Sprechen kann man immer

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Ehrenamt in Corona-Zeit, das ist nicht einfach. Die Menschen haben Zeit, aber die Möglichkeiten sind beschränkt. Aber es geht noch etwas: Das Sprachtraining per Video, ein Projekt des Freiwilligen Zentrums Hamburg, trotzt jeder Krise.

Digitales Sprachcoaching für Migranten
So sieht eine Coaching-Stunde auf dem Computerbildschirm aus. Dorothee und Ali trainieren Deutsch. Bildschirmfoto: Andreas Hüser

„Heute habe ich etwas zur Grammatik vorbereitet. Und ich habe Nachrichten geguckt.“ Ali erzählt langsam und deutlich, worum es in den Nachrichten ging. „Armin Laschet ist neuer Vorsitzender der CDU.“ In den letzten Monaten hat Ali große Fortschritte gemacht. Weil er fleißig ist, und weil er regelmäßig mit Dorothee trainiert – am Computerbildschirm. Coach Dorothee ist sehr genau. Jede verschluckte Silbe, jede Gegenwartsform, in der die Vergangenheit richtig wäre, wird sofort korrigiert. „Die absolut Mehrheit – das ,e‘ muss deutlich mitgesprochen werden!“. CSU-Chef Markus Söder wünscht dem Vorsitzenden der Schwesterpartei „ein glückliches Händchen“. Ein normaler Satz. Für Ali aber stecken in diesen Worten mehrere Aussprache-Fallen. „In der persischen Sprache gibt es kein ch und auch keine Umlaute wie ö und ü“, erklärt er. „Deshalb habe ich damit oft noch Schwierigkeiten.“ 

Ali und Dorothee sprechen seit November regelmäßig miteinander. Gesehen haben sie sich nur auf dem Computerbildschirm. Zu einer verabredeten Zeit geben sie einen Link in den Computer ein. Ihre Videokonferenz läuft über „Ecclesias“, ein speziell für Kirchen entwickeltes Kommunikationssystem. Auch in normalen Zeiten wäre das praktisch, unter Corona-Bedingungen gibt es kaum eine Alternative zum Video-Kontakt. 

Mit dem Projekt „Aussprache-, Betonungs-, Satzbau-Coaching Online“ hat das Hamburger Freiwilligen Zentrum auf einen akuten Bedarf reagiert. Das Freiwilligen Zentrum, eine Einrichtung des Erzbistums Hamburg und der Caritas, bringt Menschen zusammen, die ehrenamtlich tätig werden wollen und solche, die Ehrenamtliche suchen. „Als im Frühjahr der erste Lockdown kam, hatten wir auf einmal doppelt so viele Anfragen wie sonst“, berichtet Carolin Goydke, Leiterin des Zentrums. „Die Leute sagten: Wir haben jetzt viel mehr Zeit, wir möchten etwas tun! Das Problem war: Es gab kaum etwas. Überall war der Einsatz von Ehrenamtlichen zurückgefahren.“ 

Eine Hilfe, die von jedem Ort aus möglich ist

Das Sprachtraining ist für viele Menschen eine große Hilfe. „Es ist ein Angebot für Menschen, die Deutsch lernen oder es gelernt haben. Normalerweise bleiben dann aber noch viele Unsicherheiten.“ Um im Sprachalltag klarzukommen, bräuchten die Sprachschüler jemanden, der nicht nur mit ihnen deutsch spricht, sondern auch an den Schwachstellen arbeitet und Fehler korrigiert. Und eben das bietet das Coaching. Auf der Internetseite des Freiwilligen Zentrums wird das Projekt vorgestellt. Wer jemanden coachen möchte oder gecoacht werden will, meldet sich per E-Mail. Unter den Anbietern und den Nutzern werden passende Paare zusammengestellt. Angenommen, ein Deutschschüler arbeitet im medizinischen Bereich oder benutzt eine technische Fachsprache, dann bekommt er nach Möglichkeit einen Partner, der sich darin auskennt. 

„Die Voraussetzungen für einen Coach sind: Sie müssen einen Computer oder Tablet mit Internet-Flatrate haben. Sie müssen sich eine Stunde Zeit pro Woche nehmen, Spaß an der Sprache haben – und Sie müssen sich duzen lassen.“ 

Dorothee gehörte zu den ersten „Coaches“, und Ali ist schon der fünfte „Schüler“, den sie begleitet. „Ich bin seit Frühjahr 2020 im Ruhestand und habe Zeit. Für mich ist das eine tolle Möglichkeit, mich zu engagieren“, sagt sie. Wichtig ist nach ihrer Erfahrung, dass Verabredungen verbindlich eingehalten werden. Ansonsten sind beide Partner frei, wie sie die Zeit nutzen. „Solange Ali redet, kann ich etwas korrigieren.“ Geredet wird über vieles. Über Politik, Grammatik, über Erlebnisse, über Fußball (Alis Lieblingssport) oder Handball (Dorothees Lieblingssport). 

Dorothee ist per Internet auf das Projekt aufmerksam geworden. Nach einem Vorgespräch – auch per Video – war alles geregelt. Ihr aktueller Gesprächspartner ist durch eine Broschüre an der Uni auf das Angebot gestoßen. „Wegen Corona bleibt die Schule zu. Aber ich wollte weiterkommen“, sagt er. Ali ist in Deutschland geboren, aber im Iran aufgewachsen. Dort hat er studiert, nach dem Bachelor-Abschluss als Elektroingenieur will er in Deutschland weiterstudieren. Das einzige, was noch fehlt, ist die Sicherheit in der deutschen Sprache. „Das Lernen mit Dorothee ist super“, findet er. Und beide merken die Fortschritte, Woche für Woche. 

Das Aussprache-Coaching ist nicht nur Corona-fest, sondern auch äußerst effektiv. Man muss nicht zu Treffpunkten gehen, fast nichts organisieren. Die Partner entscheiden, wie oft sie zusammenkommen und wann die Begleitung endet. Von welchem Ort sie miteinander konferieren, ist egal. „Eine Ehrenamtliche macht es sogar von Frankreich aus“, sagt Carolin Goydke. Aus den ersten Paaren wurden im Laufe des Jahres immer mehr. 40 sind es zur Zeit. Und weitere Interessierte – sowohl Nutzer als auch Anbieter – sind willkommen. 

Kontakt: www.freiwilligen-zentrum-hamburg.de, E-Mail: info@freiwilligen-zentrum-hamburg.de

Text: Andreas Hüser