Tierisch was los in Haus Simeon
Hühner im Garten, Alpakas im Fahrstuhl und auf Visite bei Bettlägerigen: Das Caritashaus Simeon in Lübeck hatte ein paar nette Gäste zu Besuch.
VON MARCO HEINEN
Im Caritashaus Simeon in Lübeck war am Montag tierisch was los. Die Hühner Sophia, Trixi und Susi hatten ihr Quartier schon Ende der Vorwoche im Garten der Senioreneinrichtung in der Lübecker Innenstadt aufgeschlagen. Man könnte von zwei Wochen Campingurlaub für Landeier sprechen, denn so lange sollen die drei Hennen bleiben. Das Sundheimer, das Zwerg-Sussex und das Sulmtaler sind normalerweise in Schlutup, einem Vorort von Lübeck, zuhause. Dort können sie gemietet werden. Zum Beispiel, um einmal auszuprobieren, ob eine Schar Hühner für den eigenen Garten in Frage kommt. Doch auch im Seniorenheim ist das Federvieh bei den meisten Bewohnern gerne gesehen: „Manche erinnern sich an früher und erzählen, dass sie auch mal Hühner hatten“, sagt Franziska Haas, stellvertretende Gesamtleitung Betreuung.
Die Idee mit den Hühnern ist auf ihrem Mist gewachsen. Bevor Franziska Haas in die Pfl ege ging, hatte sie mal mit dem Gedanken gespielt, Tierpfl egerin zu werden. Daraus wurde nichts, aber die Begeisterung für die Viecher, die blieb. Und da Abwechslung eine tolle Sache im Alltag älterer Menschen ist, schaute Haas gemeinsam mit einer Kollegin im Internet nach Tieren, die „zur Miete“ ins Haus kommen. Gut erzogen ist das Federvieh auch noch. Die Hühner wissen, dass sie um 18 Uhr in ihren kleinen mobilen Stall müssen, der um 19 Uhr automatisch verschlossen wird – zum Schutz vor Räubern. Morgens um kurz nach 8 Uhr geht die Klappe dann wieder auf. Vier Eier haben die Hühner in den ersten Tagen gelegt, erzählt Franziska Haas nicht ohne Stolz. Sie ist froh, dass die Einrichtungsleitung ihre Initiative unterstützt.
So war es auch, als Haas mit ihrer Kollegin die Idee mit den Alpakas ins Gespräch brachte. Und nun kamen schon zum zweiten Mal Tiere vom Alpakahof Carpe Diem in Giesensdorf bei Ratzeburg vorbei. Sinchi (8), Baristo (7) und Aurelio (6) hatten Renate Paul, Klemens Thiede und Witold Wilden als Begleitpersonal mitgebracht. Da Alpakas das Treppensteigen nicht gewöhnt sind, fuhren sie mit dem Fahrstuhl vom Tiefgeschoss ins Erdgeschoss, wo sich im Innenhof etwa 20 Heimbewohner versammelt hatten.
Nicht jeder war gleichermaßen interessiert, wenn die Tiere näher kamen. Doch vielen stand die Freude ins Gesicht geschrieben, wenn sie einen Augenblick eine Hand im Fell der aus den südamerikanischen Anden stammenden Alpakas vergraben konnten. Das mit dem Streicheln ist bei den Alpakas so eine Sache. Denn diese Art der Liebkosung ist ihnen ziemlich fremd und wird eher geduldet als geschätzt. Für Eigentümerin Renate Paul, die ein Biologiestudium absolviert hat und sich mit Verhaltensforschung auskennt, hat das damit zu tun, dass die Tiere im Gegensatz zu vielen anderen Säugetieren nach der Geburt nicht trockengeleckt werden – denn Alpakas haben nur eine sehr kurze Zunge.
Wer einem Alpaka zufällig mal in einem Fahrstuhl begegnet, sollte das Tier übrigens lieber nicht am Kopf streicheln und auch nicht am Po, denn das mögen sie nicht besonders. Außer vielleicht Sinchi, der sich auch gern in spiegelnden Fensterscheiben betrachtet und überhaupt so ziemlich jede Aufmerksamkeit genießt. Zwar hat er noch einen älteren Bruder, doch bei diesem Trio ist er der Boss. Weshalb seine beiden jüngeren Brüder Baristo und Aurelio stets einen Blick auf ihn haben. Und ein Fluchtweg muss immer frei bleiben: Wenn Alpakas nicht sehen, wohin sie fl üchten können, werden sie nervös.
Mit dem tiefenentspannten Sinchi kann man jedoch auch mal ein Bewohnerzimmer besuchen: Sigrun-Gabriele Kleiser ist bettlägerig und kann seit einem Schlaganfall nicht mehr richtig sprechen. Aber sie freut sich riesig, als Sinchi ans Bett kommt und sich sogar den Kopf kraulen lässt. Da muss sie gar nichts sagen, man sieht es.
Für Renate Paul ist das nicht verwunderlich. „Alpakas nennt man auch die Delfi ne der Weide“, sagt sie. Denn Sozialverhalten spielt bei beiden Tierarten eine große Rolle. Insbesondere Menschen mit Kommunikationseinschränkungen aufgrund etwa eines Autismus oder einer Alzheimererkrankung sprächen besonders gut auf Alpakas an, so Paul. Das ist es auch, was sie an den Tieren fasziniert. Dass übrigens auch einige Bewohner des Möllner Don Bosco-Hauses, in dem mehrfach schwerstbehinderte Menschen leben, einmal die Woche zu den Alpakas auf die Weide kommen, passt dazu. Aber das ist eine andere Geschichte, die ein andernmal erzählt werden soll.