Tu Buße! Oder lieber nicht?

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Verhülltes Kreuz
Nachweis

Foto: kna/Harald Oppitz

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Verhülltes Kreuz

In dieser Woche beginnt die Österliche Bußzeit. So heißt sie offiziell, aber lieber nennen wir sie Fastenzeit. Weil das Fasten zwar etwas mühsam ist, aber gesund. Positiv. Geradezu modern. Das Wort Buße hingegen klingt negativ, altbacken. Kirche von ihrer moralinsauren Seite. Aber ist das wirklich so? Susanne Haverkamp über eine heute oft unterschätzte Tradition.


Kehrt um! Was die Bibel unter Buße versteht

Sucht man in der Bibel nach dem Wort „Buße“, mag man erstaunt sein: Lediglich fünf Treffer gibt der Computer für die Einheitsübersetzung an, drei im Alten Testament und zwei im Neuen Testament. Ist die Bibel also gar nicht so ein Bußbuch, wie man manchmal denkt?

Nein, dieser Schluss wäre vorschnell. Eher geht es um eine Übersetzungsfrage. Denn sucht man in der Lutherbibel nach „Buße“, findet man immerhin 50 Treffer. Wie kommt das?

In der Hebräischen Bibel gibt es das Wort „shub“, in der greichischen Bibel das Wort „metanoia“. Beide Worte haben denselben Sinn: Umkehr. Den alten Weg verlassen und einen neuen, besseren Weg gehen. Im Griechischen mehr im Sinne von „seinen Sinn ändern“, im Hebräischen mehr im Sinne von praktischem Tun. Es ist also richtig, dass die Einheitsübersetzung fast immer mit „Kehrt um“ übersetzt, wenn es in der Lutherbibel heißt „Tut Buße“. Etwa, wenn Jesus sagt: „Ich bin gekommen, um Sünder zur Umkehr zu rufen“ statt „zur Buße“.

Wer jetzt denkt, aha, es geht nur um den Neuanfang, jederzeit und selbst, und alles andere hat die Kirche aus Machtgründen dazuerfunden, der macht es sich aber zu einfach. Denn besonders im Alten Testament ist der Neuanfang oft verbunden mit Zeichen und Riten, die deutlich machen, dass es mir ernst ist mit der Umkehr. Und mit dem Bedauern über das, was vorher war, was falsch war, schlecht, vielleicht sogar böse. Denn sonst müsste ich ja nicht umkehren.

Bußgewänder, Fasten und die Darbringung von Opfern

Kirchenfenster
Aaron bestimmt per Los, welcher Bock am Versöhnungstag zum Zeichen der Buße wird. Fenster in der Kathedrale von Lincoln. Foto: Wikimedia

Nehmen wir die Geschichte von Jona. Den hat Gott losgeschickt, um den Bewohnern von Ninive mitzuteilen, „dass ihre Schlechtigkeit zu mir heraufgedrungen ist“. (Jona 1,2) Nach einigen Umwegen kommt Jona in der Stadt an und verkündet Gottes Strafgericht. „Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört.“ (Jona 3,4) Und was passiert? „Die Leute von Ninive glaubten Gott. Sie riefen ein Fasten aus und alle, Groß und Klein, zogen Bußgewänder an.“ (Jona 3,5) Selbst der König stieg vom Thron, hüllte sich in Bußgewänder und gab Befehl, jeder solle „umkehren von seinem bösen Weg und von der Gewalt, die an seinen Händen klebt“. (Jona 3,8) Was praktsch bedeutet: persönliche Umkehr und Neubeginn ja, aber auch Fasten und Bußgewänder als sichtbare Zeichen – sichtbar für sich selbst, für die Gemeinschaft und für Gott. 

Was beim Propheten Jona in eine Geschichte verpackt ist, findet sich auch in der religiösen Gesetzgebung des Volkes Israel: Angekommen, jemand sündigt und erkennt das im Nachhinein, heißt es imBuches Levitikus, „so soll er bekennen, wodurch er sich verfehlt hat. Als Schuldopfer für seine begangene Sünde soll er dann ein weibliches Stück Kleinvieh, ein Schaf oder eine Ziege, vor den Herrn als Sündopfer bringen und der Priester soll für ihn von seiner Sünde Versöhnung erwirken“. (Levitikus 5,5–6)

Das ist wahre Buße: gerecht zu handeln und Gutes zu tun

Als geradezu institutionalisierte Umkehr findet sich im Judentum der Versöhnungstag, Jom Kippur, der bis heute als höchster Feiertag gilt. Durch strenges Fasten und Gebet und früher auch durch die Opferung von Tieren – darunter der bekannte Sündenbock – wird symbolisch hinter sich gelassen, was sündig war gegen Gott und die Menschen. Und das nicht nur individuell, sondern kollektiv: Man fastet und betet und opfert nicht nur als Buße für die eigenen Sünden, sondern auch für die aller anderen.

