Das Frauenbild in der Bibel
Tüchtig oder stark?
Frauen kommen in den Lesungen selten vor. Und wenn, dann wird ein einseitiges Loblied auf die Frau gesungen. Dabei ist das Frauenbild der Bibel vielschichtig, sagt Uta Zwingenberger, Beauftrage für biblische Bildung im Bistum Osnabrück.
Von Susanne Haverkamp
Das Frauenbild in der Bibel, sagt Uta Zwingenberger, ist weit gefächert. „Die Bibel umfasst etwa 800 Jahre, 73 Bücher und noch mehr Autoren – da kommen viele unterschiedliche Facetten zusammen.“ Dennoch lassen sich zwei Linien erkennen: die frühere in der bäuerlichen Umwelt bis etwa 300 vor Christus. Und die danach, als in hellenistischer Zeit das städtische Leben an Bedeutung gewinnt. In der bäuerlichen Umwelt, sagt Uta Zwingenberger, sei das Männer- und Frauenbild „deutlich egalitärer“. „Auf dem Bauernhof müssen alle ran. Es gibt vielleicht verschiedene Kernaufgaben, aber die sind gleichwertig.“ Feld oder Stall, Küche oder Hof – alles hat die gleiche Bedeutung für die Gemeinschaft. „Eigene Rollenbilder, das ist ein gesellschaftlicher Luxus, den man sich noch nicht leisten kann.“
In hellenistischer Zeit ändert sich das. Jetzt entstehen größere und kleinere Städte und mit ihnen entstehen klare Rollenverteilungen. „Es gibt eine Trennung von Außen und Innen“, sagt Uta Zwingenberger. „Der Mann ist für das Außen, die Stadt und ihre Belange zuständig, die Frau für das Innen: Haus, Hof, Familie.“ Deshalb, sagt Zwingenberger, sei es umso bemerkenswerter, welche Rolle Frauen in der jungen Kirche einnahmen. „Wir finden es selbstverständlich, dass Frauen und Männer getauft wurden, das war es aber nicht. Frauen gehörten nicht in dieser Weise in die Öffentlichkeit.“ Die „Ekklesia“, die Volksversammlung, der sich später die Kirche den Namen entlieh, „ist etwas für Männer, in der Frauen nicht auftauchten und schon gar nicht sprachen“.
Dennoch ist im Neuen Testament von engagierten, einflussreichen Frauen die Rede, von Lydia zum Beispiel oder von Junia. Und Paulus verkündet: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ Uta Zwingenberger sagt: „Natürlich gab es damals die Ämter noch nicht, wie wir sie heute kennen. Aber offenbar sollten die üblichen Rang- und Rollenunterschiede in der Gemeinde keine Rolle spielen.“ Nicht zwischen sozialen Ständen, nicht zwischen Ländern und Kulturen, nicht zwischen den Geschlechtern.
Wenn Zwingenberger davon spricht, dass das Frauenbild der Bibel weit gefächert ist, dann spricht sie etwa von Rut, Ester und Judit. „Nach ihnen sind drei biblische Bücher benannt, das war in der antiken Umwelt völlig unüblich.“ Alle drei waren keine unscheinbaren Hausfrauen, die fleißig am Spinnrad sitzen. Judit, übrigens als auffallend schön geschildert, rettet ihr Volk, indem sie dem feindlichen Feldherrn Holofernes den Kopf abschlägt; Ester, ebenfalls „überaus schön“ (Est 2,7), rettet durch Mut und Verhandlungsgeschick das Volk vor dem Untergang.Oder die Richterin Debora. „Richter oder Richterin, das waren damals keine Begriffe der Rechtssprechung“, sagt Uta Zwingenberger. „Eher könnte man sagen: Die Richter geben die Richtung vor, sie sind Führergestalten.“ Und eine davon ist Debora, die militärisch-strategische Entscheidungen im Krieg gegen die Kanaanäer trifft.
