Lesenswertes Buch "Obdachlos katholisch"

Unerfüllte Sehnsucht

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Melisa Balderi

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Sie wünscht sich eine radikal menschenfreundliche Kirche: Regina Laudage-Kleeberg. 

In ihrem Buch „Obdachlos katholisch“ erzählt Regina Laudage-Kleeberg, wie fremd ihr die Kirche geworden ist – und wie schmerzlich sie sie als Glaubensheimat vermisst. Sehr berührend, sehr konstruktiv, sehr lesenswert.


Von Andreas Lesch

Da sitzt Regina Laudage-Kleeberg sonntagmorgens auf dem Spielplatz, mit einem Cappuccino in der Hand. Sie sieht den Kindern auf dem Klettergerüst zu – und hört in der Kirche nebenan die Glocken läuten. Ihr Leben lang hat sie dieses Läuten auf liebevolle Weise gerufen. Aber jetzt steht sie nicht mehr auf. Und fragt sich: „Wie ist es so weit gekommen? Dass ich kaum noch in Gottesdienste gehe? Dass ich den geliebten Beruf in der Kirche gekündigt habe? Und das tolle Engagement als katholische Radiosprecherin auch?“

Mit diesen Fragen beginnt Laudage-Kleeberg ihr großartiges Buch „Obdachlos katholisch“. Sie erzählt, wie sehr das Katholischsein zu ihrer Identität gehört: die Werte, die Traditionen, die Rituale, die Musik. Und davon, wie fremd ihr die Institution Kirche geworden ist. Sie hat nun keine Heimat mehr für ihren Glauben.  

„Bis heute laufen mir Tränen herunter“

Das Buch zieht seine Kraft daraus, dass es nicht nur von Gedanken zur Krise der Kirche handelt, sondern auch von den Gefühlen, die diese Krise bei gläubigen Menschen auslöst. Es ist wertvoll für alle, denen es ähnlich geht wie der Autorin. Aber auch für alle, die sich in der Kirche nach wie vor heimisch fühlen und rätseln, warum um sie herum so vieles bröckelt. Und für Verantwortliche, die wissen wollen, wie sich die Kirche verändern müsste, um Menschen wieder zu begeistern.
Seit Jahren, schreibt Laudage-Kleeberg, merke sie: „Ich bin nicht mehr bereit, die TOP 3 der katholischen Menschenverachtung zu akzeptieren: die sexualisierte Gewalt, ihre Ermöglichung, Relativierung und Vertuschung. Den strukturellen Sexismus, also die Ungleichstellung von Frauen und non-binären Menschen beim Zugang zu Ämtern und damit verbundenen Führungsaufgaben. Die systematische Abwertung von queeren Menschen, ihren Beziehungen, ihrer Sexualität.“

So hart, wie diese Aufzählung klingt, so zart erzählt Laudage-Kleeberg, was der Glaube ihr gibt: „Bis heute laufen mir Tränen herunter, wenn ich doch mal wieder in einem Gottesdienst bin, bei dem alles in mir aufgehoben und angenommen ist. An den Tränen merke ich: Das Ritual, die katholische Liturgie, sind nicht nur Heimat, sondern auch mein Zuhause, nach dem ich mich schrecklich sehne.“ Solche Sätze hallen nach, weil sie gerade nicht hochtheologisch sind, sondern sehr persönlich, intim, berührend. Und damit ganz schön mutig.

Sie kann und will ihr Dilemma nicht auflösen, indem sie evangelisch wird oder austritt. „Katholisch zu sein – das gehört zu meiner Person. Ich kann es nicht einfach abstreifen wie ein zu klein gewordenes Kleidungsstück“, schreibt sie. Die Kirche, betont sie, hätte alles Potenzial dazu, Menschen ein passendes Zuhause anzubieten: „Sie bräuchte nur im Sinne des Evangeliums handeln: radikal menschenfreundlich.“ 

Jahrelang hat die Religionswissenschaftlerin Laudage-Kleeberg für das Bistum Essen gearbeitet, als Leiterin der Kinder- und Jugendpastoral und Organisationsentwicklerin. Für „Kirche im WDR“ hat sie Verkündigungssendungen gesprochen. Sie kennt die Kirche aus vielen Perspektiven. Gerade deshalb wirken ihre Fragen glaubwürdig. „Warum sind wir keine Großmacherkirche? Obwohl wir doch ein großmachendes Menschenbild haben?“, schreibt sie. Und: „Glaubt wirklich jemand, dass die vielen, vielen Reformforderungen aus Jux und Tollerei entwickelt werden? Glaubt wirklich jemand, dass Menschen der Kirche schaden möchten, indem sie Kritik üben?“ 

„Geht es Ihnen besser, seit Sie bei uns waren?“

Auch an Gemeinden hat Laudage-Kleeberg Fragen: „Sind unsere Türen wirklich für Menschen offen, die neu oder anders sind?“ Und: „Wenn diese neuen Leute zu uns reingekommen sind, wer merkt es? Wie werden sie willkommen geheißen?“ Sie kritisiert nicht nur, sondern macht auch kluge, konstruktive Vorschläge, wie es besser ginge. Sie erklärt, wie sie sich familienfreundliche Gemeinden vorstellt. Und wünscht sich Seelsorger, die fragen: „Geht es Ihnen besser, seit Sie bei uns waren? Fühlen Sie sich bestärkt? Ermutigt? Unterstützt?“ 

Lange hat sie auf grundlegende Veränderungen in der Kirche gehofft. Aber diese Hoffnung ist mittlerweile erloschen. Auch, weil in der Pandemie Gottesdienste und Gemeinschaftssituationen weggefallen sind, die ihr vorher Kraft gegeben haben.
Und jetzt? „Dieses Buch rettet nicht die Kirche“, schreibt Regina Laudage-Kleeberg. „Aber ich rette mit diesem Buch mein Katholischsein. Weil ich es jetzt noch freier ausrichten werde.“ Dass es schwer wird, den Glauben jenseits der gewohnten Gemeinschaft zu leben, das weiß sie. Deshalb tut ihr die Obdachlosigkeit ja auch so weh.

Regina Laudage-Kleeberg:
Obdachlos katholisch.
Kösel Verlag. 
208 Seiten. 20 Euro