Das alles klingt sehr rituell – und alle Riten bergen die Gefahr, vordergründig zu werden, eine religiöse Pflicht, die äußerlich abgespult, aber innerlich nicht mitvollzogen wird. In Psalm 51 heißt es: „Schlachtopfer willst du nicht, ich würde sie geben, an Brandopfern hast du kein Gefallen.Schlachtopfer für Gott ist ein zerbrochener Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen.“ (51,18–19)

Das sieht auch Gott so. Deshalb trägt er seinen Propheten auf, zu verkünden, was aus seiner Sicht wahre Umkehr ist. Zum Beispiel Jesaja. „Seht, an euren Fasttagen macht ihr Geschäfte und alle eure Arbeiter treibt ihr an“, sagt er. Gott will anderes: „Das ist ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen.“ Oder Amos: „Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie. Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an euren Gaben.“ Was Gott wünscht, ist innere Umkehr: „Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ (Amos 5,21–24)

Es fällt schon auf: Egal, welches Buch im Alten Testament man liest: Immer ist den Menschen klar, dass sie vor Gott schuldig werden, dass sie tun, was ihm nicht gefällt, dass sie umkehren müssen. Selbstgefälligkeit ist nicht das Kennzeichen der Menschen der Bibel. 

Und auch nicht im Neuen Testament. „Kehrt um“ – das predigt Johannes der Täufer und das gehört zur Grundbotschaft Jesu. „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe“, so sagt er es bei Markus, Matthäus und Lukas.

Und doch ist der Schwerpunkt deutlich verschoben. Das rituelle Bußetun, also das Fasten oder Opfern, taucht in der Predigt Jesu fast gar nicht auf. Seine Lehre ist: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15) Was natürlich mit dem entsprechenden Tun verbunden ist: „Bringt Früchte hervor, die eure Umkehr zeigen.“ (Lukas 3,8) Was das ist, predigt Jesus später immer wieder: Umkehr zu Taten der Liebe, zum Nächsten. Hungernde speisen, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen. 

Umkehr zum Glauben an Jesus und zur Taufe

So wenig hielt Jesus offenbar von den Bußübungen seiner Zeit, dass das kritische Fragen hervorrief: „Da kamen die Jünger des Johannes zu ihm und sagten: Warum fasten deine Jünger nicht, während wir und die Pharisäer fasten?“ (Matthäus 9,14) Und seine Gegner formulierten es noch schärfer: Sie hielten Jesus für einen „Fresser und Säufer“ (Matthäus 11,19).

Auch die weiteren neutestamentlichen Bücher und Briefe bleiben in der Spur Jesu, was Umkehr und Buße betrifft. „Ich habe vor Juden und Griechen Zeugnis abgelegt für die Umkehr zu Gott und den Glauben an Jesus, unseren Herrn“, predigt Paulus in Milet (Apostelgeschichte 20,21). Und Petrus empfiehlt: „Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung eurer Sünden.“ (Apostelgeschichte 2,38). Umkehr ist also eine Entscheidung zu Jesus Christus, zum Evangelium, zu Taten der Liebe.

Was allerdings kein einmaliger Prozess ist. Im letzten Buch der Bibel heißt es: „Denk also daran, wie du die Lehre empfangen und gehört hast! Halte daran fest und kehr um!“ (Offenbarung 3,3) Und damit nähern wir uns dem, wie Buße nachbiblisch gelebt wurde und wird.


Tut Buße: Was früher Menschen quälte

Schon die ersten Christen erkannten ein grundsätzliches Problem: Auch Getaufte, die die Umkehr zum Evangelium vollzogen haben, tun nicht nur Gutes; sie verlassen im Alltag allzu oft Jesu Weg der Liebe, sie sündigen. Deshalb gab es zunächst eine Zeit, in der jeder Christ einmal im Leben in den Büßerstand treten und neu anfangen konnte. Doch das reichte nicht: Sünde, Umkehr und Buße sind ein lebenslanges Thema.

