Interview mit Provinzoberin Schwester Theresia Winkelhöfer
Von Katharina lernen
Was gibt eine Heilige, die vor 120 Jahren gestorben ist, einer Gemeinschaft von modernen Frauen, die heute in ihrer Spur den Glauben leben? Was bleibt von den Ideen einer armen willensstarken Westerwälderin in einer globalen Welt? Wie erinnern die
Armen Dienstmägde Jesu Christi (ADJC) sich ihrer Gründerin? Und warum legen sie Wert auf den sperrigen Namen ihrer Gemeinschaft? Antworten der Dernbacher Provinzoberin Theresia Winkelhöfer.
Die Gründerin Ihrer Gemeinschaft wird am 14. Oktober heiliggesprochen. Was bedeutet das für Sie, was bedeutet das für Ihre Gemeinschaft?
Sr. Theresia: Wir freuen uns riesig über diese Heiligsprechung. Ich meine, dass Katharina heilig ist, ist logisch, sonst wäre sie nicht vor 40 Jahren seliggesprochen worden. Eine Seligsprechung ist aber bistumsbezogen, auf den Ort bezogen, und mit der Heiligsprechung heißt es: Diese Frau ist verehrungswürdig für die Gesamtkirche. Die Heiligsprechung ist eine ganz wichtige Sache für die Weltkirche, auch für unsere Gemeinschaft in aller Welt: in Deutschland, aber auch in Indien, USA, England, Holland, Mexiko, Brasilien, Kenia, Nigeria.
Wie sieht die innere Bindung Ihrer Mitschwestern zur heiligen Mutter Katharina Kasper aus ? Was inspiriert Sie heute noch?
Die innere Bindung von uns zu Katharina ist sehr intensiv und lebendig. Für die meisten Schwestern ist sie tatsächlich eine Wegbegleiterin, eine Begleiterin durch den Alltag. Das Gespräch mit ihr ist eine ganz große Selbstverständlichkeit. Das ist nicht nur reduziert auf einmal im Jahr, wenn der Gedenktag ist, sondern das ist täglich so. Und wir lassen uns auch jeden Tag von einem Wort von ihr inspirieren, das mit uns durch den Tag geht.
Wenn Sie sagen „das Gespräch mit ihr“ – das werden manche nicht verstehen, denn Katharina Kasper ist ja schon vor 120 Jahren gestorben.
Ich meine damit, dass wir zu ihr beten. Wir beten sie nicht an, wohlgemerkt. Den Unterschied muss man ja sehr deutlich machen. Ich bete Gott an, aber zu den Heiligen bete ich. Und das ist das Gespräch mit ihnen. Wie auch im Grunde genommen das Gebet zu Gott ein Gespräch mit ihm ist.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen Hilfe zuteil wird durch sie?
Ja.
Könnten Sie uns ein Beispiel nennen?
Für mich persönlich ist es so: Ich stehe schon morgens auf und sage zu ihr: „Begleite mich durch diesen Tag und mach mich auf Dinge aufmerksam!“ Wenn es eine Situation gibt, in der ich an eine Grenze komme, frage ich mich: Wie würde Katharina reagieren? Da hilft sie mir, wenn mir bewusst wird, sie hätte so oder so gehandelt, sie hätte das oder das gesagt.
Sie sind seit kurzem Leiterin der gesamten Gemeinschaft in Deutschland.
Ja, ich bin Provinzoberin der deutschen Provinz. Aber noch nicht lange. Das ist ganz frisch. Können Sie in Ihrer Leitungsfunktionen sagen: Da kann ich was von Katharina lernen, weil sie auch eine Frau war, die Leitung ausgeübt hat? Ich gehe davon aus, dass das so sein wird. Katharina war 47 Jahre lang die Leiterin ihrer Gemeinschaft, hatte von daher viel Erfahrung im Umgang mit ihren Mitschwestern, im Umgang mit Behörden, im Umgang mit vielen Menschen, die auch Rang und Namen hatten. Und deshalb kann ich davon lernen.
Ihre Gemeinschaft heißt „Arme Dienstmägde Jesu Christi“. Da kommt der Begriff „Magd“ vor. Nun denkt man bei einer Magd an jemand, die niedere Arbeiten verrichten muss, nichts zu sagen hat. Wie kommt dieser Name zustande, und was bedeutet er für Sie persönlich?
In meinem Buch „Katharina Kasper. Auf den Spuren einer Heiligen“ geht es auch darum, dass ein junger Mensch sagt: „Was ist das für ein blöder Name? Was soll das denn? Heute will doch keiner mehr mit so einem Namen rumlaufen.“ Uns wurde auch schon gesagt: „Eigentlich müsstet ihr euren Namen verändern.“ Da bin ich innerlich auf die Barrikaden gegangen.
