Ausländische Fachkräfte
Vielleicht bleibt sie bis zur Rente
Foto: privat
Es war kein leichter Schritt für Nivya Sarinkumar. Vier Jahre hat sie als Krankenpflegerin im Süden Indiens gearbeitet, bis sie sich entschloss, als Altenpflegerin nach Deutschland zu gehen. „Um meine Karriere voranzutreiben und damit ich mich finanziell besser um meine Familie kümmern kann“, sagt sie. Ein Jahr büffelte die Frau aus der Hafenstadt Alappuzha Deutsch. Dann wagte sie mit der Hilfe einer indischen Personalvermittlungsagentur den Sprung ins Saarland.
Seit anderthalb Jahren arbeitet Sarinkumar (32) in einem katholischen Seniorenzentrum, dem Hanns-Joachim-Haus in Kleinblittersdorf, und kümmert sich um pflegebedürftige alte und demenzkranke Menschen. Bei den Kollegen ist sie beliebt. „In Deutschland finde ich eigentlich alles gut. Ich verdiene gut, mein Job ist weniger stressig als in Indien und ich habe nette Kollegen und eine tolle Chefin“, sagt Sarinkumar und lacht.
„Das ist jedes Mal ein Kampf“
Doch die Auswanderung in ein fernes Land hat für die Inderin auch einen Preis. Mit ihrem sechsjährigen Sohn, um den sich derzeit neben ihrem Mann vor allem die Schwiegereltern kümmern, kommuniziert sie seither nur per Video-Telefonie. Doch irgendwann möchte sie ihren Mann und Sohn zu sich nach Deutschland holen. Mindestens zehn Jahre möchte sie bleiben, „vielleicht sogar bis zur Rente“, sagt die Inderin.
Ohne Menschen wie Sarinkumar stünde die Altenpflege in Deutschland bereits heute vor großen Nöten. Wegen zunehmenden Personalmangels wurden einige stationäre Einrichtungen schon geschlossen oder mussten ihr Platzangebot reduzieren – obwohl die Zahl der Bedürftigen wächst.
„Das ist jedes Mal ein langer Kampf, wenn wir eine Stelle neu besetzen müssen. Oft dauert das ein Jahr – wenn es überhaupt klappt“, sagt Rebekka Schmitt-Hill, die Leiterin des Hanns-Joachim-Hauses. 2022 ist die Caritas-Trägergesellschaft Saarbrücken, zu der auch das Kleinblittersdorfer Seniorenzentrum gehört, wie viele anderen Einrichtungen im Land dazu übergegangen, ihr Personal auch im Ausland zu akquirieren, erklärt Schmitt-Hill. Vor allem aus Indien, Kamerun, Togo, Vietnam und Mexiko kamen zuletzt viele Pflegekräfte nach Deutschland.
Jede sechste Pflegekraft aus dem Ausland
Laut einer Studie vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wuchs die Zahl der ausländischen Beschäftigten in der Pflege in den vergangenen zehn Jahren um 273 Prozent. Von den bundesweit 1,7 Millionen Beschäftigten kommt mittlerweile jede sechste Pflegekraft aus dem Ausland. „Seit 2022 wird das Beschäftigungswachstum in der Pflege sogar ausschließlich von ausländischen Beschäftigten getragen“, so das IAB. Die Zahl der deutschen Pflegekräfte dagegen ist, weil immer mehr ältere Beschäftigte in Rente gehen und der Nachwuchs ausbleibt, stark rückläufig.
Um bei der Personalgewinnung nicht auf sich allein gestellt zu sein, arbeiten die Pflegeeinrichtungen oft mit kommerziellen Agenturen zusammen. Der Markt ist umkämpft. Aufgrund des demografischen Wandels in Europa wird auch in anderen EU-Staaten nach Fachkräften gesucht. Während in Ländern wie Irland ausländische Pflegekräfte gezielt vom Staat gefördert werden, überlässt die deutsche Politik diese Aufgabe den Pflegeeinrichtungen.
„Pflege kann Integration“, sagt Andreas Wedeking, Geschäftsführer des Verbands katholischer Altenhilfe in Deutschland. Doch um die Altenpflege in Deutschland zukunftssicher aufzustellen, müsse die neue Bundesregierung endlich auch die bürokratischen Verfahren bei der Visa-Erteilung und der Anerkennung von Berufsabschlüssen vereinfachen und beschleunigen.
Technisch oft gut ausgebildet
„Natürlich ist der Ausbildungsaufwand für uns bei Ausländern größer als für Menschen, die unsere Sprache schon sprechen und mit den Gepflogenheiten hier vertraut sind“, erklärt Schmitt-Hill. Deutschkurse müssen organisiert werden. Da es in weiten Teilen Afrikas oder Asiens keine Altersheime gebe, müssten auch andere Kenntnisse vermittelt werden. So sind es viele ausländische Krankenschwestern nicht gewohnt, ihre Patienten anzuziehen, zu waschen und zu füttern. Diese Aufgaben übernehmen in vielen Ländern die Angehörigen. Auch die deutschen Hygienestandards wollen eingeübt sein. Technisch dagegen sind die Zuwanderer oft gut ausgebildet. „Ich weiß, wie man einen Katheder setzt oder eine Spritze gibt“, sagt die Inderin Sarinkumar.
Gleichwohl seien die kulturellen Gewohnheiten in ihrer alten und neuen Heimat sehr verschieden. „In Deutschland leben viele Menschen allein“, sagt Sarinkumar. Auch daran, dass sich hier viele Kinder wenig um ihre alten Eltern kümmern, musste sie sich gewöhnen. Aber ein Urteil maßt sie sich nicht an: „Jedes Land hat seine eigene Geschichte und Gebräuche. Das muss man akzeptieren.“ Positiv überrascht ist sie von den hiesigen Arbeitsbedingungen. In Indien, so erzählt Sarinkumar, würden die Angestellten von ihren Vorgesetzten oft schlechter behandelt. Auch die Gleichberechtigung von Frauen werde in Asien nicht so großgeschrieben wie hierzulande.
Doch nicht nur für die Zugewanderten bringt die Migration Veränderungen mit sich. Auch die Pflegebedürftigen werden sich auf einen Wandel einstellen müssen. „Von unseren zehn Auszubildenden sind sieben Ausländer“, sagt Rebekka Schmitt-Hill. An der Pflegeschule der Caritas Saarbrücken ist der Ausländeranteil noch höher. Er beträgt 98 Prozent.
Andreas Wedeking ist Geschäftsführer des Verbands katholischer Altenhilfe in Deutschland. Er sagt: „Pflege kann Integration.“