Anstoß 17/22
Sternstunde meines Glaubens
Manches versteht man nicht mit nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen.
Manchmal passiert es mir, dass ich Dinge verstehe – im Sinne von kapieren – obwohl ich sie davor schon gefühlte hunderttausendmal gehört oder gelesen habe. Als ob es dieses Mal nicht im Kopf hängengeblieben, sondern gleich ins Herz durchgerauscht ist. Es gibt ja Dinge, bei denen das Herz klüger ist als der Verstand. So ist es mir am letzten Sonntag ergangen. Das Evangelium erzählte unter anderem von Thomas, der seinen Mit-Jüngern nicht glauben konnte, dass Jesus lebt. Vielleicht hatte er es schon erlebt, dass sie immer mal gern übertrieben oder sich die Wirklichkeit schönreden konnten. Vielleicht hatte ihn das Leben gelehrt, immer genau nachzuprüfen und nichts zu glauben, was man nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Er geht sogar noch einen Schritt weiter. Er will das, was ihm da erzählt wird, im wahrsten Sinne des Wortes be-greifen. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Jesus lässt ihn gewähren, Thomas greift nach den Wunden und bekennt: mein Herr und mein Gott! Dann kommen die Worte Jesu, die ich, weil schon so oft gehört, auswendig kenne. „Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du.“ Mit meinen Worten ausgedrückt, sagt Jesus da gerade zu Thomas: „Was sollst du auch anderes sagen. Schließlich siehst du mich ja.“
Sein folgender Satz von den Seligen, die nicht sehen und doch glauben, fiel mir ins Herz. Sagt Jesus da nicht gerade, dass sich der Glaube der Generationen nach den Aposteln nicht an einem tatsächlichen Sehen und Be-greifen des Auferstandenen festmachen kann? In diesem Satz liegt doch auch, dass Jesus weiß, dass es schwer sein kann, an ihn zu glauben. An ihn, seine Liebe und seine Allmacht zu glauben, auch wenn das Leben gerade nicht nach Ostersonntag, sondern nach brutalem Karfreitag oder zermürbendem Karsamstag schmeckt.
An diesem Sonntag hat mein Herz verstanden, dass Jesus weiß, dass mein Glaube manchmal ziemlich dünnes Eis ist. Er weiß, dass ich manchmal zögere, alles in seine Hand zu legen. Er rechnet mit meinen Zweifeln. Und genau das hat an jenem Sonntag meinem Glauben Kraft gegeben. Halleluja!
Andrea Wilke