Flagellanten
Die Flagellanten, eine Bußbewegung im Mittelalter hielt es für Gottgefällig sich Schmerzen zuzufügen. Foto: istockphoto

Zudem wurde bald ein Gedanke immer wichtiger, der sich selten im Neuen Testament, aber oft im Alten Testament findet: der Gedanke von Gott als Zuchtmeister. Das, was uns hier auf Erden geschieht, so glaubten viele, ist Gottes Lohn oder Strafe für unsere Taten. Also müssen wir, wenn wir ein glückliches Leben führen wollen, Gott durch unsere guten Taten, durch Gebet und Gottesdienst zufriedenstellen. 
Umgekehrt gilt: Weil wir Menschen nicht immer gut sind in Gedanken, Worten und Werken, müssen wir durch Buße Gott versöhnen. Und das immer und überall, denn immer und überall lauert die Gefahr: der unzüchtige Gedanke, das böse Wort, die lieblose Tat. 

Als fromm galten deshalb lange diejenigen, die Buße zu ihrem Lebensinhalt machten; als heilig galten einige, die Bußgürtel trugen, sich selbst geißelten oder fasteten bis zur völligen Erschöpfung. Sich selbst zur Buße für tatsächliche, vermeintliche oder zu erwartende Sünden körperlich zu quälen, das war zeitweise vorbildlich.

Im hohen und auch im späten Mittelalter kam hinzu, dass Katastrophen wie die Pest oder der Einfall marodierender Truppen als Strafe Gottes interpretiert wurde. Entsprechend brutal war die Suche nach den Schuldigen, nach denen, die diese Strafe verursacht haben.

Auch die Bußbewegungen, etwa die Flagellanten (vom lateinischen flagellum: Geißel, Peitsche), hatten hier ihre große Zeit: Bußprozessionen und Bußtage wurden abgehalten, Bußfasten befohlen, Bußkleidung getragen. Alles, um Gott wieder zu versöhnen, damit die Pest oder Truppen verschwinden. 
Auch die Reformation machte damit nicht Schluss. Zwar schaffte sie die Ohrenbeichte ab, aber die Überzeugung, dass Menschen vor allem Sünder sind und Buße tun müssen,  war in der reformatorischen Tradition sehr ausgeprägt. Bis heute – wie die Lutherbibel zeigt.

Buße nach Tarif, um ewiger Strafe zu entgehen

Über viele, viele Jahrhunderte blieb das so. Generationen prägte der Glaube: Gott straft uns für unsere Sünden. Welche das sind, erfuhr man aus Beichtspiegeln. Wie Gott wieder versöhnt werden kann, wurde in Bußbüchern aufgeschrieben. Ganze Kataloge gab es, mit welchen Bußleistungen welche Sünden zu bezahlen sind. Tarifbuße nennen Kirchengeschichtler das heute.

Wobei das alles so lange noch nicht her ist, wie man meinen mag. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein waren in den Kirchen Bußpredigten weit häufiger als Predigten zur Liebe Gottes. Auch wenn die Strafe Gottes inzwischen in die Zeit nach dem Erdenleben verlegt wurde, blieb der Kerngedanke bestehen: Wir müssen Buße tun für unsere Sünden, um Gott zu versöhnen und seiner ewigen Strafe zu entgehen. Und die Beichte galt zumindest für Katholiken als die einzige Chance, dass das auch gelingt.


Macht es gut: Was Buße heute heißen kann

Nein, Buße im religiösen Sinn ist keine Strafe. Buße hat nichts mit dem Bußgeldkatalog zu, der die Geldstrafe für zu schnelles Fahren regelt – und auch nicht mit der Drohung, dass man es büßen werde, dass man den Mitschüler verpetzt hat. Wenn die Kirche von Buße spricht, greift kein Strafenkatalog. Zwei Ave Maria für Lügen? Vier Vaterunser für unzüchtige Gedanken? Nein!

Vielleicht hilft es, um einen heutigen Zugang zur Buße zu bekommen, zu unterscheiden zwischen Buße als Haltung und dem Sakrament der Buße. Auch wenn beides zusammenhängen mag, sind es doch unterschiedliche Dinge.

Die Österliche Bußzeit, die in dieser Woche begonnen hat, fordert zunächst einmal auf zu einer Haltung der Buße im biblischen Sinne der Umkehr. Sie fordert auf, innezuhalten und sich zu fragen: Auf welchem Weg bin ich gerade? Ist es der richtige? Führt er dorthin, wo ich hinwill? Führt er dorthin, wo Gott mich haben will? Oder muss ich umkehren? Auch in kleineren Dingen. Sollte ich vielleicht Verhaltensweisen ändern – gegenüber mir selbst, gegenüber anderen, gegenüber Gott? Sollte ich Ansichten überdenken, mich gedanklich neu sortieren? Stimmt mein Leben noch mit dem überein, was ich eigentlich glaube und für richtig halte? 

