Anfrage

Was ist eigentlich Offenbarung?

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Beim Synodalen Weg wurde ein Orientierungstext beschlossen, in dem es um das Offenbarungsverständnis der Kirche geht. Und es wird gestritten, ob es das richtige oder falsche ist. Meine Frage: Was kann ich mir als Laie darunter vorstellen? 

In der Diskussion vermischen sich zwei Dinge: die Offenbarung Gottes und das, was wir durch die Zeit hindurch damit machen. 

Offenbarung bedeutet, dass Gott sich entschieden hat, sich uns zu zeigen. Viele Male, wie die Zeugnisse des Alten Testaments zeigen, und dann endgültig in Jesus Christus. Das Zweite Vatikanische Konzil schreibt: „Gott hat zuletzt zu uns gesprochen im Sohn (...) Es ist keine öffentliche Offenbarung mehr zu erwarten“ (Dei Verbum 4) Soll heißen: Die Person Jesus Christus ist die endgültige Offenbarung Gottes, mehr braucht es nicht.

Allerdings hat sich Gott nicht mit einem Paket unveränderlicher Inhalte offenbart, sondern in einer Person und in biblischen Geschichten. Joseph Ratzinger schreibt in seinen Lebenserinnerungen: „Offenbarung bezeichnet den Akt, in dem Gott sich zeigt, nicht das objektivierbare Ergebnis dieses Aktes.“ Soll heißen: Zur Offenbarung gehört untrennbar hinzu, dass wir sie weitergeben, verstehen und auf die jeweilige Zeit hin auslegen. Das Konzil schreibt ausdrücklich: „Die apostolische Überlieferung kennt in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt.“ (Dei Verbum 8)

Und da liegt der Streitpunkt: Wer ist zuständig für die Weitergabe und Auslegung der Offenbarung? Nach welchen Kriterien geschieht das? Wer definiert den Fortschritt?

Die klassische Antwort: Das Lehramt der Kirche, also Papst und Bischöfe, entscheiden darüber kraft ihrer besonderen Geistbegabung. Doch bereits das Konzil sagt: „Es wächst das Verständnis der überlieferten Dinge und Worte durch das Nachsinnen und Studium der Gläubigen, die sie in ihrem Herzen erwägen.“ (Dei Verbum 8)

Der Synodale Weg nimmt das auf: Die Gläubigen, die Theologie, andere Wissenschaften, die Zeichen der Zeit – alles muss herangezogen werden zur Interpretation der Offenbarung Gottes für heute. Oder wird dadurch das Lehramt untergraben? Das ist der Streitpunkt: nicht die Offenbarung, sondern ihre geistgeleitete Auslegung.

Von Susanne Haverkamp