Ostern feiern wir den Glauben, dass einmal alles vollendet wird
Wenn am Ende alles passt
Ostern feiern Christen die Auferstehung Jesu. Und den Glauben daran, dass auch wir auferstehen werden. Ein altes Wort beschreibt, worauf wir dann hoffen: auf Vollendung bei Gott. Aber was mag das sein?
Von Susanne Haverkamp
Gehen wir zuerst einen kleinen Schritt zurück. Karfreitag in Jerusalem. „Es ist vollbracht“, sagt Jesus am Kreuz. Was erst mal so viel heißt wie: Es ist geschafft. Das Leid. Der Schmerz. Der Tod bringt Frieden. Und so empfinden es bei allem Kummer nicht selten Angehörige, deren Liebste eine schwere Leidenszeit, ein schweres Sterben hinter sich haben: Es ist vollbracht. Und das ist gut.
Es ist aber nicht alles. Christen glauben. Zu dem „vollbracht“ kommt eine neue Dimension hinzu: Es ist vollendet.
Dieses Wort kennen wir aus innerweltlichen Zusammenhängen besonders dann, wenn etwas geschafft ist, das sehr mühsam war und sehr lange gedauert hat. Die eigenhändige Renovierung des maroden Altbaus zog sich über Jahre – und ist endlich vollendet. Der 1000-Seiten-Roman ist nach drei Jahren endlich im Druck. Oder noch krasser: der Kölner Dom. Am 15. Oktober 1880 wurde das Fest seiner Vollendung gefeiert – nach 632 Jahren Bauzeit.
Vollendet, das heißt: Alle Teile sind an ihrem richtigen Platz. Aus vielen Stücken wurde endlich ein Ganzes. Viele Kleinigkeiten schaffen schließlich das große Bild, in dem nichts fehlen darf, ohne das Gesamtkunstwerk zu zerstören.
Vieles im Leben ist bruchstückhaft geblieben
Und genau hier liegt der Anknüpfungspunkt für unseren Glauben daran, dass sich bei Gott unser Leben vollenden wird. Auch wir hoffen, dass alle Teile an ihrem richtigen Platz sein werden, dass aus vielen Stücken endlich ein Ganzes wird, dass viele Kleinigkeiten zu dem großen Bild unseres Lebens werden, bei dem nichts fehlen darf, ohne das Gesamtkunstwerk zu zerstören.
Denn es ist doch so: Jeder Mensch hat in seinem Leben vieles angefangen. Manches konnten wir weiterführen, ausbauen, anderes nicht. Manchmal sprachen die Umstände dagegen, manchmal der eigene Wille. Vieles ist bruchstückhaft geblieben – das muss so sein in unserer endlichen Existenz.
Noch viel mehr gilt das für Menschen, die viel zu früh aus dem Leben gerissen wurden, die noch so viel vorhatten. Kinder zumal, die noch fast alles vor sich hatten. Unvollendet fühlt es sich an, ein solches Leben.
Oder Menschen, die aufgrund eines Unfalls, einer Krankheit oder aufgrund der äußeren Lebensumstände ihr Potenzial nicht ausschöpfen konnten. Welche Verschwendung! Was liegt alles in ihnen, was hat Gott ihnen alles mitgegeben, ohne dass es tatsächlich gelebt werden konnte. Hoffnung auf Vollendung bedeutet für sie und uns alle: Bei Gott werden wir die sein, die wir hätten sein können; so sein, wie Gott uns gewollt hat. Vollendet sein mit allem, was uns gelungen und misslungen ist. Vollendet mit allem, was hier und jetzt unvollendet bleiben musste. Bei machem mehr, bei anderen weniger.
Auch der Schmerz und die Wunden gehören zum Gesamtbild
Dieser Glaube schafft Gelassenheit. Anders als diejenigen, die jedem Kick hinterherfahren, die alles erleben und alles gesehen haben müssen – und zwar sofort –, haben Menschen, die an Vollendung glauben, eine weitere Perspektive. Auch das, was in mir steckte, aber nie realisiert werden konnte, wird sich bei Gott vollenden. Was ich nicht machen und nicht schaffen konnte, ist nicht tot und vergeblich, sondern nur im Wartestand.
Das klingt schön und ist es auch. Aber der Glaube an Vollendung bedeutet auch: Der Schmerz, die Wunden, die das Leben geschlagen haben, sind nicht einfach weg; auch Jesu Wunden blieben nach der Auferstehung. Auch der Schmerz und die Wunden sind Puzzleteile unseres Lebens, die zum Gesamtbild hinzugehören und ohne die wir nicht die wären, die wir sind. Wer je nach schwerem Leid zurück ins Leben gefunden hat, wird das wissen. Das macht das Leid nicht schöner, auch nicht sinnvoller. Aber es gehört von da an für immer zu uns.
Das ist die eine Seite der Vollendung, die, individuelle, die jeden einzelnen Menschen betrifft. Tatsächlich aber denkt die Bibel größer. Nicht zufällig beginnt sie mit der Schöpfungserzählung, denn vor Jahrtausenden war den Menschen klarer als heute, dass sie nicht der Mittelpunkt der Welt sind, dass sie eingebettet sind in das Wohl und Wehe der gesamten Schöpfung. Paulus sagt es dann mit den berühmten Sätzen: „Auch sie, die Schöpfung, soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.“ (Römerbrief 8,21-22)
Kein Aufruf zum Beinehochlegen
Zugegeben, das klingt ein bisschen kryptisch. Aber gemeint ist genau das: Auch die gesamte Schöpfung ist nicht fertig, nicht perfekt – und vor allem vergänglich, vom Tod umfangen. Auch sie wartet auf Vollendung. Und wahrscheinlich ist das eine vom anderen nicht zu trennen: Erst wenn wir Menschen endlich begreifen, dass auch wir nur ein Puzzlestück im Gesamt der Schöpfung Gottes sind, ist Vollendung überhaupt möglich.
Was aber jetzt alles weder eine schnöde Vertröstung sein soll noch ein Aufruf, die Füße hochzulegen, weil sich irgendwann alles von selbst vollendet. Nein, wenn wir daran glauben, dass das Reich Gottes schon in dieser Welt anbricht, liegen eine Menge Aufgaben vor uns. Denn auch wenn wir auf dieser Erde nie vollendete Gerechtigkeiten schaffen werden – möglichst viel Gerechtigkeit wäre schon schön. Auch wenn wir nie vollendet lieben können – einander möglichst gut zu lieben, ist schon unser Auftrag. Auch wenn wir selbst Natur und Schöpfung nicht zur Vollendung bringen werden – sie zu schützen und zu bewahren, ist schon unser Job. Mitarbeit ist also angesagt, Engagement, Verantwortung. In dem Wissen: Vollenden wird Gott.