Über Grenzen und was sie bedeuten: neue Serie von "Platt inne Kärke"

"Wandle sie in Weite!"

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Eine Brücke zwischen zwei Ländern.
Nachweis

Foto: Renate Fuest

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Die Willkommensbrücke im emsländischen Hebelermeer: ein Symbol direkt an der Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland.

„Heimat an der Grenze“: So ist der Niedersachsentag des Niedersächsischen Heimatbundes am 30. und 31. Mai in Nordhorn überschrieben. Am 31. Mai gibt es dazu um 8.45 Uhr eine ökumenische Andacht in der Alten Kirche am Markt. Aus diesem Anlass beschäftigt sich der emsländische Arbeitskreis „Platt inne Kärke“ in einer neuen Serie ebenfalls mit dem Thema Grenzen. Renate Fuest macht sich im ersten Teil auf Plattdeutsch (mit hochdeutscher Übersetzung) grundsätzlich Gedanken dazu, was Grenzen bedeuten: „Met Grenzen ümgaohn“ ("Mit Grenzen umgehen".)

Wat kump us in denn Sinn, wenn wi an Grenzen denkt? Is dät so as in Reinhard Meys Läid, dät man bloß öwer däi Wolken grenzenlos fräi is?  Wat bedühn Grenzen för us?  Woa find wi Grenzen? Kloare Grenzen setten, dät fallt väle Mensken schwoar. Dorbie bünt Grenzen wichtig, dormit wi us nich verläiset. Grenzen häbt ganz unnerscheidlüke Upgaben.

eine Frau mit dunklen Haaren
Renate Fuest

Dormet wi gaut utkommt met use Noabers, leegt wi Grenzen faste. Uck bünt Grenzen ejn Schutz för us un för annere.  Use Huut is ok so ejne Grenze. Säi schützt us vör Krankheiten. Huuswände schützt us vör Köhlde un Inbräckers. Un denn Tuun üm dät Huus holt nich bloß denn Hund up denn Hoff, he seggt: „Dät hört mi!“ De watten Grenzen könnt sük nich ännern. Säi bünt ejn fastet Gesetz ut däi Physik und dät is gaut tau wäten!

Kinner brukt Grenzen to Huus, in denn Kinnergoarn un däi Schaule. Dormet föehl wi us uphoaben un seker. Up däi annere Siete engt säi us in. Dann deit et sehr, wenn wi däi Grenzen inräjten mött. Wi kämpft för Grenzen und gävt säi uck wer up. Man sünner Grenzen könn wi nich.

Grenzen verännert sück manges met däi Mensken, däi us ümgävt. Well annere Mensken begägnen will, brukt kloare äigene Grenzen, dormet hei sück sümmes bliff un dormet annere wätet, wo ehre Grenzen bünnt. Düsse Grenzen mött immer moal nej överdacht un settet wern.

Manges bün wi gefangen in use Grenzen. Ejn Kerkenleid von Eugen Eckert seggt: „Miene engen Grenzen, miene kotte Sicht, brenge ik vör di. Wandel säi in Wiete; Herr erbarme di.“  Faken säih wi nich, wat nödig is toa säihn. Wie bünt blind vör däi Not un däi Sorgen von annere. Use sekeren Grenzen will wi nich verloaten, dät makt us bange.  

Wo geiht dat wall all däi Mensken, däi an use Landesgrenzen koamt?  Däi Tuun seggt: „Hier geiht dät nich wieder. Hier kannst du nich dör.  Büst du seker, dät du röver wusst?“ Lange Tiet wassen use Landesgrenzen wiet loss. Tau wiet? 

Däi Kontrollen an use Landesgrenzen bünt seker gaut, sät schützt us un usen Stoat. Up däi annere Siete möt säi däi Lüe, däi Hölpe un Schutz seuket, uk düsse gäben. Sücke Grenzen könnt dät Problem nich an däi Woddel packen. 