Allein oder mit anderen? Ein Bußweg mit zwei Varianten

Gespräch
Ein Gespräch mit jemanden, an dem man schuldig geworden ist, kann wehtun. Foto:  imago/YIY Images

Man könnte es etwas altmodisch als Gewissenserforschung bezeichnen. Oder etwas moderner als Selbstvergewisserung. Einmal im Jahr kann das nicht schaden: ein ehrlicher Blick auf sich selbst und auf die Frage, ob kleinere oder größere Nachjustierungen gut wären. Wenn man das regelmäßig macht, verhindert es, dass man irgendwann das Steuer komplett herumreißen muss. In diesem Sinne ist die österliche Umkehrzeit eine ziemlich vernünftige und menschenfreundliche Einrichtung.

Nehmen wir an, Sie gehen diesen Bußweg bis hierher mit. Dann kommt jetzt eine Gabelung mit zwei Wegen: Weg eins geht man allein; auf Weg zwei begegnet man anderen Menschen. Weg eins bedeutet, dass man nach einer ehrlichen Bestandsaufnahme für sich selbst zu konkreten Beschlüssen kommt. Denn ich würde vermuten: Ein bisschen Umkehrpotenzial gibt es doch in jedem Leben. Das gilt es nicht nur festzustellen, sondern die Umkehr dann auch wirklich zu vollziehen. Das muss man nicht ankündigen und niemandem mitteilen, das muss man einfach machen. Jedenfalls, wenn man den Weg alleine geht. 

Allerdings ist die Frage, ob das immer und für jeden gut und richtig ist. Oder ob manchmal nicht Weg zwei der bessere oder auch notwendige ist. Ein Beispiel: Nehmen wir an, Sie stellen bei Ihrer Bestandsaufnahme fest, dass Sie einem Menschen Unrecht getan oder ihn schlecht behandelt haben. Dass Sie etwas kaputtgemacht haben, eine Freundschaft vielleicht. Dann wäre es vielleicht nicht ausreichend, das im stillen Kämmerlein zu bereuen. Dann wäre es vielleicht richtig, auf dem Weg der Umkehr auch den Menschen zu begegnen, die die Sache betrifft.

Gefühlsmäßig sind wir dann schon recht nah bei dem, was wir als Buße bezeichnen. Bei dem Gefühl, das uns vermutlich vor einer solchen Begegnung beschleichen wird. Vielleicht auch beim Versuch einer Wiedergutmachung. Nicht als Strafe für Vergehen, sondern als Zeichen des Neubeginns. Das muss nicht der klassische Blumenstrauß sein, vielleicht reicht die Einladung zu einem ernsthaften Gespräch. Jedenfalls muss es mehr sein als ein hingeworfenes „’Tschuldigung!“

Je nach Hintergrund darf die Umkehr auch schmerzhaft sein, ja, vielleicht muss sie es sogar. Wenn uns in der Begegnung mit dem oder der anderen aufgeht, wie falsch, wie lieblos oder egoistisch wir gehandelt haben. Dass wir uns selbst darin kaum wiedererkennen, weil wir doch eigentlich anders sein wollen. Das kratzt das Selbstbild an und das kann wehtun. Das ist es ja gerade, was Buße so unpopulär macht. Und dennoch notwendig. 

Auch das Sakrament der Buße kann eine Hilfe beim Neubeginn sein

Und dann könnte man auf dem Weg zwei noch einem anderen Menschen begegnen: einem Priester. Womit wir beim Sakrament der Buße wären.

Es setzt in der Erkenntnis an, dass unser Leben und unser Handeln immer auch mit unserem Glauben zu tun hat, dass das, was wir unserem Nächsten tun, auch Jesus tun – um mit dem Evangelisten Matthäus zu sprechen (25,40.46). Im Guten wie im Bösen. Mal abgesehen von den Dingen, die wir vielleicht Gott selbst antun. Ihn zu vergessen zum Beispiel. Ihn lieblos zu behandeln.

Für manche Menschen kann deshalb das Sakrament der Buße hilfreich sein. Das Gespräch mit einem Außenstehenden. Die feste Zusage: (Auch) Gott hat dir vergeben; du kannst jetzt abschließen mit deiner Schuld; du kannst umkehren, neu beginnen. Und Gott geht mit auf dem Weg.

Warum das hilfreich sein kann? Um gelöst und frei durchs Leben zu gehen. Aufrecht, nicht gebeugt. Selbstbewusst, nicht selbstverliebt. Um frohen Herzens das Leben zu feiern. Auch und gerade zu Ostern.

Susanne Haverkamp