Der Ursprung des Namens ist im Grunde genommen die Szene, wo der Engel Maria verkündet: „Du wirst einen Sohn empfangen.“ Und sie sagt: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn.“ Des Herrn! Nicht die Magd eines Grafen zum Beispiel. Sondern: Ich bin die Magd des Herrn Jesus Christus. Die „Dienstmagd Jesu Christi“ ist etwas total anderes als ein Arbeitstier oder eine, die immer im Stall arbeitet.
Der Name hat was mit Dienen zu tun. Denn Jesus hat ja auch gedient. Denken Sie an die Fußwaschung. Er war Gottesknecht. Er hat uns ein Beispiel gegeben und gesagt: „Damit auch ihr tut, wie ich es getan habe.“ Das ist für uns ganz wichtig: Wie er gedient hat als Gottesknecht, so sollen auch wir dienen.
Und warum die Betonung auf „arm“: „Arme Dienstmagd Jesu Christi“?
„Arme Dienstmagd Jesu Christi“ hat nicht zuerst etwas mit Mittellosigkeit zu tun, nicht im Sinne „arm wie eine Kirchenmaus“. Arm sein gehört zum Ordensleben dazu. Die Leute zur Zeit Katharinas waren bitterarm, gerade in dieser Gegend. Das muss man nicht extra betonen und sich als „arm“ bezeichnen.
Dieses „arm“ hat etwas mit Abhängigkeit von Gott zu tun. Armsein vor Gott, alles von ihm erwarten, von ihm haben wollen. Indem ich sage: „Ich erwarte alles von dir. Aus mir heraus habe ich nichts, habe ich keine Fähigkeiten, keine Talente. Du hast mir das alles geschenkt.“ Insofern bin ich arm. „Aber ich will dir auch mit dem dienen, was du mir geschenkt hast an Talenten, an Fähigkeiten, an Begabungen. Und das alles will ich einsetzen für dich. Und indem ich das für dich einsetze, auch für die Menschen.“
Denn Katharina hat gesagt: „Aus wahrer Gottesliebe erwächst die wahre Nächstenliebe.“ Man kann beides nicht voneinander trennen.
Das heißt „arm“ ist für ein positiver Begriff?
Ja, auf jeden Fall. Für einen religiösen Menschen schon. Wenn jemand nicht religiös ist und nichts damit am Hut hat, dann würde der sagen: Abhängig von Gott, was soll das denn? Ich will nicht abhängig sein von irgendjemandem. Aber wenn ich ein religiöser Mensch bin, dann heißt das für mich auch, dass ich alles von Gott bekomme, was ich brauche.
Haben Sie in diesen Worten schon das besondere Charisma ihrer Gemeinschaft in Worte gefasst? Ist das der Kern von allem?
Ich sehe das so, dass das Katharinas Charisma und ihre Spiritualität ist. Das sehe ich in unserem Namen verwirklicht. Und der Witz ist – Katharina hat das selbst einmal gesagt: „Die Welt mag unseren Namen nicht. Aber das ist auch gut so, dann lassen die uns auch in Frieden.“ Dass die Welt den Namen nicht mag, das ist tatsächlich so, aber dass sie uns in Frieden lässt, das war nicht so. Damals nicht und auch heute nicht.
Wie ist die Lage der Provinz in Deutschland, für die Sie zuständig sind?
Wir sind, wenn wir uns mit den anderen Provinzen vergleichen, natürlich überaltert. Ich gehöre zu den Jüngsten von unseren 193 Schwestern in Deutschland und ich bin 1961 geboren. Aber das heißt nicht, dass wir uns jetzt ins Kämmerlein verziehen und sagen: Es hat alles keinen Sinn, wir wollen in Würde sterben. So ist es nicht. Wir sind mit positiven Gedanken auf dem Weg in die Zukunft.
Wir sind selber begeistert von der Begeisterung, die die Heiligsprechung auslöst. Und wir hoffen auch, dass das Auswirkungen haben könnte auf Zukunft hin. Dass vielleicht doch mal die eine oder andere auf die Idee kommt: Das wäre was für mich.
Das Problem ist: Wir tauchen nicht mehr oft in der Öffentlichkeit auf, weil keine Schwestern mehr im Krankenhaus arbeiten, keine Schwestern mehr in der Schule sind. Und wenn man Schwestern nicht kennenlernt, dann ist es schwierig.
Was war Katharinas Ziel? Den Menschen zu helfen in der Krankenpflege, in der Schule?
Katharinas Ziel war die Ausbreitung des Glaubens durch Beispiel, Belehrung und Gebet.
Jetzt ist es ja so: Wenn es einem wirklich dreckig geht, und ich komme dahin, erkennbar als Schwester, und sage dann: „Also, der liebe Gott meint es wirklich gut mit dir. Du bist geliebt, der will nur das Beste für dich.“ Dann würde mich dieser Mensch, dem es dreckig geht, wahrscheinlich rausschmeißen. Und das hat Katharina auch gewusst: Ich muss was für den Menschen tun, damit er selbst merkt, er ist geliebt. Dass er das merkt durch mich in der Situation, dadurch, dass ich ihm etwas Gutes tue.
