Die Strukturen der katholischen Kirche haben den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen begünstigt. Das ist ein Ergebnis der von den Bischöfen veröffentlichten Studie. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken fordert jetzt Konsequenzen. Ein Gespräch mit ZdK-Mitglied Dagobert Glanz.
Angesichts der erschreckenden Ergebnisse der Studie zum sexuellen Missbrauch in der Kirche hat das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) bei seiner Herbstvollversammlung Ende November von der Institution Kirche umfassende Konsequenzen gefordert. So müssten etwa im Kirchenrecht Exekutive und Judikative getrennt werden, Laien und Geweihte gleichberechtigt an der Leitung der Kirche beteiligt werden, Frauen Zugang zu allen kirchlichen Ämtern gewährt und der Pflichtzölibat für Priester abgeschafft werden. – Dr. Dagobert Glanz ist einer der rund 230 Mitglieder des ZdK und Vorsitzender des Katholikenrates im Bistum Magdeburg.
Herr Dr. Glanz, die Forderungen des ZdK an die Verantwortlichen in der Kirche sind klar und deutlich. Höchste Zeit, um letzte Reste von Vertrauen in die Kirche zu retten?
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ZdK-Mitglied Dr. Dagobert Glanz. | Foto: Eckhard Pohl |
Wir waren uns im ZdK mit großer Mehrheit darüber einig, dass Betroffenheitserklärungen und allgemeine Willensbekundungen nicht reichen, sondern dass konkrete und umfassende Reformen anstehen. Die Bischöfe müssen im Blick auf die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals mit vermutlich ja noch weitmehr als den in der Studie erfassten 3677 Opfern und 1670 Tätern von 1945 bis 2014 Verantwortung übernehmen und jetzt handeln. Der zuletzt von der Bischofskonferenz beschlossene 7-Punkte-Plan lässt keinen wirklichen Wendepunkt erkennen. Die Täter und die Verantwortlichen, die deren Taten mit dem Ziel, die Kirche zu schützen, gedeckt haben, müssen sich der ordentlichen Gerichtsbarkeit stellen. Die Aufarbeitung muss mit Hilfe einer unabhängigen Kommission, die Zugang zu allen kirchlichen Akten hat, konsequent beschritten werden. Wie Münchhausen kann sich auch die Kirche nicht selbst aus dem Sumpf ziehen.
Im Beschluss des ZdK werden innerkirchliche, klerikalistische Machtstrukturen, wie sie auch Papst Franziskus benennt, für den Umfang des Missbrauchs mitverantwortlich gemacht. Sexualisierte Gewalt wird durch das „System Kirche“ begünstigt, heißt es. Was ist gemeint?
Bischöfe, Priester, Diakone, Ordensleute sind für ihren Dienst geweiht und dadurch auch ein Stück herausgehoben, aber eben für ihren Dienst, und nicht, wenn sie den alltäglichen Dingen des Lebens nachgehen. Wer sich im von zölibatär lebenden Männern geprägten Kirchensystem über seinen Dienst hinaus Sonderrechte herausnimmt, etwa, sich nicht für Straftaten verantworten zu müssen, liegt falsch. Leider fördern auch manche Laien durch ihre Art des Umgangs mit Seelsorgern ein falsches Selbstverständnis von Amtsträgern und damit auch Klerikalismus.
Nun kann man nicht jedem Priester oder Diakon klerikalistisches Verhalten vorhalten …
Keinesfalls. Genauso, wie die große Mehrzahl der Seelsorger nicht unter Generalverdacht gestellt werden darf, sich des Missbrauchs schuldig gemacht zu haben. Dennoch würde ein Aufbrechen der Vormachtsstrukturen zölibatär lebender Priester und Bischöfe hin zu einer gleichberechtigten Teilhabe von Laien und Geweihten an der Leitung der Kirche und einem gleichberechtigten Zugang von Männern und Frauen zu den kirchlichen Ämtern dazu beitragen, klerikalistisches Denken und Handeln zu verhindern oder mindestens erheblich zurückzudrängen.