Starke Frauen gibt es in allen Teilen der Bibel
Stellt sich die Frage: Wenn es so viele „Gegengeschichten“, wie Zwingenberger sie nennt, gibt, wenn die Bibel so viele selbstständige, starke, engagierte Frauen aufzuweisen hat: Warum findet sich dann in der katholischen Leseordnung so wenig davon? Warum ist hier meist von der demütigen, stillen, fleißigen, gehorsamen Gattin die Rede? Uta Zwingenberger sagt: „Wir leben mit einer 3000-jährigen männerzentrierten Geschichte der Bibel.“ Es waren Männer, die die biblischen Texte schrieben; Männer, die sie redaktionell überarbeiteten; Männer, die die biblischen Bücher übersetzten und auslegten; und Männer, die Ende der 1960er Jahre entschieden, was heute in der katholischen Leseordnung zu finden ist. „Ich will niemandem bösen Willen vorwerfen“, sagt Zwingenberger, „aber es ist schon klar, dass alles, was in das männlich geprägte Bibelbild nicht hineinpasst, rausgelassen wird.“
Die heutige Lesung aus dem Buch der Sprichwörter ist dafür ein wunderbares Beispiel. Zur Erinnerung (und rechts in der Randspalte nachzulesen): Gelobt wird die Frau, die ihrem Mann allzeit Gutes tut; die für Wolle und Flachs sorgt; die voll Freude am Spinnrad arbeitet; die Bedürftigen gibt; die fromm ist und weiß, dass äußere Schönheit überbewertet ist. So passt das.
Allerdings: Wer in die Bibel, ins Buch der Sprichwörter, Kapitel 33, hineinschaut, findet dort etliche Verse, die es nicht in die Lesung geschafft haben. Denn gelesen werden nur Bruchstücke, die Verse 10–13, 19–20 und 30–31. In den ausgelassenen Zeilen dazwischen steht beispielsweise das über die ideale Frau:Sie kauft einen Acker, vom Ertrag ihrer Hände pflanzt sie einen Weinberg. (16) Sie gürtet ihre Hüften mit Kraft und macht ihre Arme stark. (17) Sie öffnet ihren Mund in Weisheit, und Unterweisung in Güte ist auf ihrer Zunge. (26)
Das klingt doch irgendwie anders. Nach Selbstständigkeit und Stärke. Nach Mitspracherecht, Klugheit und öffentlichem Wort. In der Lesung fehlt all das. Seltsam. Und noch etwas fällt auf, sagt Uta Zwingenberger: die Übersetzung. Von einer „tüchtigen Frau“ ist da die Rede. Welches Bild haben Sie bei der Formulierung im Kopf? Tüchtig: Es klingt ein bisschen altmodisch, das Wort, oder? Ein bisschen brav.
Dabei hätte die hebräische Formulierung „eschet chail“ auch andere Übersetzungen hergegeben. „Es sind zwei Substantive“, sagt Zwingenberger. „Eschet“ ist eine Form von „isha“ und bedeutet Frau. Und „chail“? „Das Lexikon des biblischen Hebräisch gibt als erste Bedeutung ‚Stärke’ an“, sagt Zwingenberger, daneben auch „Wohlstand“ und „Heer“. Im modernen Hebräisch, sagt sie, bedeute es „militärisches Korps, Armee, Stärke, Erfolg“; die israelische Luftwaffe heißt „chail ha‘awir“, also „Armee der Luft“.
Kraft, Stärke, militärische Macht. Klingt irgendwie anders als die tüchtige Hausfrau. „Es wäre spannend, mit welchen Ohren und Assoziationen hebräischsprechende Frauen und Männer unseren Text von der ‚Frau der Stärke’ hören“, sagt Uta Zwingenberger. Vermutlich mit ganz anderen als die Kleriker, die 1969 das neue Lektionar verabschiedet haben.