Et stimmt dänn doch, Grenzen häbt ganz unnerscheidlüke Upgaben. Säi grenzt ut un loatet di allejne stoahn. Man Grenzen gävt di uck Schutz un dät Gefeuhl dät du detau hörst. Säi bünt wie dät Läben, säi ännert sück all man tau. Dänn stellt sük us däi Froage: „Möht wi nu nett Grenzen trekken, off inraiten?“

„Gott, loat mi so wiese wähn, dät ik miene Grenzen erkenne,
un däi Stärke häbbe, dät ik säi annemmen kann.
Help mi, dät ik däi Grenzen von annere achte,
dat ik in Fräe un Harmonie mit ehr läben kann.
Lehr mi, dät Grenzen nich bloß trennt, man uck schützt.
Amen."

Die hochdeutsche Übersetzung 

Mit Grenzen umgehen

Was kommt uns in den Sinn, wenn wir an Grenzen denken? Ist es so wie in Reinhard Meys Lied, dass nur „über den Wolken die Freiheit wohl grenzenlos sein muss“? Was bedeuten Grenzen für uns? Wo begegnen wir ihnen?  Klare Grenzen zu setzen, fällt vielen Menschen schwer. Dabei sind sie wichtig, damit wir uns nicht verlieren. Grenzen haben eben unterschiedliche Funktionen.

Um gut mit seinem Nachbarn auszukommen, legt man Grenzen fest. Grenzen sind auch ein Schutz für uns. Unsere Haut ist so eine Grenze. Sie schützt uns vor Krankheiten. Hauswände schützen uns vor Kälte und Einbrechern. Und der Zaun ums Haus, hält nicht nur den Hund auf dem Hof, sondern zeigt allen: „Das gehört mir!“ Manche Grenzen sind nicht zu ändern. Sie sind ein festgeschriebenes Gesetz in der Physik und das beruhigt uns.

Kinder fordern Grenzen ein, zu Hause, in der Kita und auch in der Schule. Schon sehr früh haben wir Kontakt mit Grenzen. Sie geben uns Sicherheit und Geborgenheit. Manchmal engen sie uns aber auch ein, und es tut weh, sie einreißen zu müssen. Wir lehnen uns auf und geben nach. Wir kämpfen für Grenzen und geben sie auf. Aber ohne sie fühlen wir uns verloren.

Grenzen verschieben sich. Das hat mit Begegnungen zu tun. Mit den Menschen, mit denen wir zu tun haben. Wer anderen Menschen begegnen will, braucht selbst stabile Grenzen, damit er sich selbst bleibt. Und damit andere erkennen, wo ihre Grenzen sind. Aber im Miteinander können die Grenzen auch immer wieder neu überdacht und gesteckt werden.

Manchmal sind wir gefangen in unseren Grenzen. Ein Kirchenlied von Eugen Eckert erzählt davon. „Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht, bringe ich vor dich. Wandle sie in Weite; Herr, erbarme dich.“ Oft sehen wir nicht, was wir sehen sollten. Wir sind blind für die Not und Sorgen der anderen. Wir haben Angst vor dem, was kommt. Wir fürchten uns davor, unsere sicheren Grenzen zu verlassen.

Wie geht es wohl den Menschen, die an unsere Landesgrenzen kommen? Absperrungen signalisieren, hier geht es nicht einfach so weiter. Hier ist eine Grenze. Bist du sicher, dass du sie überschreiten willst?  Lange waren unsere Landesgrenzen weit geöffnet. Zu weit? 

Während Grenzkontrollen ein legitimes Mittel zum Schutz von Staat und Gesellschaft darstellen können, dürfen sie nicht dazu führen, dass schutzbedürftige Menschen unzulässig abgewiesen oder in prekären Verhältnissen allein gelassen werden. Grenzen wie diese sind nur eine kurzfristige Antwort auf die Einwanderung und können nicht an die Wurzel der Problematik gehen, die oft in Konflikten, Armut und Menschenrechtsverletzungen liegt.

Grenzen haben tatsächlich vielfältige Aufgaben. Sie können Barrieren sein, die gleichzeitig Schutz und Zugehörigkeit, aber auch Ausgrenzung und Einsamkeit darstellen. Sie sind so vielfältig wie unser Leben. Und wie immer im Leben werden wir von Situation zu Situation neu entscheiden müssen, ob sie gezogen oder eingerissen werden sollten.

Renate Fuest