So gesehen waren Krankenpflege, Schulbildung und so weiter bei Katharina ein Stück Mittel zum Zweck. Das darf man nicht falsch verstehen. Es ging ihr in erster Linie darum, dass den Menschen Gott nahegebracht wird durch ihr Tun. Alles zu größeren Ehre Gottes.
Für Ihre Gemeinschaft bedeutet das ja auch Flexibilität. Sie sind nicht festgelegt, immer weiter als Krankenschwestern, Erzieherinnen oder Lehrerinnen tätig zu sein ...
Ja. Ich denke, um das, was sie wirklich wollte, zu realisieren, kann ich jeden Beruf haben. Eben weil ich in jedem Beruf in irgendeiner Weise diene.
Wenn Sie an Nigeria und Kenia denken: Da ist die Armut sehr groß, zumindest in den Gegenden, wo die Schwestern sind. Da müssen die genauso handeln, wie Katharina es vor 150 Jahren getan hat. Die Schwestern gehen zu den Kranken in die Familien, kümmern sich um die Kinder, damit die Schulbildung bekommen, gerade auch die Mädchen. Da ist das gefragt. Und in Deutschland sind andere Berufe gefragt, mit denen ich das Ziel verfolgen kann.
Was bedeutet Mission für Ihre Mitschwestern?
Mission bedeutet in den Ländern wie Mexiko, Brasilien, Indien, dass die Schwestern da sind, um zu helfen. Das heißt nicht, dass sie alle zum Christentum bekehren wollen. In Indien sind die Schwestern zum Beispiel in den Schulen, da sind vorwiegend Hindus in den Klassen. Gerade im Norden von Indien gibt es wenige Christen.
Werden Sie zur Heiligsprechung in Rom sein?
Nein, da werde ich nicht sein. Ich bleibe hier. Die Generalleitung und der Provinzrat sind in Rom. Wir machen ja auch viel hier. Gemeinsam mit unserer Organistin haben wir einen Gottesdienst für den Vorabend des 14. Oktober vorbereitet. Da die Heiligsprechung in Rom von vielen Medien übertragen wird, werden wir die Ereignisse über den Fernseher verfolgen. Wir werden mit Sicherheit mehr sehen, als die, die vor Ort sind!
Am 21. Oktober ist dann ein großes Fest hier. Es fängt bei uns in der Klosterkirche an und dann geht’s mit einer Prozession über das „Stöckelchen“ – so heißt der Feldweg – nach Wirges. Mit Katharina, die wird mitgetragen. Dann ist im Wirgeser Dom ein Pontifikalamt mit Bischof Bätzing. Im Bürgerhaus gibt es ein einfaches Mittagessen und dann geht es per Shuttlebus für alle, die wollen, nach Dernbach. Dann ist hier Programm.
Auf dem Programm steht auch die Verehrung von Katharina. Wie verehrt man die Heilige richtig?
An dem Nachmittag des Festes am 21. Oktober wird es so sein, dass der Holzsarg, der im Bronzeschrein ist, außerhalb des Schreins steht und mit Blumen geschmückt ist. Jede halbe Stunde wird es einen Impuls geben. Zur Zeit planen wir, dass die Schwestern aus den Pro-Regionen jeweils zu Beginn des Impulses ihr Katharina-Kasper-Lied in ihrer Sprache singen, dann folgt ein Gebet, ein Gedanke von Katharina, und dann ist Stille.
Von diesem Tag abgesehen: Katharina zu ehren kann heißen, dass ich mich mit ihren Schriften und ihren Briefen beschäftige. Dass ich versuche, das in mein Leben zu integrieren.
Das heißt, man muss jetzt nicht nach Dernbach pilgern, um die neue Heilige zu verehren.
Nein, wobei das natürlich nicht schlecht wäre.
Gab es je die Überlegung zu sagen: Dernbach gut und schön, aber wir sind ab vom Schuss, wir müssen woanders hin?
Bei einem Generalkapitel wurde mal gesagt, die meisten Gemeinschaften haben ihr Generalat in Rom, wir können auch nach Rom gehen. Dann haben wir gesagt: Es ist teuer, nach Rom zu gehen, und wir sind hier am Ursprungsort, etwas Besseres können wir gar nicht haben. Wer hat schon dieses Geschenk, dass er am Ursprungsort sein kann? Und deswegen ist die Generalleitung hier und die deutsche Provinzleitung.
Gibt es einen Zauber dieses Ortes?
Ist er der Ort, an dem man Katharina besonders nahe ist? Ich denke, in unserem Begegnungszentrum „Katharinas Spuren“ ist das so. Am Heilborn, der Quelle, an der sie oft gebetet hat, ist das für viele Menschen auch so. Dernbach ist der Ort, an dem man sie ein Stück weit kennenlernen kann.
Interview: Ruth Lehnen, Sarah Seifen