Sie hatten den Mut
Foto: Ralf Adloff
Hamburg (ahü). Ein Tag der Lübecker Märtyrer in Hamburg? Warum? Tatsächlich spielt Hamburg im Leben und Sterben der vier Geistlichen eine große Rolle. Sie starben im Gefängnis Holstenglacis in der Nähe des Hamburger Messegeländes. Die toten Körper des evangelischen Pastors Karl Friedrich Stellbrink und des katholischen Kaplans Hermann Lange wurden im Krematorium Hamburg-Ohlsdorf eingeäschert, die Leichen der Kapläne Eduard Müller und Johannes Prassek im Konzentrationslager Neuengamme. Einer der vier, Johannes Prassek, war Hamburger.
Der Märtyrertag, einen Tag vor dem offiziellen Gedenktag der seligen Lübecker Kapläne im 80. Jahr ihres Todes, führte zu mehreren Erinnerungsorten in Hamburg. Unter anderem in das Konzentrationslager Neuengamme ganz im Südosten des Stadtgebiets. 500 Menschen nahmen an diesem Gedenktag teil, 150 davon aus Lübeck, mit drei Bussen. „Für Lübecker sind die Märtyrer präsent, aber die wichtigen Orte in Hamburg kennt nicht jeder“, sagt Jochen Proske, Geschäftsstellenleiter der Stiftung Lübecker Märtyrer. Und: „Bei den Lübecker Gedenkfeiern waren die Lübecker immer die Gastgeber und hatten jede Menge zu tun. Diesmal war es schön, Gast zu sein.“
Der dezentrale Tag hatte einige Schwerpunkte: Am Vormittag legten Hauptpastor Alexander Röder und Pater Philipp Görtz einen Kranz an der Gedenktafel vor dem Gefängnis Holstenglacis nieder. 20 Kilometer entfernt, im Konzentrationslager Neuengamme, gedachte eine große Gruppe von Menschen der Verfolgten, der zu Tode gequälten Opfer der NS-Zeit. An anderen Orten gab es zahlreiche weitere Einzelveranstaltungen. Um 14 Uhr trafen sich alle an einer gemeinsamen Mittagstafel auf dem Mariendomplatz – zentral war auch der Abschluss, die ökumenische Andacht mit Pastor Röder und Weihbischof Eberlein (für den erkrankten Erzbischof Stefan Heße).
Wie würdet ihr entscheiden? Vor dieser Frage standen die Mitspieler in einem „Escape-Room“ im Turm des Domes. Bei diesem Spiel wurde eine Handvoll Menschen in einen Raum geführt, der eingerichtet war wie im Jahr 1941. Die Spieler waren von da an Pfadfinder, die sich heimlich trafen. Ihr Leiter war verhaftet worden. Nun galt es, der Gestapo zuvorzukommen, die schon unterwegs war, um das Zimmer zu durchsuchen. Auf keinen Fall durfte die NS-Polizei die versteckten Predigt-Kopien des Bischofs Clemens-August von Galen finden. Mehrere Aufgaben waren zu lösen und führten zu den Papieren. Und am Ende kam die entscheidende Frage: „Was hättet ihr in der Situation von damals gemacht? Hättet ihr die Predigten vernichtet – oder verbreitet?“
Forschungsprojekt: Die Quellen kritisch sichten
Den eigenen Tod für die Wahrheit riskieren? Dazu gehört: Mut. „Mut“ war das Motto des Tages. Wie er selbst entschieden hätte – mitten in der Tyrannei 1941 – das konnte keiner sicher sagen. Mit der Frage „was wäre gewesen“ endet das Spiel. „Was war wirklich?“ Diese Frage ist noch nicht restlos beantwortet. Auch wenn etliche Dokumente und Zeugnisse über die Lübecker Geistlichen vorliegen – es gibt noch einiges aufzuklären. Das soll ein historisches Forschungsprojekt leisten, das der Regensburger Kirchenhistoriker Prof Dr. Sebastian Holzbrecher betreut und am Samstag vorstellte. „Es geht dabei untere anderem um eine kritische Sichtung der Quellen“, erläutert Jochen Proske. Wie zuverlässig sind etwa die Aussagen von (verstorbenen) Zeitzeugen? Ein Beispiel: Man erzählt, Johannes Prassek habe sich mit hochgeschlagenem Mantelkragen an öffentlichen Orten mit polnischen Zwangsarbeitern getroffen, um die Beichte zu hören. Wahrheit oder Legende?
„Das Projekt greift den bisherigen Forschungsstand kritisch auf und ergänzt ihn, wo neue Erkenntnisse und Fragestellungen es erfordern“, sagt Jochen Proske. „Durch ergänzende Archivrecherchen sind bereits neue Quellen erschlossen worden, die es nunmehr erlauben, auch die Geschichte der 18 verhafteten Lübecker Laien exemplarisch in den Blick zu nehmen.“ Ein weiteres Thema ist die unterschiedliche Rezeption der vier Geistlichen in der katholischen und in der evangelischen Kirche. Das Forschungsprojekt ist auf zwei Jahre befristet und soll von einem wissenschaftlichen Mitarbeiter unter Leitung von Prof. Holzbrecher vorangetrieben werden. Auftraggeber ist die erzbischöfliche Stiftung Lübecker Märtyrer.