Die Weisheit der Bibel und das echte Leben
Was das Herz füllt
Das Böse lauert immer und überall. Manche Menschen sehen das so. Nehmen grundsätzlich erst einmal das Schlechte an, klagen unentwegt über Mängel und Miseren. Doch behindert ein Balken im eigenen Auge eventuell ihre Sicht?
Von Ulrich Waschki
Manche Formulierungen und Weisheiten in den Texten dieses Sonntags klingen schroff und desillusioniert, wenig menschenfreundlich und vertrauensvoll. „Lobe keinen Menschen, ehe du nachgedacht hast“, heißt es in der 1. Lesung aus dem Buch Jesus Sirach. Hat der andere Mensch überhaupt ein Lob verdient? Was ist das für einer? „Die Erprobung eines Menschen geschieht in der Auseinandersetzung mit ihm“, steht ein paar Zeilen vorher. Erst, wenn es ernst wird, lernt man einen Menschen so richtig kennen. Im Stress, im Streit, in der Not.
Viele Menschen kennen diese Erfahrung. Und deswegen klingen diese Verse so schrecklich realistisch – misstrauisch, offenbar ohne Vertrauensvorschuss für mein Gegenüber. Doch damit nicht genug: Ein guter Baum bringt keine schlechten Früchte hervor, ein schlechter keine guten, heißt es in der Lesung und im Evangelium. Und weil der Mund von dem spricht, wovon das Herz überfließt, kann man wohl aus den Worten eines Menschen auf seine Gesinnung schließen.
Man kann diese Texte als Warnung lesen: Halt dich fern von Menschen, die du nicht kennst! Mach einen Bogen um die, denen nichts gelingt, die immer Ärger haben, die ständig schlecht reden. Da mag etwas dran sein. Wie so oft enthält die Bibel in diesen Texten jede Menge Menschheitswissen.
Es gibt immer die Chance auf einen Neuanfang
Schwester Jordana Schmidt, Ordensfrau und Heilpädagogin, hält sich im Gespräch aber nicht lange bei dieser miesepetrigen Interpretation auf. Dem Bild des Siebs, in dem der Abfall hängen bleibt, stellt sie das Bild des Goldsuchers entgegen, der mit dem Sieb Goldstückchen herausfiltert. Natürlich erkenne man einen anderen Menschen in der Auseinandersetzung, sagt die Ordensfrau: „Aber Auseinandersetzung heißt ja nicht nur Streit. Es geht darum, mich wirklich für einen anderen Menschen zu interessieren und zu sehen, was in seinem Inneren ist.“ Warum etwa reagiert jemand in einer bestimmten Situation aggressiv oder zieht sich im Streit zurück? „Was haben Menschen erlebt?“, fragt sich Schwester Jordana dann.
Sie wertet die Texte als Aufruf zur Innerlichkeit, zur Unterscheidung zwischen Gut und Böse – und zwar nicht nur bei anderen Menschen, sondern auch bei sich selbst. Und nicht, um zu verurteilen und auszustoßen, sondern um zu verändern. „Wenn ein Mensch angenommen ist, können Veränderung und Heilung geschehen.“ Das ist für die Dominikanerin der Kern der christlichen Botschaft: Es gibt immer die Chance auf einen Neuanfang, auf Umkehr und Veränderung. „Jeder hat die Chance, sich zu verändern. Deshalb hat Jesus sich mit Sündern umgeben.“ Und diese Chance steht hinter den Texten dieses Sonntags. Oder um im biblischen Bild zu bleiben: Nach der Ernte der Früchte kommt eine neue Zeit der Aussaat, des Wachstums und der Ernte.
Sehe ich mehr Schlechtes oder Gutes?
Dabei sollen wir nicht den Blick auf andere Menschen werfen. Das Evangelium findet dafür ein starkes und berühmt gewordenes Bild: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“ Im Klartext: Fang bei dir selbst an! „Man kann nur sich selbst verändern, den anderen nicht“, sagt Schwester Jordana. So kann eine solche Bibelstelle zur Reflektion anregen: Was ist der Balken in meinem Auge? Was sind meine Früchte? Womit habe ich mein Herz gefüllt, damit mein Mund davon spricht?
Wer immer schlecht redet, muss kein schlechter Mensch sein. Aber, so sagt Schwester Jordana: „Zumindest beschäftigt sich ein solcher Mensch mit den dunklen Seiten.“ Das muss nicht sein. „Du bestimmst selbst, womit du dein Herz füllst“, sagt sie. Sehe ich nur das Schlechte oder habe ich Augen für die guten Dinge, die geschehen? Nehme ich wahr, wo Menschen zum Beispiel einfach anpacken und anderen helfen? Diese offene, fragende Haltung kann man sich sogar antrainieren: indem man abends bei einem Tagesrückblick bewusst drei Dinge sucht, die an diesem Tag schön waren. Das könnten auch Kleinigkeiten sein, sagt Schwester Jordana: „Die gute Luft, das Zwitschern der Vögel.“
Es geht auch darum, die Welt zu gestalten
Immer nur das Schlechte zu sehen, „macht aggressiv und depressiv“, glaubt die Ordensfrau. Es tut mir selbst also gut, wenn ich die Augen offenhalte, um die Schönheiten dieser Welt zu entdecken. Dabei geht es aber nicht nur darum, mir etwas Gutes zu tun. Es geht auch darum, die Welt zu gestalten. „Ich glaube, dass wir die Welt nur zum Guten verändern, wenn wir selbst gut sind“, sagt Schwester Jordana.
Natürlich sei sie auch oft skeptisch. „In welche Zukunft entlasse ich die Kinder?“, fragt sich die Erzieherin oft. „Was kann ich überhaupt bewirken?“ Doch dieser Skepsis begegnet sie mit gro-ßem Optimismus, oder christlich ausgedrückt: Hoffnung. Dann berichtet sie von einem Buch über scheinbar ungenießbare Früchte, das ihr kürzlich in die Hände gefallen ist. „Es gibt wenig, was man gar nicht essen kann“, sagt sie. „Man kann aus vielem etwas Gutes machen.“