Die Menschen und das Böse
Was ans Licht kommt
Im heutigen Evangelium heißt es: Jeder, der Böses tut, hasst das Licht. Warum ist das so? Und was passiert, wenn Häftlinge doch über ihre Taten sprechen? Ein Gefängnisseelsorger erzählt – von Tränen und Wegen in ein neues Leben.
An die Geschichte des Bankräubers erinnert Heinz-Bernd Wolters sich genau. Der Mann saß noch nicht lange in der Justizvollzugsanstalt Meppen, da kam er schon zu ihm, dem Gefängnisseelsorger. Er erzählte, dass er Frau und Kind durch einen Unfall verloren hat. Dass er nicht darüber hinwegkam und anfing zu trinken. Dass er wegen des Alkohols seinen Beruf verlor. Dass er bald seine Miete nicht mehr zahlen konnte. Und dass er irgendwann so unter Druck stand, dass er sich dachte: „Da drüben ist eine Bank, da ist so viel Geld, da gehe ich jetzt einfach mal rein.“ Als er so redete, wurde ihm klar: Bankräuber zu werden, das war nie sein Plan gewesen. Wolters sagt: „Der Mann ist erst im Gefängnis wieder zu sich gekommen.“
Der 56-Jährige ist Vorsitzender der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland. Seit 1995 beschäftigt er sich mit Menschen, die ein Verbrechen begangen haben. Manche reden schnell über ihre Tat, andere brauchen Zeit, bis sie sich öffnen. Wieder andere schweigen bis zum Schluss. Wolters sagt: „Das müssen die dann halt aushalten, und wir müssen es auch aushalten.“ Er drängt sie nicht, das Böse ans Licht zu zerren: „Das steht mir nicht zu. Das hat Jesus auch nicht gemacht.“ Wolters wartet ab. Er glaubt, dass der Impuls von den Häftlingen kommen muss: „Die Leute müssen selbst zu dem stehen, was sie verkehrt gemacht haben.“
„Ich habe so manches Beichtgespräch geführt“
Oft hat er erlebt, wie befreiend es sein kann, sich alles von der Seele zu reden. Wolters sagt: „Ich bin zwar kein Priester, aber ich habe mit Gefangenen schon so manches Beichtgespräch geführt.“ Viele Männer haben vor ihm geweint. Weil sie mit ihrer Geschichte so lange unter Druck gestanden hatten und dieser Druck nun plötzlich von ihnen abfiel.
Für einige Gefangene, sagt Wolters, sei es „sehr beschämend“, dass ihre Tat ans Licht gekommen ist. Manch einer hat gedacht, er werde schon nicht erwischt werden. „Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden“, heißt es im Evangelium an diesem Sonntag. Aber viele werden irgendwann eben doch aufgedeckt. Jeder von uns kennt das; jeder von uns hat schon etwas Böses getan – und gefürchtet, dass es herauskommt.
Wie geht Wolters mit dem Bösen um, dem er begegnet? Er sagt, ihm sei bewusst, dass die Männer, die zu ihm kommen, zum Teil schwere Straftaten begangen haben. Aber er urteilt nicht über sie – egal ob da ein Entführer, ein Vergewaltiger oder ein Mörder vor ihm sitzt. Er sagt: „Das geht als Seelsorger nicht. Ich muss mich neutral verhalten. Ich bewerte einen Häftling nicht nach seiner Tat, sondern nur als Menschen, der mir gegenübersitzt. Für die Tat sind die Richter zuständig.“
Wolters hat für sich einen Weg gefunden, mit dem umzugehen, was er hört. Er sagt: „Ich habe noch nie schlecht geschlafen wegen den Gefangenen hier und dem, was sie gemacht haben.“ Natürlich bewegen ihn all die Geschichten, aber er weiß, dass er nicht mit jedem mitleiden muss und schon gar nicht jedes Problem lösen kann. Und er weiß, dass er in seinen Gesprächen einen Unterstützer hat. „Ich könnte diesen Dienst nicht machen, wenn ich nicht Gottvertrauen hätte“, sagt Wolters. „Wenn ich nicht wüsste: Da ist jemand, der trägt mich.“
Dieses Wissen ist ihm wichtig, weil er nie weiß, in welche Abgründe er als Nächstes schauen wird. „Es gibt schon Gespräche, in denen ich innerlich Luft holen muss“, sagt Wolters. „Aber das darf ich den Gefangenen ja nicht merken lassen.“ Wenn die Häftlinge ihm im Detail von ihren Taten erzählen oder von den Bedingungen, unter denen sie aufgewachsen sind, dann spürt Wolters, wie schmerzhaft das sein kann: das Böse aus der dunklen Vergangenheit ans Licht zu holen. Und er spürt, wie leicht einem das Leben entgleiten kann.
„Solche Schläge sind immer möglich“
„Ich habe gelernt, dass eine falsche Entscheidung einen völlig aus der Bahn werfen kann“, sagt Wolters. Oder ein Schicksalsschlag – wie bei dem Mann, den der Unfalltod von Frau und Kind zum Bankräuber werden ließ. „Mir ist klargeworden, dass solche Schläge immer möglich sind und dass man dankbar sein muss für das, was man an Gutem hat.“
Wolters weiß aber auch: Es kann, wenn es schlecht läuft, wieder besser werden. Er versucht den Häftlingen klarzumachen, dass sie ihr Leben ändern können. Damit das gelingt, müssen sie auf das Böse schauen, was war: „Sie können überlegen: Was kann ich tun, um aus dieser Abwärtsspirale rauszukommen?“
Mit den Gefangenen versucht Wolters zu ergründen, wie sie zu Straftätern geworden sind – und was sie tun müssen, damit das nicht wieder vorkommt. Wolters fragt sie: „Liegt es an Kontakten, die Sie haben? Liegt es daran, dass Sie mit Frustration nicht klarkommen?“ Er sucht mit den Häftlingen Menschen, die sie auf dem Weg ihrer Veränderung unterstützen können. Wolters weiß: Ein straffreies Leben kann nach der Entlassung nur der führen, „der bereit ist, zu seiner Straftat zu stehen und sie aufzuarbeiten“.
Wolters freut sich, wenn das neue Leben eines Häftlings gelingt. Vor Weihnachten rief ihn ein Mann an, der Jahre zuvor entlassen worden war. Er sagte, er habe sich nur mal melden wollen, um zu sagen: „Ich hab’ mit der Polizei nichts mehr zu tun. Ich habe ein gutes Leben jetzt.“ Wolters hätte gern persönlich mit dem Mann gesprochen, aber er war gerade nicht im Büro, als der Anruf kam. Also sprach der Mann auf den Anrufbeantworter. Seine Nummer hinterließ er nicht.
Von Andreas Lesch