Wie sehr sehen Sie die Seelsorger und Gemeindeglieder in den Bistümern der neuen Bundesländer gefordert?
Genauso wie in den alten Bundesländern, auch wenn zum Beispiel im Bistum Magdeburg, wo ich herkomme, schon wegen der wenigen Katholiken auf einem großen Territorium manches nicht so ausgeprägt ist. Und wir – so sehr jeder einzelne Missbrauch einer zu viel ist – nicht ganz so viele Fälle zu beklagen haben. Aber das befreit uns nicht davon, an umfassenden Änderungen in der Kirche zu arbeiten.
Als Katholikenrat im Bistum Magdeburg haben wir eine Arbeitsgruppe „Konsequenzen aus der Missbrauchsdebatte“ eingesetzt, die aufzeigen soll, wie wir als Gemeinden, Kleriker und Bischof gemeinsam die eingetretene tiefe Krise überwinden können. Wir sind in der glücklichen Situation, einen Bischof und eine Bistumsleitung zu haben, mit denen dies gut gelingen kann.
Angesichts der erschreckenden Missbrauchszahlen zeigen sich nicht wenige Katholiken von ihrer Kirche tief enttäuscht und sprechen von verlorener Heimat. Wie geht es Ihnen persönlich damit? Wie ist die Stimmungslage im ZdK?
„Ich leide an meiner Kirche, ich leide mit meiner Kirche“, hat es der ehemalige ZdK-Präsident Alois Glück formuliert. Trotz aller notwendigen Maßnahmen bis hin zur Strafverfolgung können wir nicht sagen, hier sind die Guten und dort die Bösen. Wer sich zu dieser Kirche zugehörig fühlt, ist mitverantwortlich für das, was geschehen ist. Nicht nur die Kleriker.
Bei der Herbstvollversammlung stand auch der Umzug des ZdK nach Berlin zur Debatte. Für wie wichtig halten Sie den Umzug? Woran scheitert er bisher?
Für sehr wichtig. Wer politisch etwas bewegen will, und das wollen wir als ZdK, muss in Berlin sein. Natürlich gibt es auch bedenkenswerte Einwände: Die meisten Katholiken leben im Süden/Südwesten Deutschlands, dort sind auch die großen Hilfswerke angesiedelt, dort gibt es große Verbände und andere Institutionen. Zugleich wäre ein Standort in Berlin teurer als in Bonn-Bad Godesberg. Andererseits aber, und das ist meine feste Überzeugung, ist die Kirche in der Situation der neuen Bundesländer mit drei Prozent Katholiken, zwölf Prozent evangelischen Mitchristen, aber 85 Prozent konfessionslosen Mitmenschen besonders gefordert. Hier gilt es Antworten zu geben. Und die kirchliche Situation im Süden und Westen wird sich voraussichtlich immer mehr auf unsere hiesige zubewegen. Argumente – es gibt noch andere – die für eine Präsenz des ZdK in Berlin sprechen. Und wenn die dann an einem Standort in Verbindung mit den Vertretungen katholischer Verbände und zugleich niederschwelligen karitativen Angeboten verbunden wäre, fände ich das eine gute Sache.
Wie sehr ist bei den Beratungen des ZdK generell die Situation in den Ost-Bistümern im Blick?
Schon angesichts der Katholikenzahlen spielen die Ostbistümer eine geringe Rolle. Mit Wolfgang Klose aus Berlin kommt einer der Vizepräsidenten zumindest aus dem Ostteil Deutschlands, vorher war es Alois Wolf aus Erfurt. Bei vielen der behandelten Fragen spielt die Region aber auch keine wesentliche Rolle. Gut finde ich die vor einiger Zeit eingeführte Praxis, während der Vollversammlungen in kleineren Gruppen Themen zu besprechen. So ging es etwa im November in einer der Gruppen um die Sprache der AfD, die zuvor in einem Vortrag mit der des Dritten Reichs verglichen wurde. Die besondere Situation von Kirche im Osten Deutschlands haben viele der ZdK-Mitglieder aus den alten Ländern noch nicht realisiert.
Interview: Eckhard Pohl