Bistum Osnabrück beauftragt Universität Osnabrück

Studie zu sexualisierter Gewalt

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Podiumsdiskussion zur Studie zu sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück. Foto: Matthias Petersen

In den kommenden drei Jahren wird die Universität Osnabrück an einer Studie zu sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück arbeiten. Ziel ist es, vollständig aufzuklären und die Aufarbeitung in unabhängige Hände zu geben. 

Die Universität Osnabrück erstellt in den kommenden drei Jahren eine Studie zu sexualisierter Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen im kirchlichen Raum im Bistum Osnabrück. Sie leistet damit einen unabhängigen wissenschaftlichen Beitrag zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum seit 1945. Der Vertrag über das Forschungsvorhaben wurde am 26. April von beiden Vertragsparteien unterzeichnet. Das Bistum stellt der Universität 1,3 Millionen Euro zur Verfügung. Projektbeginn ist voraussichtlich am 1. August 2021.

Das Forschungsvorhaben trägt den Titel „Betroffene - Beschuldigte - Kirchenleitung: Sexualisierte Gewalt an Minderjährigen sowie schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen im Bistum Osnabrück“. Ziel der historischen und juristischen Studie ist es, die verschiedenen Wahrnehmungen von sexualisierter Gewalt vor dem jeweiligen zeitgenössischen Hintergrund zu untersuchen. Darüber hinaus sollen typische Muster sexualisierter Gewalt im kirchlichen Raum, aber auch des Umgangs mit Missbrauch aufgedeckt, benannt und bewertet werden. Erste Zwischenergebnisse sollen bereits nach einem Jahr vorgelegt werden.

„Wir danken für das große Vertrauen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Osnabrück mit dieser Studie zur sexualisierten Gewalt zu beauftragen. Es ist ein besonderer Forschungsauftrag an der Schnittstelle von Geschichts- und Rechtswissenschaften, mit dem wir zur Aufklärung vergangener Taten sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück beitragen wollen“, erklärt Susanne Menzel-Riedl, Präsidentin der Universität Osnabrück.

Verantwortliche Projektleiter der Studie sind der Rechtswissenschaftler Hans Schulte-Nölke und die Historikerin Siegrid Westphal von der Universität Osnabrück. Zudem werden weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Betroffene sexueller Gewalt in die Konzeption und Durchführung der Studie einbezogen.

Initiiert und begleitet wurden die Verhandlungen zwischen dem Bistum und der Universität Osnabrück von den Mitgliedern der externen Monitoring-Gruppe, die den diözesanen Schutzprozess gegen sexualisierte Gewalt im Bistum Osnabrück kontrolliert und steuert. Für die Monitoring-Gruppe drückte deren Sprecher Thomas Veen seine Freude aus, mit Westphal und Schulte-Nölke zwei Wissenschaftler gewonnen zu haben, die bereit sind, den Aufarbeitungsprozess im Bistum Osnabrück maßgeblich mitzugestalten und eine Studie zu erarbeiten, in der es nicht nur um Pflichtverletzungen von Verantwortlichen in der Kirche geht.

„Wirkliche Aufarbeitung kann nur geleistet werden, wenn die Perspektive der Betroffenen entscheidend ist und die Strukturen aufgedeckt werden, die sexualisierte Gewalt in der Kirche begünstigt haben. Die jetzt angestoßene Untersuchung kann hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten“, so Veen. Die Ergebnisse sollen auch für die Arbeit der gemeinsamen Aufarbeitungskommission zur Verfügung gestellt werden, die die (Erz-)Bistümer Hamburg, Hildesheim und Osnabrück einrichten.

Das Bistum Osnabrück gewährleistet den Wissenschaftlern uneingeschränkten Zugang zu seinen Akten. Nach Abschluss wird die Studie der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Über den Zeitpunkt sowie die Art und Weise der Publikation entscheidet allein die Universität Osnabrück, ohne dass das Bistum zustimmen muss.

Generalvikar Ulrich Beckwermert betont, dass das Bistum mit dem Auftrag an die Universität das Heft des Handelns aus der Hand gebe: „Wir wollen eine wirklich unabhängige wissenschaftliche Untersuchung. Dem Projektteam gewähren wir jede Unterstützung, die wir leisten können. Aber bis zur Publikation der Ergebnisse ist das Bistum nicht Subjekt, sondern Objekt des Verfahrens.“

Umfang der Studie

Das Forschungsprojekt umfasst drei Teilbereiche:

• eine quantitative Analyse von Fällen sexualisierter Gewalt durch Kleriker im Bistum Osnabrück seit 1945 anhand von Akten und durch Befragung von Betroffenen und Zeitzeugen;
• die Erarbeitung beispielhafter Fallberichte sexualisierter Gewalt im kirchlichen Raum aus der Perspektive der Betroffenen, aber auch aus der Perspektive der Beschuldigten, der Pfarreien und der Bistumsleitung;
• die Beschreibung und Einordnung typischer Muster von Betroffenenschicksalen, Täterhandeln, Reaktionen auf Gemeindeebene und des Handelns der Bistumsleitung, um auf diese Weise die Ursachen und Rahmenbedingungen sexualisierter Gewalt sichtbar zu machen.

„Wichtig ist es uns, dass wir nicht nur die Taten und mögliche Pflichtverletzungen der Bistumsleitung im Umgang mit den Tätern untersuchen, sondern auch ein viel genaueres Bild zeichnen, das den Schicksalen der Opfer gerecht wird und ihr Leid anerkennt“, erläutert Prof. Westphal das Projekt.

Teilstudie zu Rechtsverstößen

Bereits zu Beginn der Projektlaufzeit soll in einem gesonderten Teilprojekt untersucht werden, ob die Vorgehensweise der jeweiligen Verantwortlichen der Bistumsleitung bei den schon bekannten Verdachtsfällen im Einklang mit den bestehenden Vorschriften des staatlichen und des kirchlichen Rechts stand. „Die Namen von Hauptverantwortlichen des Bistums werden wir nennen, wenn ihnen Pflichtverletzungen zur Last fallen. Wenn wir neue Fälle entdecken, werden wir dies unverzüglich an die zuständigen Stellen im diözesanen Schutzprozess weitergeben, damit die Betroffenen Schutz und Hilfe erhalten und gegen die Beschuldigten Strafverfahren eingeleitet werden. Die Rechte der Betroffenen werden wir dabei unbedingt schützen“, so Schulte-Nölke. Die Ergebnisse dieses Teilprojekts sollen spätestens ein Jahr nach Beginn der Projektlaufzeit veröffentlicht werden.