Wie Caritas international den Menschen in Syrien hilft
Sie verlieren nicht ihre Zuversicht
Die Menschen in Syrien leiden unter den Folgen des jahrelangen Krieges. Bei dem schweren Erdbeben im Februar haben nun auch noch Zehntausende ihr Zuhause verloren. Caritas international versucht, die Not der Menschen zu lindern und ermöglicht Familien unbeschwerte Stunden.
Von Kerstin Ostendorf
Eine Schule in Aleppo: Tische und Stühle gibt es in den Klassenräumen nicht mehr. Alles ausgeräumt. Seit fast zwei Monaten findet hier kein Unterricht mehr statt. Die Räume werden gebraucht – für die Menschen, die seit dem schweren Erdbeben Anfang Februar obdachlos geworden sind. „Mehrere Familien mit oft vier bis sechs Kindern teilen sich nun die sehr kleinen Klassenräume“, berichtet Regina Kaltenbach. Sie ist Länderreferentin für Syrien beim Hilfswerk Caritas international und hat in der vergangenen Woche das Land besucht. Von Homs reiste sie nach Aleppo, von dort nach Damaskus.
„Ich bin noch völlig überwältigt vom Ausmaß der Zerstörung“, sagt sie. Obwohl es seit 2017 keine Kämpfe oder Raketeneinschläge mehr in Aleppo gibt, ist die Stadt im Norden Syriens noch immer zu einem großen Teil zerstört. An den Ruinen der Häuser blättert die Farbe ab, Pflanzen wachsen in den Mauerresten. „Das Erdbeben hat nun weitere Schäden verursacht. Ich habe mehr zerstörte und beschädigte Gebäude gesehen als unversehrte“, sagt Kaltenbach.
Nach Zahlen der Vereinten Nationen sind im von der Regierung Assad kontrollierten Gebiet rund 414 000 Menschen vom Erdbeben betroffen, 65 000 Gebäude sind beschädigt oder zerstört worden. Ein Großteil der Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, konnte bei Verwandten oder Freunden unterkommen. Die Menschen, die nun in Notunterkünften leben, gehören zu den Ärmsten der Armen. Ihre Familien haben nicht die Möglichkeit, zusätzlich Menschen aufzunehmen.
Zu sehen, unter welchen Bedingungen sie leben, hat Kaltenbach besonders berührt. „Auf dem Boden liegen Matratzen und dünne Bastmatten. Es ist sehr eng, sehr laut, sehr bedrückend“, sagt sie. Mit Kolleginnen und Kollegen der Caritas Syrien verteilte sie Hygienesets: Zahnbürsten, Shampoo, Seife, Handtücher. „Eben alles, was die Menschen jetzt hier brauchen“, sagt Kaltenbach. „Auch Läusemittel sind in den Sets. In einer Sammelunterkunft mit so vielen Menschen auf engem Raum müssen wir auch diese Risiken bedenken.“
Die Not der Menschen in den Unterkünften ist groß. „Sie haben keine Bleibe mehr und kaum Geld. Und doch haben sie Hoffnung“, sagt Kaltenbach. Vor ihrer Reise hatte sie damit gerechnet, auf deprimierte und verzweifelte Menschen zu treffen. Stattdessen lernte sie ein 16-jähriges Mädchen kennen. „Sie sprach perfekt Englisch. Sie erzählte mir, sie sei eigentlich gerne in der Notunterkunft, weil ihre Freundinnen auch dort leben. Und dass sie verliebt sei“, sagt Kaltenbach. „Das Gespräch hat mich total berührt: In all der Not steht da dieses Mädchen und erzählt mir so alltägliche Dinge, wie sie Teenager auch in Deutschland beschäftigen.“
Direkt nach dem Erdbeben haben Caritas international und ihre Partnerorganisationen ihre Hilfen angepasst. Hilfspakete wurden neu gepackt: Statt Lebensmittel wie Mehl oder Reis zu verteilen, werden vermehrt fertige Dosenmahlzeiten ausgegeben. „So können sich die Familien in den Unterkünften selbstständig versorgen“, sagt Kaltenbach.
In den Beratungsstellen der Caritas werden Kinder unterrichtet. „Da viele Schulen als Notunterkünfte gebraucht werden, fällt der Unterricht dort aus“, sagt Kaltenbach. Gerade für die Kinder sei es aber wichtig, wieder einen geregelten Tagesablauf zu bekommen. Ebenso habe die Caritas Syrien die psycho-soziale Beratung ausgebaut. „Die emotionale Belastung für die Menschen ist enorm hoch: erst die Schrecken der Kriegsjahre, nun die schwierige wirtschaftliche Lage und die Verluste durch das Erdbeben“, sagt Kaltenbach. „Wir versuchen, den Menschen ein Stück Leichtigkeit im Alltag zu geben. Da geht es manchmal auch nur darum, Räume und Spielzeug zu bieten, so dass Kinder und Eltern unbeschwerte Stunden verbringen können.“
Menschen sollen feste Unterkünfte bekommen
Dank der langjährigen Partnerschaft mit der syrischen Caritas sei es möglich gewesen, nach dem Erdbeben schnell zu reagieren, sagt Kaltenbach. Nahrung, Decken und Matratzen konnten die Helfer über lokale Händler ordern. „Wir kaufen vor Ort, um die Wirtschaft zu fördern. Allerdings müssen die Händler teilweise in Vorleistung gehen“, sagt die Referentin. Denn das größte Problem sei der Geldfluss ins Land. „Aufgrund der Sanktionen ist es nicht einfach, Geld nach Syrien zu transferieren.“
Neben der akuten Nothilfe habe nun Vorrang, die Menschen aus den Sammelunterkünften zu holen. „Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, dass wir als Hilfswerk die Mieten für Familien übernehmen. Oder wir lassen Häuser von Ingenieuren und Architekten überprüfen und instand setzen“, sagt sie.
Die Zahl der Hilfsbedürftigen in Syrien ist nach dem Erdbeben auf 8,8 Millionen Menschen gestiegen. Schon zuvor war die humanitäre Lage im Land katastrophal. „Im Januar lebten über 80 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze und hatten weniger als zwei US-Dollar am Tag zur Verfügung“, sagt Kaltenbach. Die Wirtschaft in Syrien liegt am Boden – zum einen wegen der internationalen Sanktionen gegen das Regime des Diktators Baschar al-Assad, zum anderen wegen der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise im Nachbarland Libanon, das eng mit Syrien verbunden ist. Benzin ist rationiert, Strom gibt es nur zwei Stunden am Tag, die Inflation treibt die Preise in die Höhe. „Die Menschen sind mit großen Taschen unterwegs, denn selbst für alltägliche Einkäufe müssen sie viele Bündel Geld mitnehmen“, sagt Kaltenbach.
Sie glaubt nicht, dass sich die Lage in Syrien schnell grundlegend verbessert. Aber sie hat Hoffnung. „Die Menschen hier sind Überlebenskünstler: Unter Bedingungen, die immer schlechter werden, verlieren sie nicht ihre Zuversicht“, sagt sie. Das sehe sie besonders in der Arbeit ihrer syrischen Caritas-Kolleginnen und -Kollegen. „Sie sind mit viel Herzblut dabei. Junge Frauen und Männer engagieren sich, packen und verteilen Pakete, kümmern sich um Familien, spielen mit kleinen Kindern oder betreuen ältere Menschen“, sagt sie. Diese Menschen geben nicht auf. Das beeindruckt Kaltenbach. Sie sagt: „Sie setzen sich für ihre Überzeugung von Menschenwürde und Nächstenliebe ein – über alle Religionsgrenzen hinweg.“