Für den Fall, dass sie sich eines Tages nicht mehr um den Friedenstunnel kümmern kann, trifft Regina Heygster bereits Vorsorge. Der Gedanke an das Lebensende treibt sie um – zumal sie sich auch in der Hospizhilfe engagiert. Sie will verhindern, dass der Tunnel irgendwann im „Charme von Côte d’Azur-Häusern“ daherkommt, verschmutzt, mit abblätternden Farben. „Da stehe ich in der Pflicht der Menschen, die ihr Geld in ihre Sehnsucht nach Frieden in den Tunnel investiert haben.“ Heygster möchte erreichen, dass sich ein politisches Ressort ihres Kunstprojektes annimmt. Dafür heißt es wieder: „Klinken putzen“. Was so mühsam ist wie die anfängliche Sponsorensuche. Aber sie ist zuversichtlich, dass ihr auch das gelingt. 

Anja Sabel