Eine Ostergeschichte von kurzatmigen Männern und einer Frau mit Durchhaltevermögen
Wenn zwei rennen, gewinnt die Dritte
Dass Jesus auferstanden ist, darin sind sich die vier Evangelisten einig. Wie die Menschen davon erfuhren und wie sie darauf reagierten, erzählen alle vier unterschiedlich. Dass die Unterschiede Gründe haben, sehen wir zum Beispiel bei Johannes.
Von Susanne Haverkamp
Als Johannes rund 70 Jahre nach Tod und Auferstehung Jesu sein Evangelium schrieb, waren bereits viele Geschichten über Jesus im Umlauf. Johannes wählte aus ihnen für sein Evangelium bewusst aus, auch in Sachen Auferstehung. Wenn man seine Ostergeschichte liest, fällt auf: Eigentlich sind es zwei. Die von Maria Magdalena am Anfang und am Ende und dazwischengeschoben die vom Wettlauf der Jünger zum Grab.
Von Maria Magdalena als Erstzeugin schreiben in Variationen alle Evangelisten, den Wettlauf zum Grab kennt nur Johannes. Bibelwissenschaftler sagen, dass sich in dieser Geschichte ein Problem der jungen Kirche spiegelt: ein Leitungsproblem. Denn offenbar war um das Jahr 100 herum der Primat des Nachfolgers Petri längst nicht ausgemacht.
Petrus bekommt den Vortritt
Stattdessen gab es in der jungen Kirche verschiedene Strömungen und verschiedene Meinungen darüber, wer den Ton angeben soll. Schon Paulus spricht um das Jahr 55 herum von Streitigkeiten in der Gemeinde von Korinth: „Ich meine damit, dass jeder von euch etwas anderes sagt: Ich halte zu Paulus – ich zu Apollos – ich zu Kephas.“ Und er empfiehlt: Haltet euch einfach an Christus! (1 Korinther 1,12–13)
So einfach scheint das aber nicht gewesen zu sein. Deshalb ist die Ostergeschichte, die der Evangelist Johannes erzählt, auch ein kirchenpolitisches Statement: Petrus hat Vorrang. Und das, obwohl er langsamer ist, weniger dynamisch und, ja, auch weniger gläubig. Denn klar ist: Der andere Jünger – der im Evangelium keinen Namen trägt, aber traditionell mit dem jungen Johannes gleichgesetzt wird – ist zwar zuerst am Grab, aber er tut nicht das, was man denken würde: hineingehen, nachschauen. Nein, er wartet. Er nimmt sich zurück. Er lässt dem Chef den Vortritt.
Und das hat offenbar nichts mit dessen größerem Wissen oder tieferer geistlicher Erkenntnis zu tun. Denn Petrus geht in die Grabhöhle hinein, sieht die Leinenbinden, in die der Leichnam Jesu eingewickelt war, – und kapiert nichts. Der andere Jünger, nennen wir ihn Johannes, folgt, sieht auch nicht mehr, aber: „Er sah und glaubte.“ (Johannes 20,8)
Interessant, oder? Petrus läuft langsamer, versteht langsamer, glaubt langsamer. Aber trotzdem macht der Evangelist Johannes mit seiner Ostergeschichte klar: Petrus zuerst. Oder wie wir heute sagen: Primat des Papstes.
Hah, mögen jetzt manche von Ihnen sagen, wusste ich’s doch! Aber Vorsicht, die Geschichte geht weiter. Denn der nächste Satz ist doch recht ernüchternd: „Dann kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück.“ Keine Begeisterung, keine Aufbruchsdynamik, noch nicht mal ein längeres Verweilen. Eher ein Schulterzucken und: „Lass mal gehen!“
Maria Magdalena hält durch
Womit wir endlich bei der zweiten Geschichte wären, der eigentlichen Siegerin des Wettlaufs: bei Maria Magdalena. Die ist zuerst am Grab, gleich frühmorgens, wahrscheinlich hat ihr bekümmertes Herz sie dorthingezogen. Doch anders als etwa im Matthäusevangelium begegnet sie Jesus dort nicht, sondern tut zunächst das, was eine gute Frau nach damaliger Auffassung tun sollte: Sie ruft Männer um Hilfe.
Die kommen auch, bloß helfen sie nicht. Sie werfen einen Blick auf die Sache und verschwinden wieder. Während Maria Magdalena (sie ist schon wieder da!) Durchhaltevermögen beweist. Sie weiß auch nicht, was los ist, aber sie bleibt, gibt nicht auf. Und sie weint, sie zeigt ihre Gefühle. Und das macht wohl den Unterschied. Denn als Maria in die Höhle hineinschaut, sieht sie nicht nur Leinenbinden. Sie sieht zwei Engel. Und als sie sich umdreht, sieht sie Jesus. Maria erkennt ihn nicht sofort, nein, wieder braucht es Geduld, aber als der Unbekannte sagt: „Maria!“ – da erkennt sie Jesus.
Sie redet mit ihm und macht anschließend einen zweiten Versuch, den Männern klarzumachen, was da geschehen ist. Nicht die starken Männer helfen der schwachen Frau. Nein, die geduldige Maria hilft den kurzatmigen Jüngern. Marathon schlägt Sprint.
Die Bibel hat die faszinierende Eigenschaft, dass sie zwar in alter Zeit geschrieben wurde, aber nicht allein für die alte Zeit. Gerade deshalb ist sie Gottes Wort: weil sie in allen Zeiten etwas Zeitgemäßes zu sagen hat. Vielleicht ja das:
- Das Petrusamt ist etwas bleibend Wichtiges in der Kirche Jesu Christi. Das bezeugen viele biblische Geschichten, auch diese. Die Besonderheit gründet nicht darin, dass Petrus besonders klug, fromm oder nah bei Christus wäre. Ohne die Nachhilfe durch Maria Magdalena wäre er schon ganz zu Anfang gescheitert. Unfehlbar sieht anders aus.
- Den Wettbewerb von Jung und Alt, von Dynamik und Vorsicht, von Fortschritt und Tradition gab es schon zu biblischer Zeit. Doch die Ostergeschichte des Johannes zeigt: Ans Ziel gelangt man nur gemeinsam. Zur Not muss einer warten – aber der andere sollte sich auch beeilen, hinterherzukommen. Denn wer stehenbleibt, kommt nie an.
- Jesus zeigt sich nicht zuvorderst den Amtsträgern, er zeigt sich auch nicht zuvorderst den Vorpreschern. Er zeigt sich den Geduldigen, die mit Durchhaltevermögen und unter Tränen dableiben. Am Grab Jesu und vielleicht auch bei den Trümmern der zerbeulten Kirche.
- Trotz Patriarchat haben die Evangelisten daran festgehalten, dass eine Frau die Auferstehung als Erste verkündete. Danach griff kirchengeschichtlich betrachtet offenbar der Satz: Die Ersten werden die Letzten sein.